Vom Armband, das beim Laufen lediglich den Puls misst, bis zur totalen Überwachung aller Lebensfunktionen ist es gar nicht mehr so weit. Die Gesundheitsbranche und die Krankenkassen wittern Morgenluft, um mit Fitness-Tracking die Menschen zum gesünderen Leben zu bewegen. Inga Bergen, deren Firma Welldoo Gesundheits-Apps entwickelt, zeigt Perspektiven für eine Welt, in der man auch die nächtlichen Träume aufzeichnen kann.
Produktion: Timur Diehn
Postproduktion: Christian Slezak
für den Bildungskanal des Stifterverbandes
Der Wille des Menschen wird nicht durch irgendwelche Apps gesteuert, auch wenn das viele Menschen manchmal glauben, dass das so ist, aber das ist nicht der Fall.
Quantified Self bedeutet nichts anderes als die Vermessung des Selbst. Das bedeutet, dass ich verschiedene Daten, die ich tracken kann über mich selber, über mein Verhalten, über das, was ich tue, auch tracke. Im Bereich Gesundheit ist das zum einen die Aktivität, also wieviel ich mich bewege. Zum zweiten ist es die Ernährung: Was nehme ich auf? Welche Nährstoffe nehme ich auf? Wieviel Energie nehme ich zu mir? Wieviel Energie verbrauche ich? Wie ist mein Körpergewicht etc.? Das ist auch der Schlaf, den ich tracken kann. Das sind natürlich Vitalparameter, das heißt meine Blutwerte, mein Blutdruck, meine Herzschlagfrequenz. Alles, was man messen kann, kann man über digitale Sensorik messen. Womit verbringe ich meine Zeit, meine Aufmerksamkeit? Welche Webseiten rufe ich wie oft auf? Wie lange nutze ich WhatsApp und Facebook? Wie verbringe ich meine Arbeitszeit? Mit wem kommuniziere ich? Also alles, was ich über digitale Kanäle oder über vernetzte Geräte mache, kann ich eigentlich tracken. Das heißt, ich kann nicht nur meine Gesundheit tracken, sondern im Prinzip mein ganzes Leben. Das nennt sich dann Life Logging, also wirklich zu erfassen, was mache ich den ganzen Tag? Womit verbringe ich meine Zeit?
Ja, diese Bewegung, die Quantified-Self-Bewegung kommt natürlich wie vieles aus Kalifornien, und der Hintergrund der Menschen, die mit Quantified Self begonnen haben, ist eigentlich der Gedanke: Was ich messen kann, das kann ich verstehen, und das kann ich dann eben auch verbessern. Also, im Prinzip geht es darum, ein besserer Mensch zu werden und die Möglichkeiten, die ich habe als Mensch, ganz gezielt zu steuern, und eine Transparenz zu gewinnen über mein Verhalten. Und um das noch einen Schritt weiter zu denken: Was ist die Vision davon? Die Transhumanistenl, die ich immer sehr gerne anführe, das ist eine philosophische Denkrichtung, bei der man sagt: Die Evolution des Menschen ist noch nicht abgeschlossen, sondern wir werden uns in digital erweiterte Wesen entwickeln. Und dann ist man ganz schnell bei Brain-Machine-Interfaces, das vernetzte Gehirn. Das geht übrigens auch schon. Es gibt im Consumer Market auch schon Geräte, die Gehirnströme messen, und dann gibt es so lustige Apps wie Gaming Apps, wo man mit der Kraft seiner Gedanken irgendwelche Dinge durch den Raum bewegt oder ein Auto steuert. Und das ist dann sozusagen der nächste Schritt, dass Quantified-Self dann auch die Aktivitäten, die wir heute noch nicht messen können, das heißt: die Aktivitäten im Gehirn, Träume etc., all das zu messen, aufzuzeichnen und dann vielleicht auch zu steuern.
Wir befinden uns ja im Gesundheitssystem, weil wir Anwendungen machen für Krankenkassen und für Pharma-Unternehmen. In dieser Branche gibt es im Moment die Wette auf die Zukunft, dass das System in 20 Jahren ganz anders aussehen wird als wie es heute aussieht, das heißt, dass ich nicht mehr für die Behandlung von kranken Personen bezahlt werde, sondern dafür, wieviele Menschen ich gesund halte und, ja, zum gesunden Menschen wieder machen kann. Im Moment werde ich ja incentiviert für die Behandlung von kranken Menschen im gesamten System. Und unsere Services, die wir entwickeln, digitale Präventionsprogramme, Online-Therapieprogramme, therapiebegleitende Programme, Programme, die den Austausch zwischen Patient und Arzt ermöglichen, die zielen tatsächlich genau auf dieses Thema ab, das heißt, die Eigenverantwortung des Menschen zu stärken, des Patienten zu stärken oder des Versicherten zu stärken, welche Person das dann eben auch immer ist. Das heißt, die Eigenverantwortung und Eigenwirksamkeit der Menschen und auch der Organisationen wird hier viel mehr in den Fokus gehen. Das ist die Wette auf die Zukunft, die im Moment jeder macht, der in digitale Services im Gesundheitssystem investiert.
Die Idee ist wirklich, irgendwann Daten zu erheben, also zu verstehen, wie verhält sich jemand. Diese Daten, wenn der Patient es wünscht, das ist natürlich Voraussetzung, sehr reguliert, das heißt, die Menschen müssen einwilligen, dass sie das möchten, diese Daten auch mit dem Arzt zu teilen und dem Arzt eine volle Visibilität zu geben über das, was der Patient tut, so dass er intervenieren kann. Es muss aber nicht nur der Arzt sein, weil das natürlich sehr teuer ist, das können auch andere Personen sein, das kann telefonisch passieren, das kann rein digital passieren, das können aber auch Angehörige sein. Wichtig ist, dass man dieses soziale System designt und digital abbildet. Und ich glaube nicht daran, dass ein digitales Armband, das meine Aktivitäten misst, mich dazu bringen kann, mich mehr zu bewegen, wenn ich diese soziale Komponente nicht dabei habe. Und da gibt es einige Services im Selbstheilermarkt, die das schon sehr gut machen, und die haben ganz verschiedene Ansätze. Es gibt zum einen Wettbewerbscharakter, das heißt, ich messe mich mit anderen Leuten. Das funktioniert nicht für alle. Andere wollen eher Unterstützung, die wollen eine peer group, die wollen sich mit Leuten austauschen, die in einer ganz ähnlichen Situation sind, und sich gegenseitig unterstützen. Wieder andere wollen auch mal ermahnt werden und wollen auch mal, dass jemand den Finger hebt. Das ist ganz unterschiedlich, und die digitale Welt gibt die Möglichkeit, wirklich zu messen: Was funktioniert für wen? Und was ist wann von Erfolg gekrönt?