Der Geruch des Weltalls

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Insa Thiele-Eich (l.) und Thomas Ruff (Foto: Henning Ross)
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Frau Thiele-Eich, Sie waren gerade in Russland zum Astronautentraining. Wie war’s in der Zentrifuge?
Insa Thiele-Eich: (lacht) Das ist eine wahnsinnige Erfahrung! In der Zentrifuge trainiert man den Körper für die Belastungen während des Fluges in der Rakete. Man liegt da mit angewinkelten Beinen in einer geschlossenen Kapsel, und dann fängt die Zentrifuge an, sich zu drehen – immer schneller und schneller. Ich musste starr in eine Kamera über mir schauen, und die draußen im Kontrollraum haben das genau beobachtet: Sobald sie meine Augen nicht mehr sehen, gehen sie davon aus, dass ich ohnmächtig geworden bin.

Thomas Ruff: Wie hoch ist die Belastung, wenn Sie in einer startenden Rakete sitzen?

Thiele-Eich: Da ist man einer Beschleunigungskraft bis zu 6 g ausgesetzt, aber nur für kurze Zeit – das ist das Sechsfache der normalen Belastung. Bei mir ging es in der ersten Trainingsrunde bis 3 g, das merkt man schon richtig. Da muss man vor allem richtig atmen: nicht oben, sondern tief rein in den Bauch.

Ruff: Ich war mal bei einem Zero-Gravity-Flug dabei, das hat richtig Spaß gemacht …

Moment, was ist das, ein Zero-Gravity-Flug?
Ruff: Das ist ein Flug mit einem umgebauten Passagierflugzeug, in dem die Schwerelosigkeit simuliert wird. Dazu zieht der Pilot das Flugzeug zunächst steil im 45 Grad-Winkel nach oben, bis er den Scheitelpunkt der Parabel erreicht hat, und geht dann genauso steil in den Sinkflug. Von außen sieht das atemberaubend aus, fast wie ein Absturz. In der Kabine schweben die Passagiere dann 22 Sekunden lang quasi schwerelos durch den Flieger.

Thiele-Eich: Das ist ja normalerweise nur für Leute, die sich auf Raumflüge vorbereiten. Wie kamen Sie denn da rein?

Ruff: Das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – d. Red.), hat zum 25-jährigen Jubiläum der Parabelflüge ein paar Künstler eingeladen, die sich ein Projekt für die Schwerelosigkeit ausgedacht haben.

Was haben Sie vorgeschlagen?
Ruff: Ich habe mir vorgestellt, ich sei der Mars und meine Kamera ein Erkundungssatellit, der mich fotografiert. Nur war das in der Praxis gar nicht so einfach, den Mars – also mich – in den Fokus zu kriegen, denn die Kamera bewegt sich in der Schwerelosigkeit natürlich auch, wohin sie will. (lacht)

War Ihr Training in der Zentrifuge der Moment, in dem Sie der Faszination der Raumfahrt am nächsten kamen?
Thiele-Eich: Es war allein schon großartig, in Russland durch das Sternenstädtchen zu laufen, dieses legendäre Ausbildungszentrum für Raumfahrer, wo schon Juri Gagarin trainierte. Wir haben auch diese alten Kosmonautenanzüge angezogen: Die riechen richtig nach Weltall, na ja oder eher nach altem Gummi. Sehr nahe kamen wir diesem Gefühl der Raumfahrt dann während unseres Trainings in der Raumfähre Sojus, die dort aufgebaut ist.

Ruff: Wann geht’s denn eigentlich los mit Ihrem echten Flug?

Thiele-Eich: Der Start ist für das Jahr 2020 geplant. Wir sind ja zwei Frauen, die sich zeitgleich vorbereiten, am Ende wird nur eine von uns wirklich mit auf die Internationale Raumstation ISS fliegen. Das ist bei Astronautentrainings so üblich: Falls einer von zwei Kandidaten kurzfristig ausfällt, fliegt der andere.

