Die Vorurteilsbrecher (II)

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Max Seelemann (Illustration: Jaume Vilardell)
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Als ich zum ersten Mal von der Idee hörte, eine neue Textverarbeitung zu programmieren, dachte ich: „Wow, coole Idee! Vielleicht findet man da 50 Kunden, die jeweils ein paar Euro bezahlen – das ist doch ein genialer Nebenjob.“ Da war ich 15 Jahre alt und hatte mich neben der Schule ins Programmieren eingearbeitet. Auf einer Mailingliste hatte ich von dieser Aufgabe gelesen, für die mein heutiger Geschäftspartner eine technische Umsetzung suchte.

Jetzt mache ich einen kleinen Zeitsprung zu einem der besten Momente meiner Berufslaufbahn: Der war im vergangenen Jahr, als ich in San Francisco auf der Bühne stand. Unsere Firma bekam auf der jährlichen Worldwide Developer Conference den Apple Design Award – das ist eine der begehrtesten Trophäen für App-Entwickler, ein Ritterschlag für unsere Idee. Tatsächlich nutzen inzwischen 50.000 Nutzer unsere Schreib-App Ulysses, die von gut einem Dutzend Mitarbeiter bei uns in Leipzig auf dem neuesten Stand gehalten wird.

Wenn ich mich in unserem Büro umschaue, sieht manches typisch nach Start-up aus: Auch wir haben einen Kickertisch, unsere Schreibtischplatten stehen auf Sägeböcken, und alle Leute im Team sind gut drauf. Als ich anfing, erfüllte ich wohl eher das Klischee eines Nerds. Ich saß viel vor dem Computer, brachte mir das Programmieren bei und hatte es bei den Mädels nicht immer ganz einfach. So ging es vielen guten Programmierern, wie sie selbst erzählen: Sie machten eine Phase durch, in der sie nur wenige soziale Kontakte pflegten.

„Durch Fernsehserien wie The Big Bang Theory hat sich das Image von uns Programmierern geändert. “

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Max Seelemann (Illustration: Jaume Vilardell)
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Max Seelemann

Inzwischen ist aber viel passiert: Durch Fernsehserien wie The Big Bang Theory hat sich das Image von uns Programmierern geändert, und auch in den sozialen Netzwerken mischen sich Nerds und Nichtnerds miteinander. Da rückt viel eher in den Blick, dass die Programmierer etwas richtig Sinnvolles und Nützliches beherrschen. Und dass viele richtig coole Leute sind. Ich selbst bin inzwischen übrigens verheiratet und habe drei Kinder.

Für mein Informatikstudium entschied ich mich, obwohl unsere Firma schon gut lief. Die Uni hat mir unwahrscheinlich viel gebracht: Was ich in der praktischen Umsetzung beherrschte, konnte ich nun auch theoretisch verstehen. Eine Promotion, die ich danach anfing, brach ich schnell wieder ab: Ich hatte einfach nicht das Gefühl, dass sie mich irgendwie weiterbringt.

Obwohl unsere App schon viele Jahre auf dem Markt ist, sehe ich immer wieder, wie viel Arbeit sie noch macht. Unser Ziel ist es, das Schreiben toll zu machen, so nennen wir das intern. Oder ganz platt ausgedrückt: Unsere App verzichtet auf die vielen Icons und Schaltflächen von anderen Schreibprogrammen, sie hat eine einfache Optik und kann trotzdem richtig viel. Manche nutzen sie als Notizbuch, andere für ihren großen Roman, wieder andere für wissenschaftliches Arbeiten und manche als App zum Bloggen. Das alles geht damit viel einfacher als mit anderer Software.

Was mich selbst am Programmieren begeistert? Ich kann mit meiner Arbeit eine große Wirkung erzielen. Ich setze mich eine Woche hin, um eine Verbesserung einzubauen – und viele Tausend unserer Nutzer sparen sich damit Tag für Tag ein bisschen Arbeit. Das ist einfach großartig!

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Alexander Giesecke (r.) und Nicolai Schork sind zusammen "The Simple Club". (Illustration: Jaume Vilardell)
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Vorurteilsbrecher (I)

Alexander Giesecke und Nicolai Schork werden als „coolste Nachhilfelehrer Deutschlands“ gefeiert: Sie stehen hinter der Lernplattform The Simple Club. Teil I unserer Serie über Technik-Nerds, die gegen Vorurteile ankämpfen. 

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