Mal gedrängelt, mal geklaut

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Foto: iStock/ BrianAJackson
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Seit einigen Jahren wird über die Vermittlung von Forschungserkenntnissen durch wissenschaftliche Einrichtungen diskutiert, zusammengefasst unter dem Begriff „Wissenschafts-PR“. Es geht um kritische Fragen: Fördert der institutionelle Wettbewerb um Reputation und Forschungsmittel Übertreibungen und unangemessene Zuspitzung von Forschungsergebnissen durch Pressestellen? Führt das Streben nach öffentlicher Sichtbarkeit von Forschern und Institutionen zur Vernachlässigung wissenschaftlicher Qualitätskriterien? In vielen Foren und Tagungen haben Wissenschaftler, Akademien, Förderorganisationen, Verbände und professionelle Kommunikatoren solche Fragen erörtert. Es wurden gemeinsam Leitlinien für gute Wissenschafts-PR entwickelt, die Eingang fanden in den Debatten über das professionelle Selbstverständnis von Wissenschaftsorganisationen und einzelnen Einrichtungen. Pressestellen in der Wissenschaft sind sich inzwischen der Gebote von Transparenz, Genauigkeit und Verantwortung bewusst.

Und wie halten es wichtige Dialogpartner institutioneller Kommunikatoren, nämlich Journalisten und Redaktionen? Respektieren sie die Notwendigkeit der Differenzierung, kennen sie wissenschaftliche Arbeitsweisen, gilt das Gebot der Fairness? Empirisch ist die Interaktion zwischen institutionellen PR-Stellen und Medien kaum erforscht. Vorerst können Erfahrungen Einzelner nur erste Anhaltspunkte für die Analyse von Routinen und Reibungen liefern. Hier ein knapper Versuch, nach 18 Jahren institutioneller Kommunikationsarbeit in geistes- und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Institutionen.

Grundlage: Vertrauen und Respekt

Die Zusammenarbeit von Pressestellen und Journalisten beruht auf eingeübter Praxis und meist impliziten Konventionen. Grundlage ist dabei ein professionelles Vertrauensverhältnis und idealerweise Respekt vor den Gepflogenheiten des jeweils anderen Mitspielers. Im Alltag funktioniert das Geben und Nehmen meist gut. Sperrfristen werden selten missachtet, selbst seitdem der Deutsche Pressekodex deren Einhaltung nicht mehr als verbindlich auflistet. Wortlautinterviews werden zur Autorisierung vorgelegt, manchmal auch einzelne Forscherzitate über komplexe oder politisch brisante Themen. Mitarbeiter der institutionellen Pressestellen, die zunehmend selbst aus dem Journalismus kommen, vermitteln bei Bedarf. 

Aber es kommt auch mal zu Reibungen und gelegentlich zu Konflikten. Es lohnt sich, diese näher zu betrachten, gerade weil die Kooperation meist reibungslos und produktiv verläuft. Ein Konfliktfall wirkte zunächst wie ein Idealbeispiel vertrauensvoller Kooperation. Eine Redakteurin der tageszeitung (taz) hört am Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) den Vortrag eines jungen Forschers über Inklusion in der Schule. Sie bittet den Referenten um einen längeren Beitrag. Der Forscher und zwei Koautoren liefern fristgerecht den Text, auf Zeile genau. Von der Redakteurin hören sie wochenlang nichts. Bis diese an einem Wochentag kurz nach 13 Uhr anruft: Der Autor solle umgehend einige von ihr vorgenommene Änderungen prüfen und absegnen, der Beitrag gehe dann in Druck. Nur – manche Änderungen kann der Autor nicht akzeptieren, weil sie den Sinn seiner Aussage verzerren. Er möchte natürlich auch die Koautoren konsultieren und kann nicht binnen Minuten antworten. Auf seinen Widerspruch hin droht die Redakteurin: Wenn er nicht binnen einer halben Stunde den Text autorisiere, werde dieser so erscheinen, wie sie ihn redigiert habe. Dieses Ultimatum führt zu einer Situation, wie sie kein Pressesprecher erleben möchte: Ich rufe die Chefredakteurin an. Dass ich sie sofort erreiche, ist reiner Zufall, dass sie helfend eingreift ein Glück. Der Artikel erscheint in der von den Forschern eingereichten Version.

Es kommen andere Tricksereien vor. Ein leitender Redakteur der FAZ veröffentlicht einen ganzseitigen Beitrag über die Arbeit eines Kafka-Forschers, zu Gast bei der American Academy in Berlin. Der Bericht wirkt authentisch, offenbar das Resultat persönlicher Gespräche. Nur: Der Forscher hat schon ein Jahr vor Erscheinen des Artikels Berlin wieder verlassen. Er hat nie persönlich oder telefonisch mit dem Redakteur gesprochen. Die wörtlichen Zitate sind fast vollständig erfunden. Er habe, berichtet der verblüffte Forscher, nur einen sehr knappen E-Mail-Kontakt mit dem Journalisten gehabt. Auf diese Manipulation angesprochen, mailt der Redakteur ganz in der Art des Interview-Erfinders und „Borderline-Journalisten“ Tom Kummer zurück, er wundere sich über die Verwunderung des Forschers. Der Artikel sei doch „bei den Lesern sehr gut angekommen“. Ein paar Jahre später erhält der Journalist für sein „essayistisches Lebenswerk“ den Ludwig-Börne-Preis.

