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Joana Breidenbach: Gestalterin aus Leidenschaft

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Illustration: iStock/ Graphorama
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Eine Digitalisierung, die dem Wohle aller dient – ist das vorstellbar? „Dank digitaler Technik organisieren sich Grasroot-Initiativen und NGOs auf überraschend neue Weise“, sagt Joana Breidenbach. „Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien helfen der Zivilgesellschaft, sich besser zu organisieren, sich zu vernetzen und Konflikte effizient zu lösen“, beobachtet die Mitgründerin der Spendenplattform betterplace.org.

In Megacitys wie Rio und Nairobi kämpfen Bürger per Apps und Social Media erfolgreich gegen Korruption oder HIV-Verbreitung. Kleinbauern in Afrika verkaufen per Handy ihre Produkte eigenständig im Web – ohne teure Vermittler und Zwischenhändler. In Südafrika machen Watchdog-Organisationen wie „Corruption Watch“ von sich reden. In Kenia finden Hackathons statt, dabei entwickeln junge Leute erfolgreiche neue digitale Tools – zum Beispiel zur digitalen Wahlbeobachtung. Dann gibt es noch das „Africa-EU YouthLab“ – dieser Ideenworkshop für junge soziale Innovatoren aus Europa und Afrika entwickelt gerade ... und so weiter. In diesem Augenblick fundraisen mehr als 25.000 zivile Organisationen solche und ähnliche Projekte auf betterplace.org, Deutschlands größter digitaler Spendenplattform für zivile Projekte.

Längst geht es der Kulturanthropologin Breidenbach nicht nur um klassisches Spenden, sondern um das konsequente Professionalisieren und Vernetzen einer Branche, die in den letzten Jahren des Öfteren in die Kritik geriet: Gemeint sind Hilfs- und Nicht-Regierungs-Organisationen, die in Krisengebieten und „armen Ländern“ aufwändige und zum Teil intransparente Infrastrukturen und Arbeitsabläufe entwickelt haben; manche Player verbargen dabei sogar eigene Interessen hinter einer Art „Mitleidsindustrie“ – so der bissige Titel des Buches der Journalistin Linda Pohlmann. All dem setzt Breidenbach das konsequente Identifizieren und Bekanntmachen von Best-Practice-Projekten entgegen. Sie hofft auf die Digitalisierung als Startschuss für eine Erneuerung der Community „professioneller Helfer“: „Wir verbreiten Wissen, kämpfen dafür, dass die Digitalisierung positiv genutzt wird, und inspirieren durch gute Geschichten.“ Zivile Initiativen können von digitaler Technik auf vielfältige neue Weise unterstützt werden; von Brasilien über Ruanda bis Indonesien wird Digitalisierung tatsächlich vielschichtiger und demokratischer. Das weist das Betterplace-Team seit Jahren nach. Ein Beispiel ist die ReDi School of Digital Integration, ein soziales Start-up in Berlin. In dieser digitalen Schule lernen junge Flüchtlinge aus dem Nahen Osten oder aus Afrika zu programmieren, sie erhalten außerdem Unterstützung für die ersten Schritte auf dem undurchschaubaren deutschen Arbeitsmarkt. Aus den Seminaren der School ergaben sich spontane Folgeprojekte wie „Bureaucrazy“, entwickelt von jungen Syrern: Die App unterstützt Einwanderer beim Ausfüllen der vielen Unterlagen und soll bald möglichst vielen Migranten beim Verstehen des „Amtsdeutsch“ helfen. 

 

„Wir verbreiten Wissen, kämpfen dafür, dass die Digitalisierung positiv genutzt wird, und inspirieren durch gute Geschichten.“

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Joana Breidenbach (Foto: privat)
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Joana Breidenbach

Ist das alles nun „idealistisch“? Sicher ist: Auf Onlinespendenplattformen wie Betterplace lassen sich Qualitätskontrolle, das Schaffen von begründetem Vertrauen und das Abwickeln der Spenden weit einfacher organisieren. Bis es mit dem Vertrauen in das Angebot von Betterplace so richtig klappte, hat es etwas gedauert. Gerade die deutsche Helferszene war zu Beginn zum Teil skeptisch, erzählt Joana Breidenbach im MERTON-Podcast „Durchfechter“ (s.u.). Neue Möglichkeiten der Digitalisierung wurden von etablierten Playern der Branche sogar „als Bedrohung empfunden“. Kein Wunder: Um die Chancen von Open Democracy und Open Society für sich selbst zu nutzen, um etwa neue Möglichkeiten der Share-Economy gemeinsam weiterzuentwickeln, müssten sich viele „Non-Profit-Organisationen erst einmal selbst tiefgreifend verändern“.

