Kalifornien erlebt eine der größten Dürren der vergangenen Jahrzehnte, auch in China und Afrika wird das Grundwasser knapp, Wüstenflächen wachsen hingegen an. In vielen Regionen der Welt geht dadurch wertvoller Ackerboden verloren. Große landwirtschaftliche Betriebe sind ebenso von dieser Entwicklung betroffen wie Agrarkonzerne und Millionen Kleinbauern. Schon warnen Experten und Thinktanks, dass die globale Nahrungssicherheit in Kürze gefährdet sein könnte. Zu Recht?
Tatsächlich müssen sich moderne Landwirte einer ganzen Menge Herausforderungen stellen: Sie müssen mit Frost, Dürren und anderen Symptomen des Klimawandels ebenso zurechtkommen wie mit der „Notwendigkeit“ der modernen Landwirtschaft, eine Vielzahl von Pestiziden und Herbiziden in enormer Menge zu verwenden. Sie benötigen auch täglich die richtige Menge an Wasser zu einem günstigen Preis. Und dann ist da das Problem, dass Nahrung weltweit transportiert werden muss, denn zum ersten Mal in der Geschichte lebt die Mehrheit der Menschen in immer weiter wachsenden Metropolen – mit bis zu 20 Millionen Einwohnern. Man muss also ständig anwachsende Mengen an Nahrung in die Lebenswelt der Menschen hineintransportieren – mit großem Aufwand und jeden Tag.
Hightech-Landwirtschaft gegen den Hunger der Welt

Diese Art der Pflanzen- und Nahrungsmittelproduktion ist vor allem technologiegetrieben: Pflanzen gedeihen in künstlicher Bestrahlung durch ein riesiges Aufgebot von LED-Lampen. Mikrosensoren messen Temperatur, Feuchtigkeit und Sauerstoffgehalt, um sicherzustellen, dass jede einzelne Pflanze unter optimalen Bedingungen wächst. Die Produktion läuft ununterbrochen durch alle vier natürlichen Jahreszeiten hindurch. Ist das überhaupt noch Landwirtschaft?
Tatsächlich verbinden wir Gartenbaukunst, Ingenieurwissenschaft und Big Data zu einer neuen Art wissensgetriebener Pflanzenproduktion. In den Indoorbetrieben sind Zuchtfelder mit Zehntausenden Sensoren ausgestattet, welche Temperatur, CO2-Gehalt und Nährstoffe wie Nitrogen, Phosphor und Kalium ständig messen. Ingenieurteams arbeiten mit Pflanzenwissenschaftlern und Biologen, mit Elektrikern, Mechanikern, aber auch mit Experten für Lichttechnik und mit Spezialisten für Programmierung zusammen. Bei unseren Meetings geht es oft eher um Fragen der Statistik als etwa um Fragestellungen aus dem traditionellen Gartenbau. Zu jeder einzelnen Ernte verarbeiten unsere Wissenschaftler 30.000 Datenwerte. Aufgrund der ständig wachsenden Erfahrungswerte können sie dabei entscheiden, wie sie die Pflanzen besser unterstützen können; zum Beispiel, indem sie zu einem bestimmten Zeitpunkt die Feuchtigkeit verändern, mehr oder weniger Wasser oder eine unterschiedliche Kombination von Lichtfrequenzen zuführen.
Unsere Hauptaufgabe ist es also, vor allem die Steuerung komplex automatisierter Prozesse zu optimieren. Mit der Zeit werden wir all diese Algorithmen, die wir bis jetzt auf über 250 verschiedene Pflanzentypen anwenden, weiter verbessern, um die besten Methoden für Wachstum, für Fotosynthese und für Atmung – in der künstlichen „Nacht“ – zu entwickeln. Die dabei von uns als optimal erkannten Lichtfrequenzen unterscheiden sich übrigens zum Teil von denen der Sonne. Wir analysieren also ständig alle möglichen Variablen, auch um die Textur, den Geschmack, die Farben, den Nährstoffgehalt und die Ernte unserer Pflanzen zu verbessern. Mit der Zeit führt das zu neuen, auch für uns selbst überraschenden Resultaten, zum Beispiel was Frische und Geschmack betrifft.
„Wir verbinden Gartenbaukunst, Ingenieurwissenschaft und Big Data zu einer neuen Art wissensgetriebener Pflanzenproduktion.“
Wie optimieren Sie Ihre Pflanzen denn genau? Und werden Sie in Zukunft auch genetisch modifizierte Pflanzen einsetzen?
Wir haben zurzeit keine Pläne, genetisch veränderte Pflanzen einzusetzen. Und genaue Produktionsdetails kann ich nicht öffentlich machen, nur eben, dass wir unsere eigenen patentierten Methoden ständig weiter verbessern, um unsere Ernten zu optimieren.
