Lassen sich solche hehren Ziele überhaupt herunterbrechen auf die Ebene eines einzelnen Stadtviertels, so wie Sie das in der Karlsruher Oststadt versuchen?
Nachhaltigkeit soll nicht in der Nische bleiben und wir sind auch keine Selbsthilfegruppe. Wir versuchen, den Nachhaltigkeitsgedanken bei uns in die Breite zu tragen – und das tun wir, indem wir ganz unterschiedliche Themen ansprechen und die verschiedensten Veranstaltungen anbieten. Wir richten uns also nicht nur an Umweltschützer oder Fahrradaktivisten, sondern sprechen beispielsweise auch mal unspezifisch ein älteres oder junges Publikum an oder auch Unternehmen und öffentliche Verwaltungen.
Werden Sie doch bitte einmal ganz konkret: Was hat sich denn seit Bestehen des Reallabors in der Oststadt verbessert?
Wir wollten im normalen Karlsruher Stadtleben starten und es in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln. Da sind an vielen Stellen Änderungen zu sehen – vermeintlich unspektakuläre Dinge, die aber doch großen Einfluss haben. Ein Reparaturcafé etwa, ein Nachbarschaftstreff oder eine Gruppe, die ein Label für Secondhand-Ware entwickelt. Ich habe das noch nie gezählt, aber es sind bislang sicher weit mehr als 30 solcher Impulse von unserem Reallabor ausgegangen.
Impact of Science
„Wir arbeiten hart daran, dass wir überflüssig werden“


„Nachhaltigkeit ist als theoretisches Konstrukt für Wissenschaftler handhabbar, aber sie ist eben sehr fern vom Alltag. Wie man das Thema übersetzt und auf die Straße bringt, habe ich erst im Reallabor gelernt.“

Und wie ist es bei den Unternehmen, die Sie ja ansprachen – was ändert sich dort?
Da geht es langsam voran, zugegebenermaßen. Unternehmen müssen ja Gewinn machen und haben damit Einschränkungen, die es fast unmöglich machen, Nachhaltigkeit in aller Tiefe umzusetzen. Aber es gab über all die Jahre immer wieder insbesondere kleinere, lokale Unternehmen, die gern mit uns zusammengearbeitet haben. Und ich beobachte in jüngster Zeit, dass Nachhaltigkeit auch für große Firmen immer wichtiger wird. Von einem DAX-Unternehmen bis zu größeren Mittelständlern kommen inzwischen immer mehr Unternehmen auf uns zu und melden Beratungs- und auch Änderungsbedarf an. Wir sehen, dass sich auch die Ökonomie Stück für Stück in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt.
Was haben Sie denn selbst durch das Reallabor über Ihr großes Forschungsthema, die Nachhaltigkeit, dazugelernt?
Ich war tief verhaftet in wissenschaftstheoretischen und ethischen Fundierungen von Nachhaltigkeit. Dann bin ich sozusagen langsam wieder aufgetaucht in die Praxis (lacht). Das war schon ein großer Lernprozess: Nachhaltigkeit ist als theoretisches Konstrukt für Wissenschaftler handhabbar, aber sie ist eben sehr fern vom Alltag. Wie man das Thema übersetzt und auf die Straße bringt, habe ich erst im Reallabor gelernt.
Sind Sie denn als Forscher in der Karlsruher Oststadt ausschließlich Beobachter der Prozesse, die Sie mit Ihrem Reallabor angestoßen haben – oder nicht auch Akteur?
Wir sind beides, und das macht die Laborarbeit gleichermaßen schwierig wie spannend. Für mich ist das aber eine großartige Kombination: Wir können zugleich wertvolles Wissen erzeugen und auch noch in der Praxis etwas ändern.
Gibt es denn ein Ziel, das Sie in den kommenden Jahren erreichen möchten?
Wir arbeiten hart daran, dass wir überflüssig werden. Aber ich glaube nicht, dass das in den nächsten 30 Jahren passieren wird, weil wir einfach noch dermaßen weit von einem nachhaltigen Zustand unserer Gesellschaft entfernt sind. Die Arbeit wird uns so schnell wohl nicht ausgehen.
Oliver Parodi bei Forschergeist
Im Juni 2019 war Oliver Pardi bereits im Stifterverbands-Podgast Forschergeist zu Gast, um von seinem Reallabor zu berichten. Hören Sie hier das ganze Gespräch.
Der Podcast „Forschergeist“ bietet Einblicke in die Arbeit von Wissenschaftlern und versucht auszuloten, was Forschergeist ausmacht: Neugier, Ausdauer und Mut. Moderiert wird der Podcast von Tim Pritlove. Er ist über alle üblichen Podcast-Verzeichnisse abonnierbar (zum Beispiel iTunes) und auch direkt im Webplayer zu hören.
