Wissenschaftskommunikation

„Wir reden immer über die Faszination, die vom Eis ausgeht“

Heinrich Miller und sein ausgezeichnetes Forschungsteam
Heinrich Miller und sein ausgezeichnetes Forschungsteam (Foto: Christian Bohnenkamp)
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Herr Miller, Ihr ganzes Büro hängt ja voll mit Bauplänen. Sind Sie jetzt unter die Architekten gegangen?
(lacht) Nein, das nicht. Wir planen gerade ein neues Forschungsschiff, weil unser Eisbrecher Polarstern ja schon in die Jahre gekommen ist. Und das sind die Pläne dafür. Ich muss jetzt prüfen, ob die Pläne unseren wissenschaftlichen Anforderungen genügen.

Was sind Ihre wichtigsten Kriterien?
Wir haben eine Wunschliste aufgestellt, welche Laboratorien wir an Bord brauchen. Vieles hängt dann von der detaillierten Planung ab – ob alle Gerätschaften reinpassen zum Beispiel und ob die konkrete Anordnung sinnvoll ist. Ich habe ja einige Erfahrungen, und dieses Wissen möchte ich gern auch einbringen.

Sie selbst sind seit vielen Jahren regelmäßig bei Expeditionen dabei. Gibt es bei der Polarstern solche Ecken, wo Sie jedes Mal drüber stolpern und sich ärgern, dass es nicht anders gelöst ist?
Na klar, solche Ecken gibt es auf jedem Schiff – allein schon wegen der Sicherheitsbestimmungen. Ein Schiff braucht nun einmal zum Beispiel wasserdichte Schotten, und das bedeutet eben, dass da enge Stellen und Stolperfallen entstehen. Aber eins muss ich sagen: Die Polarstern war ein Glücksgriff. Von der Schiffstechnik und der Rumpfform her ist sie ausgezeichnet geeignet, sie hat hervorragende Eigenschaften auf hoher See – selbst im südlichen Ozean, wo ja eigentlich immer viel Wind und hohe Wellen herrschen. Wenn man da arbeitet, will man natürlich nicht, dass sich das Schiff wie ein Korken auf und ab bewegt; es muss möglichst ruhig liegen. Das tut die Polarstern und das neue Schiff soll das auch. Es ist eben kein Containerschiff, das von A nach B fährt und dann wieder zurück, sondern ein Forschungsschiff, das weltweit im Einsatz ist. 

Sie sprechen mit solcher Begeisterung von dem Schiff – welche Bedeutung hat für Sie und Ihre Arbeit eigentlich dieses Büro hier auf dem Festland in Bremerhaven?
Das Büro ist sozusagen der Zwischenraum zwischen den Arbeiten auf dem Eis in der Antarktis oder im Inneren von Grönland. Hier entstehen die Publikationen, die aus den Expeditionen resultieren, und natürlich kümmere ich mich hier um alles von der Lehre bis hin zur Betreuung der Diplom- und Doktorarbeiten. Oft sitzen wir hier auch mit dem ganzen Team zusammen und planen die nächste Expedition.

Heinrich Miller (Nahaufnahme)
Heinrich Miller (Foto: Christian Bohnenkamp)
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Der Polarforscher

Heinrich Miller ist Geophysiker und war Leiter der Arbeitsgruppe Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut (Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung) in Bremerhaven, dem er bis zu seiner Emeritierung auch als stellvertretender Direktor vorstand. Der gebürtige Österreicher beteiligte sich an vielen Dutzend Expeditionen in die Polarregionen und gilt als einer der erfahrensten Polarforscher. Um den Communicator-Preis hat er sich zusammen mit seinem gesamten Team beworben – „weil wir Geld für eine neue Kaffeemaschine brauchten“, wie er schmunzelnd sagt.

Das Zusammensitzen ist ein wichtiges Stichwort: Den Communicator-Preis haben Sie als ganzes Team bekommen – das ist einmalig in der Geschichte des Preises.
Wissenschaft ist per se Teamarbeit, aber bei uns in der Polarforschung ist dieser Aspekt nochmals ausgeprägter. Wir kommen eben nicht morgens ins warme Labor, sondern wir arbeiten auf engstem Raum zusammen, und das in einer lebensfeindlichen Umwelt. Das schweißt ein Team sehr zusammen.

Wie oft stellt sich ein Lagerkoller ein, wenn Sie unterwegs sind?
Wir hatten eigentlich immer Glück, dass wir die richtigen Leute ausgewählt haben. Wenn man jemanden kennenlernt, merkt man recht schnell, ob er für diese spezielle Art der Arbeit geeignet ist. 

Wer gehört denn eigentlich alles zu Ihrem Team – sind das alles Glaziologen wie Sie?
Nein, wir haben Experten aus allen möglichen Bereichen dabei. Aber auf dem Eis gilt sowieso, dass es keine Unterschiede gibt – ob jemand Teamleiter ist oder Doktorand, ob er Wissenschaftler ist oder Techniker. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel von einer Expedition, an die ich mich besonders gut erinnern kann: Da habe ich zwei Monate lang die Nachtschicht übernommen und von Mitternacht bis acht Uhr morgens gebohrt. Wir haben keine Techniker, die ausschließlich bohren und sonst nichts tun. Nein, wir sind ein Team und wir machen alles zusammen.

