Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Fast vier Jahre lang hat Ana Marcu nach ihnen auf der Oberfläche von Zellen im weiblichen Brustkrebsgewebe gesucht – und so viele gefunden, dass sie am Ende ihrer Promotion der Medizin eine Sammlung schenken konnte, welche die Brustkrebsbehandlung einmal einige Schritte voranbringen könnte. Und das, obwohl sich die 30-jährige Biochemikerin in dieser Zeit in Tübingen auch noch um die nicht immer einfache „Diva“ kümmern musste. Aber beginnen wir von vorn.
Impact of Science
Detektivarbeit im Labor

Es passt, für beide Seiten, menschlich und fachlich, man ist begeistert. Und so macht Ana Marcu auch ihre Masterarbeit am Institut. Dann eröffnet sich die Möglichkeit, im Rahmen einer Doktorarbeit die sogenannten HLA-Peptide (HLA steht für das Humane Leukozyten-Antigen-System) auf Zellen im weiblichen Brustgewebe – gesunde Zellen und Tumorzellen – genauer zu untersuchen.
HLA-Peptide sind Proteinfragmente, die auf der Außenseite menschlicher Zellen „präsentiert“ werden und gewissermaßen zeigen, was im Zellinnern geschieht. Durch den Körper patrouillierende Immunzellen erkennen das HLA-Peptid und wenn es nicht besonders auffällig ist, ziehen die Immunzellen weiter.
Mehr als 42.000 solcher HLA-Peptide findet Ana Marcu auf Tumoren der Brustkrebspatientinnen. Ana Marcu soll und will herausfinden, welche HLA-Peptide man auf kranken, nicht aber auf gesunden Zellen findet – die Unterschiede. Im nächsten Schritt geht es darum, solche HLA-Peptide zu identifizieren, die auf möglichst vielen Tumorgeweben zu finden sind, und zwar nur dort – die Gemeinsamkeiten.
Die Idee: Das Immunsystem gegen Krebszellen trainieren
Die Idee dahinter ist eine spezialisierte Therapie: Wenn man weiß, welche HLA-Peptide ausschließlich auf Brustkrebsgewebe vorhanden sind, wäre das enorm interessant für eines der großen Zukunftsfelder in der Krebsforschung, in der Medizin allgemein: die Immunonkologie. Bei der Immunonkologie versucht man, Teile des Immunsystems – das können körpereigene Immunzellen sein, aber auch künstlich hergestellte und verabreichte Antikörper – gegen Krebszellen zu sensibilisieren. Anhand von HLA-Peptiden, die charakteristisch für den Tumor sind, könnte man das Immunsystem der jeweiligen Patientinnen und Patienten gezielt in diese Richtung trainieren. Eine Art Krebsimpfung für Patientinnen und Patienten, die bereits erkrankt sind.
Um zu verstehen, was auf gesundem Gewebe präsentiert wird, wird Ana Marcu im Rahmen ihrer Promotion zusätzlich den ersten öffentlichen Atlas an HLA-Peptiden erstellen, welcher 227 gesunde und gutartige Gewebe abdeckt. Dieser Atlas ist der erste Schritt, der es im Umkehrschluss erlaubt, fundiert sagen zu können: „Dieses Peptid kommt nur auf dem Tumor vor.“
„Ich habe eine Menge Erfahrungen und Wissen und auch ein paar Freundschaften gewonnen.“

Zu Beginn der Forschungsphase im Labor fehlt ihr aber vor allem eines: Gewebeproben. Philipp Wagner, Gynäkologe aus der Universitätsfrauenklinik, verspricht ihr, Bescheid zu geben, wenn eine Probe da ist. Schon nach ein paar Tagen kommt die erste WhatsApp-Nachricht von der Klinik: „Heute gibt’s Mamma-Gewebe vor OP-Saal 1.“ Ana Marcu lässt alles stehen und liegen und läuft mit einer Kühlbox an den Ausgang des OP-Saals – einige Minuten später hat sie ihre Proben. Insgesamt 47 Proben erhält sie in den kommenden Jahren auf diese Art und Weise, 37-mal waren es Tumorzellen, zehnmal war es gesundes Brustdrüsengewebe.

Von harter Arbeit und Forscherglück
Die Arbeit im Labor ist in mehrerlei Hinsicht fordernd. Da sind einmal die experimentellen Analysen der Proben selbst, das Gewinnen der Daten, welche HLA-Peptide auf den jeweiligen Proben waren. Jede Analyse läuft einige Tage und es braucht einige Durchgänge, bis eine Probe vollständig analysiert ist. Und dann geht es ans Suchen: Welche HLA-Peptide tauchen wo auf? Wo gibt es welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Das ist keine reine Fleißarbeit mehr, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung. „Die jeweils richtigen Peptide herauszusuchen und zu vergleichen und die Spektren zu bestätigen, das waren immer sehr kniffelige Stunden“, erinnert sich Ana Marcu. Aber am Ende hält die „Detektivarbeit“ manchmal auch Ausbrüche von Glücksgefühlen bereit: „Als ich alle Proben endlich zusammen ausgewertet hatte und bei einem HLA-Peptid gesehen hatte, dass es bei zwölf der 37 Tumorproben vorkam und auf keinem gesunden Gewebe – das war ein Wahnsinnsgefühl!“ Forscherglück, hart erarbeitet mit unzähligen Wochen und Wochenenden im Labor.
Inzwischen kümmert sich einer ihrer Nachfolger um die Diva. Seit Januar war Ana Marcu nicht mehr im Labor, das alles liegt jetzt hinter ihr – und zugleich begleitet es sie weiter: „Ich habe eine Menge Erfahrungen und Wissen und auch ein paar Freundschaften gewonnen“, sagt sie. Und auch ihre Doktorarbeit, die sie Ende 2020 abgab, wird sie weiter begleiten. Der Atlas der HLA-Peptide aus gesundem und gutartigem Gewebe hat in der Szene bereits für Aufsehen gesorgt. Denn Ana Marcu konnte durch den Vergleich der Datensätze der gesunden Zellen und der Krebszellen eine Reihe von HLA-Peptiden finden, die spezifisch auf bestimmten Brustkrebsproben vorkommen und gemeinsam für mehrere Subtypen und Patientinnen waren. Viele dieser brustkrebsspezifischen HLA-Peptide sind jeweils Sprungbretter für die Entwicklung neuer, wirksamer Therapien gegen bestimmte Brustkrebsarten.
Für Ana Marcu dürfte der Atlas noch einige Türen öffnen. Sie plant, ihren Postdoc in Kalifornien zu machen, und hat sich dort bei verschiedenen renommierten Unis beworben. Sie ist bereits in Gesprächen. Unsicher scheint nicht, ob sie dorthin geht, sondern wann sie in Kalifornien bei welcher Forschungseinrichtung anfängt.