Kann man sagen, dass Sie sozusagen Teile der Landwirtschaft verpflanzen, um die Unbeständigkeit von Mutter Natur in den Griff zu bekommen?
Genau. Und dafür benötigen wir auch keinen Humus mehr, also keinen Nährboden. Stattdessen züchten wir unsere Pflanzen auf Textilgewebe, das wir aus recycelten Plastikflaschen entwickeln. Dieses Gewebe hält die Wurzeln der Pflanzen fest, während sie weiter heranwachsen. Das Textilgewebe dient als Wachstumsbehälter und auch als eine Grenze, die sicherstellt, dass die Befeuchtung der Pflanze gezielt an den Wurzeln stattfinden kann. In Kombination ermöglichen uns all diese technischen Optimierungen, die Pflanzenbestände über 24 Stunden täglich und eben durch alle Jahreszeiten hindurch zu bewirtschaften – wie erwähnt ohne jeden Bedarf an Humus, Herbiziden und Pestiziden, mit sehr viel weniger Wasser und einem enormen Zuwachs an Produktivität und Pflanzenvielfalt. Auf einem klassischen Erntefeld kann es mehr als 40 Tage dauern, bis man die ausgewachsenen Nutzpflanzen ernten kann. Im optimierten Indoorproduktionsgebäude können die gleichen Pflanzen in zwölf Tagen gezüchtet werden. Und weil wir das über das ganze Jahr leisten, können wir bis zu 75-mal produktiver sein als mit den traditionellen Methoden.

David Rosenberg im Videointerview (englisch)
Ihre vertikalen Pflanzenfarmen haben eine Achillesferse, und das ist ihr enormer Energieverbrauch: Sie benötigen riesige Mengen an LED-Lampen, weitere komplexe Maschinenparks für Beheizung, Klimaregelung und vieles mehr. Das alles muss 24 Stunden und sieben Tage die Woche ständig in Betrieb sein. Haben nicht solche und andere technischen Herausforderungen dazu geführt, dass Alphabet, die Holding hinter Google, ein ähnliches Projekt aufgeben musste oder dass Nordamerikas erste vertikale Farm VertiCrop 2014 nach drei Jahren Betriebszeit in Konkurs ging?
Das ist eben schon Jahre her. Im Moment verändert sich alles, der technische Fortschritt ist rasend schnell. Nehmen Sie den Erfolg der japanischen Firma Spread mit ihren zum Teil vollautomatischen Indoorproduktionsstätten. Natürlich muss Aeroponic Vertical Gardening als neue Branche bestimmte Energiekosten erreichen, um marktfähige Preise zu erzielen. Wir haben bereits viele neue Wege entwickelt, um bei der Nutzung von Licht, Pumpen und Belüftung Energie viel effizienter einzusetzen. Entscheidend für unseren bisherigen Erfolg war sicher auch, dass die Preise für die LED-Beleuchtung zwischen 2012 und 2014 um 50 Prozent gefallen sind. Wir haben eine technische Revolution in der LED-Beleuchtung und bis zum Jahr 2020 gehen wir von einer weiteren Kostensenkung um 50 Prozent aus – auch weil wir eigene Lösungen entwickeln. In den letzten Jahren haben wir Millionen Dollar investiert, um hier Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Unsere Ingenieure arbeiten mit einigen der größten LED- und Lichtsystementwickler weltweit zusammen. Dasselbe gilt für die Entwicklung verbesserter Systeme für Pumpen, für das Klimasystem und die Belüftung.
Wir verbessern auch die Haltbarkeit dieser Systeme. Ich kann das nicht in allen Einzelheiten erläutern, auch weil es um Wettbewerbsvorteile in einer konkurrierenden Branche geht. De facto unterhalten wir aber bereits das effizienteste energieeinsparende Beleuchtungssystem, das es gibt. Alle diese technischen Errungenschaften haben mit dazu geführt, dass wir in kurzer Zeit mehr als 70 Millionen Dollar Finanzierung einsammeln konnten, darunter von einigen der größten Investoren weltweit wie Goldman Sachs, Prudential Financial, Wheatsheaf Group, Middleland Capital, MissionPoint Capital Partners und GSR Ventures – ein wichtiger Player auf dem chinesischen Markt.
Sie sind ganz schön optimistisch ...
... und das sind wir auch in Bezug auf unsere Ausrichtung auf Europa und Deutschland. Schon heute stehen unsere Ernten bezüglich Qualität und Vielfalt im Geschmack den besten Sorten europäischer Bio-Qualität in nichts nach. Und wir haben erst kürzlich damit angefangen, mit einigen der besten deutschen Maschinenbau- und Ingenieurfirmen zusammenzuarbeiten, um gemeinsam die besten Smart-Factory-Lösungen für das indoor vertical farming der nahen Zukunft zu entwickeln.