DF005: Joana Breidenbach im Gespräch

Um diese Prozesse zu unterstützen, gründete Joana Breidenbach mit Kollegen das betterplace lab, eine Art Ideenschmiede fürs Digitale. Hier wird zu sozialen Innovationen, zur Digitalisierung, zu New Work geforscht. Es werden Studien erstellt und Workshops organisiert, das Vermitteln erfolgreicher Strategien und neuer Organisationsformen für NGOs gehört zum Selbstverständnis dieses Berliner Think- und Do-Tanks: Wie können Onlinekampagnen besser gelingen? Wie kann man die besten Mitarbeiter finden und durch neue Organisationsformen verhindern, dass die jungen Idealisten „ausbrennen“? Auch das betterplace labtogether – eine Art jährliches Community-Meeting der Szene – schafft neue Gelegenheiten, gemeinsam gute Ideen und Fördermöglichkeiten zu identifizieren. „Die Zivilgesellschaft muss insgesamt selbstbewusster werden. Es gilt, eigenmächtig neue Perspektiven zu entwickeln“, davon ist Breidenbach heute überzeugt. „Raus aus den Silos“ – die Devise liest man in den Analysen des Labs öfters. Für das durchaus idealistische Team bedeutet dies eben auch, mit etablierten Playern der Helferszene zusammenzuarbeiten, sogar mit Corporates, großen Unternehmen aus der kapitalistischen Wirtschaft. Man arbeitet bei betterplace.org also mit Organisationen zusammen, über die manche in der Szene die Nase rümpfen würden – sofern man bei dem neuen Partner den Willen zur Veränderung tatsächlich wahrnehmen kann. Eine Zwischenerkenntnis dieser betont offenen Haltung? „Wer seine Urteile verändern will, muss sich eben neue Erfahrungen suchen.“ 

Neben dem Austausch mit ihrer eigenen „Community“, mit sozialen Innovatoren, Sozialunternehmern und Bürgerrechtlern, ist es Joana Breidenbach wichtiger geworden, die eigene „Filterblase“ schon mal aktiv „auszupusten“. Statt Gutmenschenbewegtes im Außen zu demonstrieren, lässt sie sich auf möglichst viel Austausch ein – gerade mit Andersdenkenden. Beim Durchbrechen der eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten hilft ihr eine fast schon „kühl“ wirkende Art des Beobachtens und Reflektierens. Eine Haltung, die sie sich insbesondere in ihrer Zeit als Kulturanthropologin aneignen konnte, als sie weltweit Kulturen und menschliches Verhalten professionell erforschte und dabei beobachten konnte, wie sich frühe Trends in sozialen Nischen bemerkbar machen. In dieser Zeit als publizierende Geisteswissenschaftlerin on the road – sozusagen ihre erste „Berufung“ – entstand auch der Blick für wirklich realistischen Wandel – heute ihr Markenzeichen.

Die Chance, die eigene Betrachtungsweise der Welt erst einmal für sich selbst zu erschließen, ermöglicht Joana Breidenbach heute ihren Mitarbeitern im Team. Für lab around the world gehen die jungen Leute ab und zu auf Forschungsreise, erleben Best-Practice-Geschichten vor Ort, berichten von gelungenen digitalen Initiativen und NGOs in Kapstadt, Kairo oder Lima. Die besten Geschichten veröffentlicht das betterplace lab (zum Beispiel). 

Bei all diesem Willen zum Mitgestalten wurde dann auch das Lab selbst zum Experimentierraum: Inspiriert von der Lektüre des Buchs Reinventing Organizations von Frédéric Laloux trat Breidenbach kurzerhand vom Posten als Leiterin des Labs zurück. Das Team musste sich mit ganz neuen agilen Organisations- und Führungsstrukturen versehen. Heute findet man im Lab durchaus gelungene kollektiv gesteuerte Teamarbeit vor – transparente Gehälter, selbstbestimmte Arbeitszeiten und hierarchiefreie Entscheidungen inklusive. Das alles ließ sich nicht ad hoc einführen, die „gesteuerte Transformation“ benötigte Jahre. „Wir haben auch keinen kuscheligen Totalkonsens gesucht“, betont Breidenbach, „sondern Abläufe identifiziert, die es jedem Mitarbeiter ermöglichten, unternehmerischund weitgehend autonom eigene Potenziale zu entfalten.“ Flexible Überblicksrollen lösten einst klassisch geteilte Aufgabenbereiche ab. Damit das alles klappen konnte, mussten die Beteiligten zuerst sich selbst und die anderen weit besser kennenlernen. Sie durften dabei auch lernen, eigenverantwortlicher in die Abläufe einzugreifen. 

Radikale Transparenz, gekoppelt mit mehr Selbstreflexion, das fühlte sich schon mal „ruppig“ an, gibt Breidenbach heute gern zu. Und der Lohn all dieser Mühen? Offensichtlich herrscht im betterplace lab extrem gute Stimmung: Man passt aufeinander auf, während gleichzeitig alle hart und viel arbeiten.Das klappt also – Arbeitgeber aufgemerkt! –, aber nur mit einer gehörigen Portion gegenseitiger Wertschätzung, mit viel Selbsterkenntnis und Achtsamkeit. New Work, im Moment in aller Munde, benötigt anscheinend vor allem gute Entscheidungsabläufe und sehr viel Selbstreflexion sowie Empathie für alle Beteiligten. 

Wie man all das in jungen Organisationen sozusagen „herstellen“ kann – auch dieses Know-how geben die Teams von Betterplace gerne an Sozialunternehmer, an die Zivilgesellschaft von morgen, weiter. Man meint es also weiterhin sehr gut mit der Welt. Und man wird immer erfolgreicher dabei. „Ich bin ein neuer Chef, der kein Chef mehr ist“, freut sich Joana Breidenbach.

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Illustration: Graphorama
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