Die lernende Verwaltung

Fort- und Weiterbildung als Schlüssel zur Modernisierung

Diskussionspapier

 

Die lernende Verwaltung (Cover)

Das im Dezember 2021 veröffentlichte Paper wurde vom Stifterverband in Zusammenarbeit mit McKinsey & Company erstellt.

Die in der Publikation dargestellten Ergebnisse basieren auf einer im Juli und August 2021 online durchgeführten Befragung, an der sich 377 Unternehmen und 123 Behörden in Deutschland beteiligten. Befragt wurden leitende Angestellte und Personalverantwortliche zu ihren aktuellen Weiterbildungsstrukturen. Eine ähnliche Befragung wurde bereits im Jahr 2018 vom Stifterverband und McKinsey durchgeführt.

Die zentralen Aussagen des Papers:

  • Gerade für den öffentlichen Dienst gilt: Um gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung und den Klimawandel zu meistern, muss die Verwaltung sicherstellen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über zukunftsweisende Fähigkeiten verfügen. Dazu zählen unter anderem Kompetenzen wie Lösungsfähigkeit und digitale Kollaboration.
  • Eine Umfrage von Stifterverband und McKinsey unter 500 deutschen Unternehmen und Behörden zeigt: Fort- und Weiterbildung sind in den vergangenen Jahren in der Verwaltung bereits verstärkt worden. 2019 wurden Beschäftigte dort durchschnittlich 3,7 Tage weitergebildet. Inzwischen hat sich diese Zahl – trotz oder gerade wegen Corona – auf 4,9 Tage erhöht und liegt damit sogar über dem Durchschnitt von 4,6 Tagen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Privatwirtschaft jährlich für Fort- und Weiterbildung nutzen. Befragte aus beiden Bereichen erwarten, dass sich die Zahl der Weiterbildungstage in den kommenden fünf Jahren noch einmal um rund 50 Prozent erhöhen wird.
  • Große Unterschiede offenbart die Umfrage jedoch auf der strategischen und finanziellen Seite: Nur 24 Prozent der Verwaltungen erfassen strukturiert die Kompetenzbedarfe ihrer Beschäftigten; bei Unternehmen sind es hingegen 52 Prozent. Unternehmen geben zudem an, heute schon mehr als doppelt so viel Budget für Weiterbildungen zur Verfügung zu stellen als Behörden (974 Euro versus 418 Euro pro Person).
  • Deshalb müssen Fort- und Weiterbildungsbemühungen massiv verstärkt werden. Gerade die deutsche Verwaltung steht hier unter Druck, da sie im Konkurrenzkampf um Fachkräfte einen finanziellen Wettbewerbsnachteil hat.
  • In Summe liefert die Umfrage gleich mehrere Ansätze für Verbesserungspotenzial beim Thema Fort- und Weiterbildung in deutschen Behörden: die Erarbeitung von Organisationsentwicklungsplänen für zukünftige Verwaltungsstrukturen, um den Kulturwandel und die Modernisierung der Verwaltung zu beschleunigen, die Erhebung daraus abgeleiteter Kompetenzbedarfe bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, eine Ausweitung der Weiterbildungstage und -budgets sowie der deutliche Ausbau digitaler Weiterbildungsformate.
Weiterbildungsbudget in Unternehmen und Behörden (Grafik)
Weiterbildungstage in Unternehmen und Behörden (Grafik)
Erfassung der Kompetenzbedarfe in Unternehmen und Behörden (Grafik)

Weiterbildung als Schlüssel zum Erfolg

Die Welt wandelt sich: Gesellschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung und der Klimawandel verlangen von Behörden die Entwicklung neuartiger Lösungsansätze und ein großes Maß an Resilienz des Einzelnen. Bei der Implementierung von Innovationen gibt es hierzulande jedoch noch erhebliches Verbesserungspotenzial.

Sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft gilt: Um den dynamischen Ansprüchen unserer Welt gerecht zu werden, muss sichergestellt werden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen. Doch der Bedarf an Fachkräften und Zukunftsfähigkeiten lässt sich durch mehr Absolventinnen und Absolventen entsprechender Studiengänge nicht decken. Stattdessen müssen Organisationen mehr in die Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten investieren. In diesem Zusammenhang spielt auch das Erkennen benötigter Kompetenzen und Fähigkeiten eine zentrale Rolle.