Herr Ruff, woher kommt bei Ihnen die Faszination für die Raumfahrt?
Ruff: Ich habe mich schon als Kind für Astronomie interessiert. Eigentlich sollte sich jeder dafür interessieren, finde ich: Die Kosmologie kann erklären, woher wir kommen und eventuell auch, wohin wir gehen. Als ich 19 Jahre alt war, hatte ich zwei Optionen fürs Studium: Entweder ich studiere in Heidelberg Astronomie, oder ich gehe an die Kunstakademie Düsseldorf. Nach 13 Jahren in der Schule hatte ich mir gedacht, dass so ein richtiges wissenschaftliches Studium vielleicht ein bisschen anstrengend ist für mich. Außerdem glaubte ich, dass Kunststudenten immer ausschlafen können. Damit stand die Sache fest.

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Thomas Ruff (Foto: Henning Ross)
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Thomas Ruff (59) ist einer der bekanntesten deutschen Fotokünstler. Seine Werke waren auf der Documenta in Kassel zu sehen, auf der Biennale von Venedig und in Einzelausstellungen. In seinen Fotoserien widmet sich Ruff immer wieder astronomischen Themen.

Thiele-Eich: O je, dann habe ich mich falsch entschieden: Ich schlafe auch gern bis elf Uhr. Aber im Ernst: Ich stimme Ihnen absolut zu, dass wir die Kinder an ein grundlegendes astronomisches Verständnis heranführen sollten. Zu begreifen, dass sich die Erde in einem Sonnensystem befindet, dass es noch mehr Planeten und sogar andere Galaxien gibt – ich sehe bei meinen eigenen Kindern, dass sich aus diesem Wissen von allein die existenziellen Fragen herausentwickeln: Wie lange gibt es uns Menschen schon? Woher kommen wir – und gibt es irgendwo da draußen noch anderes Leben? Irgendwann wollen die meisten Kinder mal Astronaut werden.

Wenn Sie jetzt als Erwachsene tatsächlich dort hochfliegen – geht da für Sie ein Kindheitstraum in Erfüllung?
Thiele-Eich: Ich hatte schon als Kind einen etwas anderen Bezug zum Thema, weil mein Vater Gerhard Thiele ja selbst Astronaut ist und ich mit anderen Astronauten großwurde. Das waren alles Freunde meiner Eltern. Dadurch war und ist die Raumfahrt für mich ein normaler Beruf – wenn auch natürlich ein Traumberuf. Ich finde es ungemein spannend, dass man in der Ausbildung Dinge aus verschiedensten Bereichen lernt: Man muss medizinische Untersuchungen an sich selbst durchführen können, wir müssen da oben wissenschaftliche Experimente aus allen möglichen Disziplinen starten. Für mich war deshalb schon immer klar, dass das eine anspruchsvolle Arbeit ist, ein richtiger Beruf.

Sie beide kombinieren die Raumfahrt mit etwas anderem: mit der Wissenschaft oder eben der Fotografie. Herr Ruff, Sie haben Ihre erste Fotoserie über die Astronomie gemacht, als Sie schon ein berühmter Künstler waren. Warum auf einmal dieses Thema, nachdem Sie sich vorher für ganz andere Sujets interessierten?
Ruff: Die künstlerische Fotografie begann mich zu langweilen. Ich fand auf einmal andere Arten von Fotografie viel interessanter, Themen aus der Wissenschaft und der Astronomie zum Beispiel. So kam ich auf die Sterne. Das war 1989, und mir war schnell klar: Mit meiner Kamera und meinem kleinen Fernrohr klappt das nie. Da habe ich an der Universität Bochum die perfekten Negative gesehen, 30 mal 30 Zentimeter groß, die von einem Observatorium stammen. Mit denen ging es los: Ich habe einen Satz Kopien dieser Negative gekauft und sie im Labor bearbeitet. Daraus entstand die Serie Sterne, die von Kritikern begeistert aufgenommen wurde.

