Warum Deutschland eine Zukunftsmission Bildung braucht

 
Meinungsbeitrag von Michael Kaschke, Präsident des Stifterverbandes, und Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbandes

 

Verheerende PISA-Ergebnisse und ein massiver Lehr- und Fachkräftemangel zeigen: Deutschland braucht einen Aufbruch in eine zukunftsfähige Bildung! Ohne einen Spitzenplatz in den Bildungsvergleichen wird der Spitzenplatz der Wirtschaft nicht zu verteidigen sein. Sechs Zukunftsmissionen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in seiner Zukunftsstrategie definiert. Die Themen reichen vom Klimaschutz über Raumfahrt und Meere bis zur gesellschaftlichen Resilienz. Eine Zukunftsmission Bildung gibt es nicht. Dabei ist öffentlicher Konsens: Bildung ist das Fundament für gesellschaftliche Transformation, Fortschritt und Innovation. Ohne Bildung keine Fachkräfte, keine Forschung, keine (Schlüssel)technologien, kein sozialer Friede, keine Teilhabe und keine Resilienz. Wenn das so klar ist, stellen sich mindestens zwei Fragen: Warum fehlt eine Zukunftsmission Bildung und was wären elementare Eckpunkte dafür?

Die erste Frage ist formal schnell beantwortet: Für das Bildungssystem vom Kindergarten bis zum Hochschulabschluss gibt es kaum Zuständigkeiten im Bund. Das wird oft beklagt und führt immer wieder zu Forderungen, die föderalen Zuständigkeiten der Länder abzuschaffen. Dabei gibt es föderale Staaten wie die Schweiz, die USA oder Kanada, die nicht unsere Probleme haben. Der Verweis auf den Föderalismus taugt vielmehr als Ausrede, weiterhin so weiterzumachen wie bisher.  

Ein Konzept zur Lösung unserer Probleme im Bildungssystem braucht eine nationale Verständigung über zentrale Ziele und eine Identifizierung von Katalysatoren, die zur Zielerreichung entscheidende Beiträge leisten. Notwendig ist auch ein Plan für die Orchestrierung einer solchen nationalen Anstrengung. Wir brauchen also das, was man in der Innovationsplanung gemeinhin unter Roadmapping versteht. Wir brauchen eine Zukunftsmission Bildung.
 

Ein Konzept zur Lösung unserer Probleme im Bildungssystem braucht eine nationale Verständigung über zentrale Ziele.

Michael Kaschke (Foto: David Ausserhofer)
Foto: David Ausserhofer

Michael Kaschke

Präsident des Stifterverbandes

 
Zu den Inhalten einer solchen Mission müsste erstens eine Verständigung über die notwendige Neuausrichtung der Lehrkräftebildung gehören. Die bundesweite Einführung oder mindestens Anerkennung von Ein-Fach-Lehrkräften oder die Neuausrichtung von Lehramtscurricula, etwa mit Elementen eines dualen Studiums, wären dafür wichtige Schritte. Zweitens benötigen wir eine Strategie, die durchgängigen Unterricht in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) sicherstellt. Wir müssen drittens alle Voraussetzungen schaffen, dass die Vermittlung von Zukunftskompetenzen in der gesamten Bildungskette gewährleistet ist. Und viertens benötigen wir ein gemeinsames Konzept zu einer pädagogisch geleiteten Ausgestaltung des schulischen Ganztag-Angebots, da das Recht auf Ganztagsbetreuung ab 2026 per Gesetz bundesweit eingeführt wird. Das und vieles mehr ließe sich auch in einem föderalen Staat verwirklichen. Dafür braucht es aber Mut und politischen Gestaltungswillen.