Der Konkurrenzkampf um Fachkräfte ist schon heute groß; rund 86.000 Stellen für IT-Fachkräfte konnten 2020 nicht besetzt werden. Gerade die öffentliche Verwaltung hat hier durch eingeschränktere finanzielle Mittel einen klaren Wettbewerbsnachteil. Der Ausbau technologiebezogener Ausbildungs- und Studienplätze trägt zwar zur Lösung des Problems bei. Um den enormen Bedarf kurz- wie langfristig decken zu können, ist aber zusätzlich eine massive Steigerung der Fort- und Weiterbildung nötig.

Die Grundlage dafür muss ein Kulturwandel hin zum lebenslangen Lernen im öffentlichen Sektor sein. Hierfür gibt es bereits einige positive Beispiele, wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Neben einer Kultur des lebenslangen Lernens müssen vier weitere Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens sollten dafür notwendige (neue) Kompetenzbedarfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter strukturiert erhoben werden, um gezielt Weiterbildungen vermitteln zu können. Zweitens sollten Budgets groß genug sein, um den Ansprüchen an Qualität und Aktualität der Weiterbildung zu genügen. Zudem sollten drittens Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinreichend Arbeitsstunden für diese Weiterbildungen zur Verfügung stehen. Viertens müssen viel mehr Weiterbildungen digital angeboten und genutzt werden.

Behörden können von der Privatwirtschaft lernen

In der Umfrage unter 500 deutschen Unternehmen und Behörden haben Stifterverband und McKinsey den aktuellen Stand in den vier Voraussetzungen für erfolgreiche Weiterbildungsmaßnahmen erhoben: Kompetenzermittlung, Weiterbildungsbudget, zeitliche Freiräume und geeignete Formate.

1. Die Ermittlung von vorhandenen Kompetenzen und Bedarfen ist sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Sektor ausbaufähig:
In nur 52 Prozent der Unternehmen gibt es einen strukturierten Prozess, um die Kompetenzbedarfe für die kommenden Jahre zu ermitteln; für Behörden ist dies sogar nur in 24 Prozent der befragten Organisationen der Fall. Zudem gaben 36 Prozent der Behörden an, dass sie auch nicht vorhaben, einen solchen Prozess einzuführen. Doch nur ein strukturiertes Vorgehen ermöglicht die zielgenaue Ermittlung der Kompetenzen, die in einer Organisation heute vorhanden sind, künftig benötigt werden und mit welchen Weiterbildungsmaßnahmen diese Lücke geschlossen werden kann. Hier besteht somit sowohl bei Unternehmen als auch bei Behörden ein dringender Handlungsbedarf.

2. Schon heute gibt es große Unterschiede zwischen den Weiterbildungsbudgets von Unternehmen und dem öffentlichen Sektor; Behörden sollten nachziehen. Das Weiterbildungsbudget von Unternehmen ist heute mehr als doppelt so hoch wie das von Behörden (974 Euro versus 418 Euro pro Person). Während Unternehmen davon ausgehen, ihr Weiterbildungsbudget in den kommenden fünf Jahren um 43 Prozent zu steigern wollen, rechnet man in Behörden nur mit einer Steigerung von 28 Prozent.

3. Durchweg positiv schneiden Behörden im Vergleich mit Unternehmen ab, was die absolute Zahl an Weiterbildungstagen angeht.
Im Jahr 2019 betrug die durchschnittliche Anzahl der Tage, an denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden weitergebildet wurden, 3,7. Inzwischen liegt die Zahl bei 4,9, in Unternehmen sind es durchschnittlich 4,6 Tage. Führungskäfte in beiden Sektoren gehen gleichermaßen davon aus, dass sich die Zahl der Weiterbildungstage über die kommenden fünf Jahre auf rund 7 Tage erhöhen wird. Der Anstieg ist zwar zu begrüßen, jedoch sollte die Erhöhung der Weiterbildungstage noch ambitionierter in beiden Sektoren sein.

4. Der Anteil digitaler Weiterbildungsformate war vor der COVID-19-Pandemie noch sehr gering, hat sich aber seitdem massiv erhöht. Während in Behörden der Anteil digitaler Weiterbildungen vor der Pandemie bei 5 Prozent lag, betrug er bei Unternehmen 15 Prozent. Es wäre wünschenswert, dass der durch die Pandemie kurzfristige Anstieg auf 65 beziehungsweise 72 Prozent Anteil digitaler Formate erhalten bleibt. Denn diese Formate bieten viele Vorteile, zum Beispiel die Ersparnis von Unterbringungskosten oder Fahrtwegen; einhergehend mit weniger Arbeitsausfall. Gerade die zeitliche Freistellung ist für viele Unternehmen und Behörden eine große Herausforderung. Um diese Ausfallzeiten zu reduzieren, sollten Weiterbildungen verstärkt in digitalen Lernumgebungen angeboten werden.