Sie haben sich dann immer wieder mit der Astrofotografie beschäftigt.
Ruff: Das Faszinierende daran ist, dass man bei normalen Fotos immer eine Ebene von Vergangenheit abbildet – genau den Bruchteil der Sekunde, in der man auf den Auslöser drückt. Bei der Astrofotografie gibt es aber verschiedene Ebenen von Vergangenheit in einem einzigen Bild: Der eine Stern ist vielleicht vier Millionen Lichtjahre entfernt, der andere acht.

Warum bearbeiten Sie die Fotos, die ja an sich schon faszinierend sind?
Ruff: Nehmen Sie zum Beispiel die Serie M.A.R.S., die ich danach gemacht habe: Das Ausgangsmaterial stammt von einem Satelliten, der den Mars komplett kartografierte. Ich habe diese Bilder gestaucht, sodass eine Pseudoperspektive entsteht. Stellen Sie sich einen Teller vor, den Sie sich direkt von oben anschauen, sodass er zweidimensional erscheint. Dann drehen Sie ihn, bis Sie den Rand im Vordergrund haben und der Rest dahinter verschwindet. Der Betrachter meiner Marsfotos bekommt so den Eindruck, dass er nicht mehr im Satelliten sitzt, sondern im Flugzeug, das sich gerade im Landeanflug befindet. Das ist natürlich reine Fiktion, denn der erste Mensch – ja, wann wird eigentlich der erste Mensch auf dem Mars landen und diese Ansicht haben?

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Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2018
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Eine Aufnahme aus Thomas Ruffs Serie "Sterne"

Thiele-Eich: Hm, vielleicht in 15 oder 20 Jahren.

Ruff: Noch etwas zur Bildbearbeitung: Die Nasa zeigt immer wieder farbige Bilder vom Mars, obwohl die Originalaufnahmen stets schwarz-weiß sind. Ich habe denen mal eine Mail mit der Frage geschickt, ob sie die mit Photoshop bearbeiten. Die Antwort war: Nein, natürlich nicht, sie seien lediglich processed – was auf das Gleiche hinausläuft. Danach fing ich an, meine Bilder ganz verrückt zu kolorieren: Da gibt es jetzt grüne Sanddünen, manchmal auch psychedelisch bunte Szenerien. Diese Arbeiten sind eigentlich Science-fiction: Die Bilder sind zwar wissenschaftlich unseriös, aber durchaus vorstellbar und superschön (holt einen Katalog heraus).

Thiele-Eich: (blättert im Katalog) Dieses Bild hier zum Beispiel könnte man wunderbar in einer Astronomievorlesung hinlegen und mit den Studenten darüber diskutieren. Das hier oben: Sind das Wasseradern? Verlief da mal ein Flussbett? Ich schalte ganz schnell in diese wissenschaftliche Ebene und frage danach, wie ich das Bild einordnen kann, ich suche nach dem Maßstab, um die Größe der Strukturen abzuschätzen.

Ruff: Spannende Fragen. Dieses Bild hier zeigt eine Landschaft von rund zwölf Kilometern Länge von der Marsoberfläche. Zu sehen sind Dünen in einem Krater, und das Kleinste, was man sehen kann, sind Steine mit einem Durchmesser von einem Meter.

Thiele-Eich: Das hier sind Geröllfelder, oder?

Ruff: Ja, genau! Ich sehe übrigens eine große Ähnlichkeit zwischen Wissenschaft und Kunst, das wird mir jetzt gerade deutlich: Wenn ich eine Bildidee entwickle, ist das eine Behauptung, die ich aufstelle – so wie eine wissenschaftliche These. Und dann fange ich an zu arbeiten, ich mache eine kleine Serie, so wie eine wissenschaftliche Versuchsanordnung. Mit ihr will ich immer wieder überprüfen, ob meine Behauptungen richtig sind.

„Meine Bilder sind eigentlich Science-fiction: wissenschaftlich unseriös, aber durchaus vorstellbar und superschön.“

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Thomas Ruff (Foto: Henning Ross)
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Thomas Ruff

Was ist das für eine künstlerische These?
Ruff: Bei allen meinen Serien, so unterschiedlich sie auch sind, versuche ich herauszufinden, wie Fotografie funktioniert. Die Fotografie ist ein Medium, mit dem man viel manipulieren kann, das sieht man ja immer wieder bei der Berichterstattung aus aller Welt. Fotografie ist eine Art von Sprache, und ich versuche, ihre Grammatik zu entziffern.