„Wissenschaft ist per se Teamarbeit, aber bei uns in der Polarforschung ist dieser Aspekt nochmals ausgeprägter. “

Heinrich Miller
Polarforscher

Wenn Sie vom Bohren reden – was hat es damit auf sich?
Wir ziehen Bohrkerne tief aus dem Eis, in denen wir Spuren aus der Vergangenheit und wertvolle Informationen beispielsweise zur Klimaentwicklung finden. Wer gerade Dienst hat, bedient das Bohrgerät – der Bohrer ist elf Meter lang und wird ins Bohrloch herabgelassen. Er hängt an Kabeln und es dauert ungefähr eine Stunde, bis er ganz unten im Bohrloch angelangt ist. Dann bohrt man zwei Meter tiefer und zieht das Ding wieder hoch. Das dauert noch einmal fast drei Stunden. Oben muss man dann den Bohrer in Teile zerlegen, den Bohrkern rausholen, vermessen und dann verpacken. Das ist die Aufgabe des Bohrteams – da muss man sehr sorgfältig vorgehen, es gibt immer etwas, was schiefgehen kann.

Den Communicator-Preis haben Sie aber nicht für die Teamarbeit, sondern für die Kommunikation bekommen. Gibt es innerhalb des Teams eigentlich Eifersüchteleien, wenn es um die Außendarstellung geht – etwa, wenn schon wieder die andere wissenschaftliche Disziplin stärker für Interviews und Vorträge gefragt ist als die eigene?
Es ist einfach so, dass manche Disziplinen für die Öffentlichkeit faszinierender sind als andere. Aber auch da sind wir als Team sehr gut eingespielt, denn wir wissen, dass sich das im Laufe der Zeit ändert. Heute ist es zum Beispiel unvorstellbar, dass sich für meine Arbeit als Glaziologe lange Zeit niemand interessiert hat. Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre gab es in Deutschland keinerlei Bewusstsein dafür, wie wichtig das Eis für die Erde eigentlich ist. Dabei sind fast 90 Prozent des gesamten Süßwassers in Eis gespeichert. Das muss man sich erst mal klarmachen. Wir haben von Anfang an darüber gesprochen und nach und nach wurden wir immer öfter zu Vorträgen und anderen Veranstaltungen eingeladen. Inzwischen ist das Eis auch wegen der Klimadiskussion sehr viel wichtiger geworden.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten öffentlichen Vortrag?
Na klar: Das muss Ende der 1980er gewesen sein, er fand in einem Hallenbad statt, das inzwischen abgerissen wurde. Ich saß mit den Zuhörern im leeren Schwimmbecken und sprach über das Eis der Erde und die Zusammenhänge mit dem Klima. Seither halten wir eigentlich regelmäßig Vorträge oder sind auf Messen dabei, wo die Besucher kleine Experimente machen können.

Experimente aus der Glaziologie am Messestand – wie geht das?
Wir nehmen zum Beispiel ein Instrument mit, mit dem sich leichte Erschütterungen messen lassen. Das stellen wir dann auf und die Besucher können sich danebenstellen und Kniebeugen machen. Diese kleine Gewichts­verlagerung wird von dem Instrument angezeigt – damit demonstrieren wir, wie empfindlich solche Messsysteme sind. Für viele ist das ein Aha-Erlebnis. Und natürlich reden wir immer über die Faszination, die von dem Eis ausgeht.

Apropos: Wie sind Sie selbst eigentlich zur Glaziologie gekommen? Dahinter steckt ja kein Studium, das man als Abiturient so ohne Weiteres auf dem Schirm hat.
Doch, bei mir war es tatsächlich genauso: Ich habe meine letzten beiden Schuljahre in Innsbruck verbracht, und weil ich ein erfahrener Bergsteiger war, arbeitete ich in den Sommerferien als field assistant bei Forschungen der dortigen Universität. Da habe ich Doktoranden, die mit Eis zu tun hatten, an einem Gletscher herumgeführt. Dabei habe ich die Leute kennengelernt, die sich mit dem Thema Eis beschäftigen, und ich fand das gleich spannend. Damals dachte ich, ich könne so mein Hobby Bergsteigen mit dem Beruf verbinden – aber seitdem bin ich nie mehr auf die Gipfel gekommen, weil ich mich immer nur mit dem Eis beschäftigt habe.

Wenn Sie bei minus 30 Grad in der Antarktis stehen, ärgern Sie sich da manchmal, dass Sie nicht doch eher Südseeforscher geworden sind?
Nein, überhaupt nicht. Das Eis hält einen frisch.

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Illustration: Lisa Syniawa
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20 Jahre Communicator-Preis

Diese Forscher sind Stars. Denn sie arbeiten nicht nur in Labors, sitzen nicht nur in Bibliotheken. Stattdessen stehen sie als Medienprofis sehr oft auf den großen Bühnen des Landes. Sie können meisterhaft über Forschung reden, sie begeistern für das, was vielen Bürgern sonst nicht zugänglich wäre. Sie sind die besten Anwälte für die Sache der Wissenschaft.

Solche begnadeten Wissenschaftskommunikatoren als Vorbilder zu adeln und ihr außergewöhnliches Engagement zu belohnen, war im Jahr 2000 die Idee des Stifterverbandes und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seitdem vergeben sie gemeinsam jährlich den „Communicator-Preis – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes“. Der Stifterverband steuert das Preisgeld bei (50.000 Euro), die DFG sucht die Preisträger aus. Die Arbeitsgruppe Glaziologie um Heinrich Miller erhielt den Communicator-Preis im Jahr 2007.

Mehr Infos zum Communicator-Preis und den bisherigen Preisträgern

Über diese Serie

20 Jahre Communicator-Preis – Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive. 

Alle Folgen dieser Serie 20 Jahre Communicator-Preis.

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