Handlungsempfehlungen

Der öffentliche Sektor in Deutschland benötigt zusätzliche qualifizierte Fachkräfte, um eine dringend notwendige Modernisierung voranzutreiben. Da dieser Bedarf nicht allein durch Neueinstellungen gedeckt werden kann – Behörden haben hier einen massiven Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen – müssen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen deutlich ausgebaut werden. Die Ausweitung von Weiterbildungsangeboten kann auch die Attraktivität des öffentlichen Dienstes bei Neueinstellungen deutlich erhöhen.

Organisationen sollten strukturierte Evaluationen insbesondere der zukünftig benötigten Kompetenzen einführen
Voraussetzung für eine strukturierte Analyse des Kompetenzbedarfes beim Personal ist ein Organisationsentwicklungsplan, der sich an den zukünftigen Zielen, Aufgaben und Strukturen der Verwaltung im digitalen Zeitalter ausrichtet.
Zur Ermittlung organisationsspezifischer Kompetenzlücken (skill gaps) sollten regelmäßige datenbasierte Ermittlungen von Beschäftigten und Personalverantwortlichen durchgeführt werden. Basierend auf den Ergebnissen sollten entsprechende Lernreisen entwickelt werden, die den Weiterbildungsbedarf strategisch abdecken.

Weiterbildungsbudgets müssen überprüft und – wo nötig – aufgestockt werden
Die finanziellen Mittel, die für Weiterbildungen bereitgestellt werden, sollten kontinuierlich evaluiert und bei Bedarf aufgestockt werden. Die Budgets müssen als Investition in das Humankapital der Zukunft und nicht als Kostenposition verstanden werden.

Mehr Raum für die Weiterbildung von Beschäftigten im Arbeitsalltag
Weiterbildung muss ein fester Bestandteil des Alltags von Beschäftigen werden. Deshalb müssen Arbeitgeber drauf achten, dass Angestellten ausreichend Zeit für Weiterbildung zur Verfügung haben. Zum anderen muss sich aber auch das Verständnis von Weiterbildung als eine "Sonderveranstaltung" wandeln. Fortbildungen sollten in den Alltag von Beschäftigen integriert sein und somit das Lernen tagtäglich im Beruf fördern.

Digitale Angebote ausbauen; Hochschulen für Weiterbildung stärker einbinden
Hochschulen könnten hier eine entscheidende Rolle einnehmen. Als forschende Institutionen könnten sie bei der Aktualität der Weiterbildung punkten. Vorhandende Standards zur Qualitätssicherung könnten verwendet und ausgebaut werden (Stichwort: Weiterbildungsaudit). In Summe müssen außerdem mehr geeignete digitale Angebote geschaffen werden. Einen wichtigen Schritt dafür hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vollzogen. Ab Anfang 2022 will sie ein Webportal zur Verfügung stellen, in dem alle Weiterbildungsangebote an deutschen Hochschulen gesammelt dargestellt werden sollen. Um diese Plattform zum Erfolg zu führen, müssen
a) Hochschulen ihr digitales Weiterbildungsangebot zu zukunftsweisenden Themen ausbauen und dort bereitstellen,
b) die Politik die Rahmenbedingungen zum Ausbau des Weiterbildungsangebots an Hochschulen verbessern (siehe dazu Empfehlungen des Wissenschaftsrats, 2021) und
c) Unternehmen sowie Behörden gezielt Angebote auf dieser Plattform nutzen.

Inhaltliche Leitung und Ansprechpartner
Mathias Winde, Stifterverband
Julia Klier, McKinsey & Company

Projektteam Stifterverband
Volker Meyer-Guckel, Eike Schröder, Felix Süßenbach, Mathias Winde

Projektteam McKinsey & Company
Sebastian Buck, Solveigh Hieronimus, Julia Klier, Julian Kirchherr, 
Mathias Keller, Moritz Metzger, Neslihan Sönmez, Frederik Schulze Spüntrup

Redaktion
Kirsten Best-Werbunat, Simone Höfer

Zu den Themenfeldern des Hochschul-Bildungs-Report 2020
sind im Herbst 2021 vier weitere Paper erschienen: