Zurück nach Bayern. Anna Schober ist in den Bergen aufgewachsen. Seit sie denken kann, ist sie mit ihren Eltern wandern gegangen. Seit ihrer Geburt ist sie Mitglied des Deutschen Alpenvereins, bis zu ihrem 18. Geburtstag als Familienmitglied, dann als eigenständiges Mitglied.
Geflüchtete, die wandern gehen? „Nicht bei allen sind wir mit der Idee auf Zustimmung gestoßen“, sagt sie. Dass Menschen die Berge und Wälder, das Bewegen in der freien Natur nicht wie sie selbst als etwas Positives wahrnehmen, habe sie erst verstanden, als sie ihren Job als Koordinatorin begonnen habe. „Für Geflüchtete ist Wald oft völlig anders konnotiert. Manche kommen aus Ländern, in denen dort gefährliche Tiere leben, andere mussten sich auf ihrer Flucht im Wald verstecken“, sagt sie. Auch warum man aus reinem Vergnügen die körperlichen Strapazen auf sich nehmen sollte, Berge hinaufzuklettern, könnten manche Geflüchteten schwer nachvollziehen. Freie Zeit sei in ihrer Heimat rar und werde genutzt, um sich auszuruhen, haben sie ihr erzählt.
Für die Angebote des Vereins finden sich nichtsdestotrotz Teilnehmer für die kürzeren und längeren Touren, für die Wanderungen durch Naturschutzgebiete und die Schneewochenenden, die Radexkursionen, Kletternachmittage und Waldpflanzaktionen mit Einheimischen. Fast 50 Ortsvereine bieten Veranstaltungen an. „Ideal sind Gruppengrößen von zehn bis zwölf Teilnehmern, von denen die Hälfte Bayern sind. Dann ist der Austausch am besten“, sagt Anna Schober.
Die Resonanz sei gut. Seit August haben etwa 700 Teilnehmer mitgemacht, regelmäßig gehen insgesamt 40 bis 50 Geflüchtete und Einheimische auf Tour, berichtet die Koordinatorin. Die Einheimischen, das seien vor allem junge Bayern, die ihr Hobby mit sozialem Engagement verbinden, und Ruheständler, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Die Geflüchteten sind meistens Männer zwischen 18 bis 28 Jahren. Das gemeinsame Wandern schafft nicht nur soziale Kontakte. „Darüber kann sich auch der Einstieg in einen Job ergeben“, sagt die 28-Jährige. Wenn man jemanden sympathisch finde, engagiere man sich auch eher dafür, dass er Arbeit bekomme.
Der Deutsche Alpenverein ist fast 150 Jahre alt – und muss nicht, wie manche anderen traditionellen Vereine in ländlichen Regionen, über sinkende Mitgliederzahlen nachdenken. Allein vom Jahr 2015 bis zum Jahr 2016 sind fast fünf Prozent neue Wanderer dazugekommen. Inzwischen hat er über 1.184.000 Mitglieder, die in 335 regionalen Vereinen eingetragen sind.
Mit dem Projekt versuche man nicht in erster Linie Migranten als Mitglieder zu werben, sagt Anna Schober. Anders als jeder zehnte Sportverein, der laut ZiviZ-Survey Zugewanderte für sich gewinnen will und deshalb seine Angebote durch Integrationsbeauftragte oder interkulturelle Trainings mehr auf Zugewanderte ausrichtet. Und doch wünscht sie sich, dass die Teilnehmer aus Syrien, Eritrea oder Somalia irgendwann einen Antrag stellen.
Erfolgreiche Integration, das heißt für die Autoren des Surveys, dass Vereine ihre Organisationskultur ändern müssen, damit Zugewanderte nicht nur Mitglieder werden, sondern mit der Zeit auch Aufgaben übernehmen und mitentscheiden im Vorstand oder Beirat. „Auch das Projekt des Deutschen Alpenvereins soll dorthin führen“, sagt Anna Schober.
In der Bevölkerung komme das Projekt gemeinhin gut an. Teilnehmer schreiben ihr, dass die Zeit in den Bergen eine schöne Erfahrung gewesen sei. Nur an die Kommentare vom „rechten Rand“, die sich immer wieder in ihrer Mailbox finden, will sich Anna Schober nicht gewöhnen.
Von den vier Eritreern, mit denen sie durch die Berge wandert, sind drei inzwischen als Flüchtlinge anerkannt, haben Asyl beantragt und sind in eigene Wohnungen gezogen.