Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) war angerufen worden, weil im Personenstandsgesetz (PStG) nur die Geschlechterkategorien weiblich und männlich möglich sind. Der Kläger besteht aber darauf, dass er mit diesen Kategorien nicht gemeint sein kann. Er nimmt ein drittes Geschlecht in Anspruch, für das verschiedene Bezeichnungen diskutiert werden, von denen „inter“ als Abkürzung für „intersexuell“ und „inter/divers“ am häufigsten genannt werden. Der Bundesregierung wird vom Gericht aufgetragen, bis Oktober 2018 eine Regelung zu erarbeiten, die dem Anspruch des Klägers Genüge tut. Wir bemerken en passant, dass die Bezeichnung „Kläger“ als generisches Maskulinum hier angemessen ist, denn sie meint „Person, die klagt“, unabhängig von ihrem natürlichen Geschlecht.
Das Gerichtsurteil hat eine breite Diskussion über die Rolle des Geschlechts in unserer Gesellschaft ausgelöst und dabei zu teilweise weitreichenden Schlüssen geführt, weil viele der über 50 geschlechteridentitären Gruppen, die es in Deutschland gibt, sich in ihren Ansprüchen auf geschlechtliche Vielfalt oder auf Abschaffung des natürlichen Geschlechts überhaupt bestätigt fühlen und in dem Urteil den erhofften Anfang vom Ende einer bedeutenden Rolle des natürlichen Geschlechts sehen. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) rief den Gesetzgeber auf, das Urteil durch ein modernes Geschlechtsidentitätsgesetz zu einer umfassenden Reform der bisherigen Rechtslage zu nutzen. „Dreh- und Angelpunkt einer solchen Regelung muss das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung sein“, sagte ihre Leiterin Christine Lüders. Das Gericht habe klargestellt, dass der Schutz vor Diskriminierung nicht nur für Männer und Frauen gelte, sondern auch für Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordneten.
In einem Feuilletonartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ, vom 1. Dezember 2017, S. 11) heißt es, der beschwerdeführenden Person (vulgo „Kläger“) sei es nicht darum gegangen, ein drittes Geschlecht wie inter zu erzwingen, sondern eine Sammelbezeichnung für alle Personen zu etablieren, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, aber auch nicht dauerhaft als geschlechtslos registriert werden möchten.
Beide Wiedergaben des Urteils sind sachlich unzutreffend. In den Leitsätzen des Gerichts, die dem Urteil vorangestellt sind, steht, es gehe um die Rechte von Personen, „die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“. Die oben wiedergegebenen Texte sprechen dagegen offenbar ganz bewusst von Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen, nicht aber wie das Gericht von Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen lassen. Der Unterschied ist gravierend, betrifft er doch einen Grundsatzstreit unter den geschlechteridentitären Gruppen. Es geht um die Frage, ob das Geschlecht eine Sache temporärer subjektiver Erklärung oder ein objektivierbarer Tatbestand ist. In Absatz 1 des Urteils formuliert das Gericht, es gehe um Personen, „deren Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist und die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen“. Damit wird festgestellt, dass die Zuordnung zu einem anderen Geschlecht als männlich oder weiblich nicht zwangsweise erfolgen darf, sondern der Zustimmung der betreffenden Personen bedarf. Voraussetzung hierfür bleibt jedoch, dass es sich dabei um Varianten von männlich und weiblich, also wie oben um einen objektivierbaren Tatbestand handelt.