Frau Thiele-Eich, was braucht ein wissenschaftliches Thema, um Sie zu faszinieren?
Thiele-Eich: Als Meteorologin habe ich den großen Vorteil, dass ich nur rausgehen muss vor die Tür – und bin schon mittendrin in meinem Forschungsthema. In meiner Promotion zum Beispiel habe ich mich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Bangladesch beschäftigt; der Klimawandel ist meiner Meinung nach eines der relevantesten Themen überhaupt.

Herr Ruff bezeichnete die Fotografie vor einigen Jahren mal als „Bewusstseinsveränderungsmaschine“. Ist das eine Beschreibung, die auch auf die wissenschaftliche Arbeit zutrifft?
Thiele-Eich: Ja, auf jeden Fall: Im Idealfall schärfe ich mein Bewusstsein in der Auseinandersetzung mit der Wissenschaft. Wenn ich bei der Beschäftigung mit einer Frage merke, dass meine Hypothese nicht stimmt, verändert das meine Wahrnehmung ein kleines Stück. Für mich ist das eine logische Kette, dieses Fragen und Überprüfen. Aber ich merke immer wieder, dass manche Menschen eine generelle Skepsis gegenüber diesem Vorgehen haben: Es gibt etliche Websites, auf denen der Klimawandel als Fake bezeichnet wird, allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz. Das geht im Extremfall so weit, dass Leute glauben, die Erde sei eine Scheibe.

Wissenschaft bedeutet immer auch harte Arbeit. Erleben Sie dabei so etwas wie Sternstunden?
Thiele-Eich: Ja, unbedingt. Ich koordiniere einen Sonderforschungsbereich am Forschungszentrum Jülich, in dem es um Wechselwirkungen zwischen der Bodenvegetation und der Atmosphäre geht. Mehr als fünfzig Wissenschaftler arbeiten da zusammen, jeder deckt seinen eigenen Teilbereich ab. Und wenn wir dann feststellen, dass die einzelnen Erkenntnisse zusammenpassen wie lauter Puzzleteile; wenn wir dadurch einen Zusammenhang entdecken, den wir vorher nicht verstanden haben – dann sind das solche Sternstunden.

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Insa Thiele-Eich (Foto: Henning Ross)
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Insa Thiele-Eich (34) ist promovierte Meteorologin. Derzeit absolviert sie zusammen mit einer anderen Kandidatin ein Raumfahrttraining – eine von beiden soll im Jahr 2020 zu einer Mission auf die Internationale Raumstation ISS aufbrechen.

Und wie sieht es bei Ihnen aus?
Ruff: Ich arbeite immer an mehreren Serien parallel. Die eine schließe ich ab, arbeite aber schon an der nächsten – und entwickle währenddessen schon wieder eine ganz neue Idee. Manchmal dauert es ein halbes Jahr, manchmal auch zwei Jahre, bis so eine Idee Gestalt annimmt. Und dann sehe ich endlich das erste Bild: In diesem Moment bin ich geschafft und glücklich; ein wunderbares Gefühl.

Frau Thiele-Eich, wenn in zwei Jahren Ihre ISS-Mission beginnt – auf welches Experiment freuen Sie sich dort oben besonders?
Thiele-Eich: Auf eines, das wir mit Schülern gemeinsam vorbereiten: Wir bringen eine Außenbordkamera an, die nach unten auf die Erde schaut. Die Schüler können sie von zu Hause aus selbst steuern, die Ergebnisse werden wissenschaftlich genutzt. Mir ist sehr wichtig, dass wir in die Schulen hineinwirken: Die Schüler und gerade auch Schülerinnen sollen selbst Programme schreiben und erfahren, wie es ist, eigene Daten zu gewinnen und sinnvoll mit ihnen zu arbeiten.

(Das Interview und die Fotoaufnahmen fanden am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR in Köln statt.)

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