„Wir können heute Gebäude konstruieren, die keine Energie mehr verbrauchen. Das Know-how und die Technik sind da.“ Der das sagt, muss es wissen. Denn Christoph Kuhn ist Architekt und leitet das Fachgebiet Entwerfen und Nachhaltiges Bauen an der TU Darmstadt. Die Energiebilanz des Bausektors sei heute dennoch ernüchternd. Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland entfallen auf Neubau und Instandhaltung von Gebäuden – einschließlich Heizung, Klimatisierung und Beleuchtung. „Für die ökologische Wende ist Bauen also ein großer Hebel“, so Kuhn.
Impact of Science
„Nachhaltiges Bauen ist nicht nur eine Frage der Technik“


„Wir können heute Gebäude konstruieren, die keine Energie mehr verbrauchen. Das Know-how und die Technik sind da.“

Gebäude der Zukunft
In Darmstadt, wo seit mehr als 25 Jahren das erste Passivhaus Deutschlands steht, probt er mit seiner Forschung den Perspektivwechsel. Sein Credo: „Wir müssen in der Betrachtung heute weg vom Einzelgebäude hin zum Quartier.“ Dazu müssten Gebäude in Zukunft Energie besser speichern und selbst mehr Energie produzieren. Und Energieüberschüsse, wie beispielsweise Abwärme aus der Produktion fürs lokale Netz bereitstellen. Der Forscher ist überzeugt: Im Versorgungsnetz der Zukunft, das sich aus erneuerbaren Energien speist, kommt Gebäuden eine wichtige Rolle zu – sie werden vom Consumer zum Prosumer.
Kuhns großes Forschungsprojekt ist der Darmstädter Campus Lichtwiese. Auf dem Areal im Osten der Stadt dominiert eine heterogene Bebauung – mit Forschungseinrichtungen, Laboren und Hörsälen für rund 12.000 Studierende, die hier für Maschinenbau, Chemie, Bauingenieurwesen, Architektur und mehr eingeschrieben sind. „Wir haben hier eine Testinsel“, freut sich Kuhn. Geforscht und simuliert wird interdisziplinär mit anderen Fachgebieten der TU Darmstadt.
Ein gasbetriebenes Blockheizkraftwerk versorgt den Campus heute über ein 14 Kilometer langes Fernwärmenetz mit Wärmeenergie und Strom. Der fossile Energieträger soll ab 2030 abgelöst werden. Wie das gelingen kann, soll Kuhns Forschung exemplarisch klären. Bis 2050 soll der Campus nahezu klimaneutral bewirtschaftet werden.
Das hat Auswirkungen auf das gesamte Wärmenetz. Wo die Netztemperatur gesenkt werden kann, lässt sich deutlich Energie sparen. Der Architekt weiß aber auch: Energetische Sanierung und nachhaltiges Bauen sind nicht nur eine Frage der Technik. Für eine breite Akzeptanz der ökologischen Wende im Bauen brauche es auch eine gute Gestaltung. „Man muss nachhaltige Konzepte mit guter Architektur verbinden“, fordert Kuhn. „Sonst lässt sich das alles nicht durchsetzen.“
Spezielle Fassaden

Die TU hat Kuhns Professur am Fachbereich Architektur mit eigenen Mitteln verstetigt und Kuhn auf Lebenszeit berufen. Über die Goldbeck Stiftung entstand gleich anfangs der Kontakt zum gleichnamigen Bauunternehmen. Der Systembauspezialist mit westfälischen Wurzeln ist für die Darmstädter ein wichtiger Partner. „Wir bekommen Einblicke und Impulse und können in der Forschung die brennenden Fragen aus der Praxis aufgreifen“, erklärt der Wissenschaftler. Eine Einflussnahme auf die Forschung gab und gebe es nicht. Gemeinsam mit dem Industriepartner hat Kuhn im öffentlich geförderten Projekt benefit E2 an der Integration von Solarenergie in die Gebäudehülle geforscht. Eine Fortsetzung mit einem Fassadenspezialisten ist für die Zukunft geplant.
„Die Energiefrage darf unsere Architektur nicht auf technische Lösungen reduzieren.“

Kuhns Ziele sind heute klar gesteckt. Er will das Thema Nachhaltigkeit im Bau noch weiter in die Breite tragen. Ökologie und Architektur müssten dabei im Gleichklang schwingen. „Die Energiefrage darf unsere Architektur nicht auf technische Lösungen reduzieren. Im Gegenteil, sie sollte neue spezifische und damit vielfältige Gestaltungsoptionen eröffnen“, stellt der Forscher klar. Von der Politik wünscht er sich durchaus noch ehrgeizigere Ziele. „Aber die Wege dahin muss man offenlassen“, betont Kuhn. „Nur so sind Forschung und Innovation möglich.“
