Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christoph Lange
Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften
Mit Schwarmintelligenz gegen Tuberkulose: Mit dem Wissenschaftspreis würdigt der Stifterverband die Arbeit zu Prävention, Diagnostik und Therapie multiresistenter und extensiv-resistenter Tuberkulose (M/XDR-TB). Die Studie, die unter der Federführung Langes entstand, erschien am Welt-Tuberkulose-Tag 2014 öffentlich zugänglich als Open-Access-Publikation im renommierten European Respiratory Journal. Die internationale Konsensempfehlung weist auf die drohende Gefahr der Ausbreitung antibiotika-resistenter Tuberkulosebakterien hin und hilft Ärzten in allen Teilen Europas, die Behandlung von Patienten mit einer M/XDR-TB zu optimieren. Die Studie entstand unter Mitwirkung von 40 internationalen Koautoren, darunter Vertretern verschiedener Fachgesellschaften und des European Centre of Disease Prevention and Control.
Die Bedeutung der Arbeiten von Christoph Lange besteht vor allem darin, in Ermangelung eines wirksamen Impfstoffs und ohne geeignete neue Medikamente bestehende Ressourcen zu optimieren und die Vorgehensweisen im Kampf gegen TB grenzüberschreitend zu harmonisieren. Bemerkenswert ist auch der moderne Ansatz der anwendungsorientierten Wissensgenerierung, der sich einer durch fachliche Autorität motivierten "Schwarmintelligenz" von Experten im TB-Management bedient und so ein Beispiel für eine teamorientierte Bewältigung von Public-Health-Problemen darstellt.
Die Tuberkulose steht weltweit an zehnter Stelle aller zum Tode führenden Krankheiten: Neun Millionen Menschen erkranken an ihr pro Jahr, 1,4 Millionen davon sterben. Während die Zahl der Neuerkrankungen aller Tuberkuloseformen insgesamt weltweit leicht rückläufig ist, wird in den vergangenen Jahren ein dramatischer Anstieg der M/XDR-TB vor allem in Osteuropa, in Asien und im südlichen Afrika beobachtet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht global von 450.000 neuen Fällen einer M/XDR-TB pro Jahr aus, mit stark steigender Tendenz. Die Ausbreitung von antibiotika-resistenten Stämmen der Tuberkulosebakterien ist eines der drängenden aktuellen Probleme für die öffentliche Gesundheit in den betroffenen Ländern. Durch rasche Diagnose und eine adäquate Therapie kann die Ausbreitung der antibiotika-resistenten Tuberkulosebakterien verhindert und die Prognose für die betroffenen Patienten deutlich gebessert werden. Derzeit können nur 20 Prozent der an XDR-TB Erkrankten geheilt werden.
Christoph Lange gründete im Jahr 2006 zusammen mit 55 Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa die Tuberculosis Network European Trialsgroup (TBNET). Mit mehr als 600 Mitgliedern aus 22 EU-Staaten und 49 Staaten weltweit ist TBNET heute die größte multinationale Forschungsorganisation auf dem Gebiet der Tuberkulose in Europa. Neben der Möglichkeit, europaweite Studien durchzuführen, ist es über TBNET vor allem möglich, Trainings- und Capacity-Building-Aktivitäten zu entwickeln, die vorwiegend den besonders von TB betroffenen Ländern Osteuropa zugutekommen.
Nikolaus von Bomhard, Vizepräsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, würdigt die Arbeit des Preisträgers als eine außerordentliche Leistung für eine weltweite Weiterentwicklung der Tuberkulosetherapie: "Christoph Lange ist der Architekt eines herausragenden internationalen Wissenschaftsnetzwerkes, das gemeinsam forscht, Therapieempfehlungen formuliert und die Öffentlichkeit aufklärt. Damit wirkt er nicht nur theoretisch in die Wissenschaft, sondern ganz konkret bei Ärzten und Patienten und hinein in die Gesellschaft."
Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, hebt den konkreten Nutzen der Arbeiten des Preisträger besonders hervor: "Christoph Lange zeigt in beeindruckender Weise, wie unmittelbar die Gesellschaft durch die Wissenschaft profitieren kann. Dieser Anwendungsbezug ist für die Leibniz-Gemeinschaft ein zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses. Die ausgezeichnete Arbeit beweist, dass es durch intelligente Wissens-Infrastrukturen und kreative Vernetzung sogar möglich ist, einen Mehrwert für die öffentliche Gesundheit zu erzielen, selbst wenn keine neuen Medikamente zur Verfügung stehen."