Standort Deutschland: Zukunft durch Forschung und Innovation

 
 
Der Stifterverband, die Leopoldina und die VolkswagenStiftung haben ein gemeinsames Thesenpapier zum "Forum Innovation zur Richtungswahl 2025" vorgelegt. Darin nennen sie sechs konkrete Hebel für Veränderungen auf dem Feld der Forschungs- und Innovationspolitik.

 
Deutschland hat eine starke, hochdifferenzierte Forschung mit ausgewiesenen weltweit führenden Forschern und Forschungsinstitutionen. Ebenso zählt die deutsche Industrie zu den forschungsstärksten Industrien der Welt, was gleichermaßen für die Großindustrie als auch den Mittelstand gilt. Mit Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Höhe von 3,14 Prozent des BIP liegt Deutschland ebenfalls im oberen Bereich der führenden Industrienationen.

Dennoch ist die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Gefahr. Dabei handelt es sich weniger um ein konjunkturelles, sondern vielmehr um ein strukturelles Problem, denn in vielen internationalen Vergleichen fällt Deutschland seit einigen Jahren deutlich zurück. Offensichtlich gelingt es nicht in ausreichendem Maße, aus der starken Ausgangsposition in der Forschung die notwendigen Impulse für Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft zu setzen.

Unter Innovation verstehen wir vor allem auch die ökonomisch erfolgreiche und ökologisch verträgliche Umsetzung von neuen Erkenntnissen der Forschung und Erfindungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Wohlstand und gesellschaftlicher Fortschritt hängen maßgeblich davon ab. Ohne eine klare Strategie droht der Standort Deutschland in Schlüsseltechnologien und Zukunftsmärkten weiter zurückzufallen.

Wir müssen daher dringend unseren industriellen Kern weiterentwickeln und neue zukünftige Wertschöpfungsoptionen erarbeiten, um Wachstum und Prosperität zu sichern und damit auch Antworten auf die großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen wie Energie, Verkehr und Umwelt zu finden. Dazu braucht es eine deutliche Steigerung der Leistung unseres Innovationssystems, das trotz insgesamt guter Finanzierung und hoher Differenzierung drei wesentliche Defizite aufweist:

  • PRIORISIERUNGSDEFIZIT – Strategisch vereinbarte Missionen werden nicht in Ziele, Roadmaps und ausreichend wirksame Maßnahmen übersetzt. Wesentliche innovationspolitische Vorhaben werden nicht priorisiert und folgen auf Bundes- und Länderebene zu sehr regionalem Proporz und Gleichverteilungsprinzipien.
  • KOORDINATIONSDEFIZIT – Das politische Handeln ist geprägt durch fragmentierte Zuständigkeitsdiskussionen und eine kleinteilige Steuerung, die eine Verwendungskontrolle über eine Ergebniskontrolle stellt. Dadurch entstehen Ineffizienzen und wir verlieren in der Ressourcennutzung an Geschwindigkeit.
  • UMSETZUNGSDEFIZIT – Wir sind in Deutschland zu langsam in unseren Entscheidungsstrukturen und -prozessen. Viele gut durchdachte Vorhaben werden oft unzureichend umgesetzt und entfalten so kaum Wirkung.

Eine neue Bundesregierung muss diese Defizite energisch und konsequent angehen. Wir brauchen einen Aufbruch für ein starkes Innovationssystem. Innovationspolitik muss ins Zentrum politischen Handelns rücken und vor allem als einer der entscheidenden Hebel für die Standortzukunft verstanden werden. Wir schlagen konkret sechs Veränderungshebel vor:

  1. Neuordnung und Stärkung eines Bundesministeriums für Forschung und Innovation mit Ressortzuständigkeit für alle Technologie- und Forschungsthemen, inklusive Ressortforschungen, also inklusive Digitales, Energie und Gesundheit. Darüber hinaus benötigen wir neue grundlegende Koordinationsmechanismen mit Umsetzungskompetenz für übergreifende strategische Initiativen. Das Ziel muss eine effizientere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und der Wirtschaft sein, die auch länderübergreifende Fördermaßnahmen ermöglicht. Wir brauchen Kooperation statt Silodenken und eine neue Kultur der Vernetzung. Dies wäre die Kernaufgabe eines Bundesministeriums für Forschung und Innovation.
     