Wirklich neue Wege in der Bildungspolitik zu gehen, scheuen sich aber fast alle, denn es droht Ärger: mit Lehrkräften, mit Eltern, mit Gewerkschaften, mit dem politischen Gegner. Das politische Kalkül sagt, hier gibt es wenig zu gewinnen. Also wählt man den immer gleichen Weg, wenn der öffentliche Druck nach katastrophalen Vergleichstests wieder anschwillt: mehr Geld für das System. Dass Deutschlands Bildungsprobleme am Geld hingen, kann niemand ernsthaft behaupten: Im weltweiten Vergleich stehen wir finanziell dort, wo wir qualitätsmäßig schon längst nicht mehr sind: Weit oben.

 

Das Kooperationsprojekt von Unternehmen und Stiftungen definiert zentrale Ziele einer zukunftsgerichteten Bildungspolitik und erarbeitet Roadmaps dafür.

Volker Meyer-Guckel (Foto: Damian Gorczany)
Foto: Damian Gorczany

Volker Meyer-Guckel

Generalsekretär des Stifterverbandes

 
Diese Zustände werden von vielen beklagt. Nicht zuletzt von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die vielfältige Beiträge für ein leistungsfähiges Bildungssystem leisten: 33 Prozent der 26.000 Stiftungen in Deutschland haben Bildung als Satzungsziel verankert und engagieren sich gemeinsam mit öffentlichen Bildungseinrichtungen. Doch bisweilen stehen persönliche Themeninteressen von Stiftern und Stifterinnen über gesellschaftlich gewünschte und an die Strukturen der Bildungseinrichtungen angepasste Notwendigkeiten. Förderthemen haben zum Teil kurze Konjunkturzyklen. MINT, Mädchen, Migranten, Inklusion, Resilienz: Vieles wird angestoßen, weil es etwas Neues in die Welt setzt. Wirklich nachhaltige Lösungen für unsere Bildungsprobleme werden so nicht erreicht. Häufig handelt man allein, anstatt mit anderen gesellschaftlich Engagierten auf einem Feld zu kooperieren. Die Folge: Bei aller Kraft, die zivilgesellschaftliches Engagement aus Dezentralität und Vielfalt entwickelt, wird systemische Wirkung und Nachhaltigkeit zu selten erzielt. Dies hat in den letzten Jahren zu einem Umdenken im Stiftungshandeln geführt: Zivilgesellschaftliche Initiativen wie das Forum Bildung Digitalisierung oder das Nationale MINT Forum sind wichtige Resultate eines verstärkten Kooperationswillens und einer Orientierung an nachhaltiger Wirksamkeit. 

Daran wollen große Bildungsstiftungen und mehr als 40 Unternehmen, die sich im Vorstand des Stifterverbandes engagieren, mit dem Start einer zivilgesellschaftlichen Gemeinschaftsinitiative anschließen. Sie trägt den anspruchsvollen Namen Zukunftsmission Bildung. Ziel ist, durch gemeinsames Handeln von Unternehmen, privaten Bildungsförderern, Politik und öffentlichen Bildungseinrichtungen mehr Wirkung zu erzielen. Ausgehend von der Erkenntnis, mit weiteren privaten Förderprojekten nur begrenzte Impulse geben zu können, definiert das Kooperationsprojekt von Unternehmen und Stiftungen zentrale Ziele einer zukunftsgerichteten Bildungspolitik und erarbeitet Roadmaps dafür. Die Mission koppelt auch private Förderinitiativen an die Veränderung von politischen Rahmenbedingungen. Sie arbeitet an der Entwicklung starker Umsetzungsallianzen in öffentlich-privater Partnerschaft zur Skalierung erfolgreicher Pilotprojekte über Ländergrenzen hinweg. Um Erfolg zu haben, wird sie die Zusammenarbeit mit der Politik brauchen und ein kooperatives Zusammenspiel von Bund und Ländern. Sie kann Anstoß und Ort dafür sein, Bildungspolitik in Deutschland außerhalb der föderalen Zuständigkeitsfalle eine gemeinsam erarbeitete Richtung zu geben – nutzen wir diese Chance.