  2. Abbau von regulatorischen Hürden in der Forschung, Regulatorik als Ermöglichung und Wettbewerbsvorteil gestalten. Um Forschungskräfte zu entfesseln und Innovationen zu ermöglichen, muss vor allem die nach wie vor exzellente Grundlagenforschung neben ausreichender finanzieller Ausstattung weniger regulatorisch eingeschränkt werden. Beispielhaft hierfür sind die datengestützte oder die biomedizinische Forschung zu nennen. Die Autonomie und Eigenverantwortung der Wissenschaftseinrichtungen und Förderorganisationen sollte deutlich ausgebaut werden. Gesetzlich heute schon mögliche Experimentierräume müssen konsequent genutzt und weiterentwickelt werden, um regulatorische, aber auch institutionelle Neuerungen auszuprobieren.
     
  3. Umsetzungsfokussierte Strategieplanung und Roadmapping für priorisierte Missionen der Innovationspolitik (auch über Legislaturperioden hinweg). Priorisierungskriterien müssen dabei neben dem Beitrag der Missionen zur Standortzukunft Deutschlands auch die Zeiträume bis zur Wirkung von Lösungen für die großen gesellschaftlichen und ökologischen Zukunftsfragen sein. Missionen sind nicht weiter als Forschungsmissionen zu verstehen, sondern als strategisches Instrument zur Umsetzung und Innovationsbeschleunigung.
     
  4. Ziele vorgeben, Wege offenlassen. Die Orientierung für Innovationsakteure sollten durch mittelfristige Ziele und Ergebniskontrollen und nicht durch die Vorgabe von Wegen und Methoden erfolgen. Entsprechend können dadurch Bürokratie und Verwaltungsressourcen abgebaut und eine innovationsfördernde Steuerung aufgebaut werden. Insgesamt sollte das Prinzip der Innovationsermöglichung in Gesetzgebungsverfahren mindestens gleichberechtigt neben dem Vorsorgeprinzip stehen.
     
  5. Abbau von Kooperations- und Finanzierungshindernissen. Transfer- und Kooperationsaktivitäten in der Forschung müssen deutlich gestärkt werden. Bewilligungsprozesse für Forschungsförderung und Genehmigungen müssen drastisch verkürzt und entbürokratisiert werden. Hoch innovative Bereiche in der Forschung und bei Schlüsseltechnologien sollen neben staatlicher Förderung besonders auch durch privates Kapital gestärkt werden. Investitionsbeschränkungen und Hürden, wie zum Beispiel für Pensionsfonds, müssen abgeschafft werden, Public Private Partnerships in Forschung und Innovation durch (steuerliche) Investitionsanreize zusätzlich gestärkt werden.
     
  6. Vom Brain Drain zum Brain Gain. Wir müssen unsere Aktivitäten, um die besten Köpfe in Forschung und Innovation nach Deutschland zu holen beziehungsweise im Land zu halten, deutlich verstärken. Das betrifft besonders auch Start-ups. Die aktuelle geopolitische Situation bietet dazu entsprechende Möglichkeiten. Die Einführung eines "Innovationsvisums" zur gezielten Anwerbung von Talenten weltweit und die Vereinfachung der Aufenthaltsregelungen sind dringend erforderlich.

Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und von Stiftungen wollen mit diesem Thesenpapier die dringend notwendigen Veränderungen oder zumindest die Diskussion darüber anstoßen.

 

DIE AUTOREN DES THESENPAPIERS

Prof. Dr. Michael Kaschke
Präsident, Stifterverband

Prof. Dr. Gerald H. Haug
Präsident, Leopoldina

Dr. Georg Schütte
Generalsekretär, VolkswagenStiftung