Der Autor

Paul Stoop ist Redakteur im Kommunikationsreferat des Wissenschaftszentrums Berlin, das er von 2005 bis März 2017 geleitet hat. Zuvor war er zehn Jahre Redakteur des Tagesspiegels und sechs Jahre stellvertretender Direktor der American Academy in Berlin.

paul.stoob@wzb.eu

„Neben redaktioneller Produktionshektik und einem problematischen Verhältnis einzelner Journalisten zu Grundregeln der Profession ist gerade die Berichterstattung über brisante aktuelle Themen zuweilen von politischer Voreingenommenheit geprägt. “

Paul Stoop

Neben redaktioneller Produktionshektik und einem problematischen Verhältnis einzelner Journalisten zu Grundregeln der Profession ist gerade die Berichterstattung über brisante aktuelle Themen zuweilen von politischer Voreingenommenheit geprägt. Eine leitende WZB-Forscherin wird von der Redaktion des ZEIT-Magazins am frühen Abend bedrängt, kurzfristig ihre Einschätzung zur steuerpolitischen Idee zweier amerikanischer Forscher zu geben, die Besteuerung geschlechtergerecht zu gestalten. Die Forscherin liest über Nacht das Ökonomen-Papier. Um 7.30 Uhr des Folgetages wird telefoniert. Der Vorschlag verbessere die steuerliche Geschlechtergerechtigkeit nicht, sagt die Forscherin, erläutert den Kontext und begründet ihr Urteil. Kurz darauf erscheint der Artikel. Die Leser bekommen eine unkritische Würdigung des Steuerkonzepts aufgetischt; mit keinem Wort wird die unter Hochdruck erheischte Einschätzung erwähnt – aus „Platzgründen“, wie die Begründung auf Nachfrage lautet. Die kritische wissenschaftliche Stimme wird verschwiegen. Gesucht war offenbar nur eine Claqueurin.

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In der Süddeutschen Zeitung (SZ) veröffentlicht eine junge WZB-Forscherin einen Essay zu einem globalen Gesundheitsthema. Daraufhin befragt ein Journalist des ZDF-Magazins Frontal 21 in einem „Hintergrundgespräch“ die Wissenschaftlerin. Sie erläutert ihre Position, muss dabei aber immer wieder vergröbernden Zuspitzungen durch den Redakteur widersprechen. Sie fühlt sich zu politischen Aussagen gedrängt und spürt die Intention einer Skandalisierung. Die Bitte um ein Interview vor der Kamera lehnt sie daher ab. Daraufhin versucht ein leitender Redakteur, die Wissenschaftlerin doch noch zu einer Aussage zu bewegen – vergeblich. Als „Kompromiss“ schlägt er vor, sie könne doch drei Sätze aus ihrem SZ-Beitrag vor der Kamera verlesen. Aber Verleserin einer Teilaussage in einem möglicherweise verzerrenden Kontext möchte sie nicht sein. Der leitende Redakteur verschärft den Ton und beruft sich auf eine „Auskunftspflicht“ der Forscherin – als vertrete sie eine staatliche Behörde. Seine Ankündigung, im Beitrag ihre „Aussageverweigerung“ zu erwähnen, erweist sich am Ende als leere Drohung.

Manchmal muss sich auch die Justiz mit einem Konflikt befassen. Die ZEIT veröffentlicht eine Reportage zum Thema Raubkopien in der Filmbranche. Die strafbaren Handlungen werden am Beispiel eines Kinofilms detailliert beleuchtet. Der Artikel gipfelt nicht in einem Appell an Politik, Justiz oder internationale Organisationen, sondern in der Verleumdung einer WZB-Wissenschaftlerin. Von ihr wird behauptet, sie halte das Urheberrecht für überflüssig. Damit wird suggeriert, sie rechtfertige kriminelle Machenschaften. Die Forscherin hatte der Reporterin in einem mehrstündigen Gespräch ihre Position erläutert; sie hält keineswegs das Urheberrecht für überflüssig. Auf die Bitte um Richtigstellung geht die ZEIT nicht ein. Vor Gericht erzwingt die Forscherin eine Änderung der Formulierung der betreffenden Passage in der Online-Fassung des Artikels. Die Journalistin erhält für diese Reportage einen Theodor-Wolff-Preis.

Mehren sich solche Fälle? Das lässt sich ohne systematische Forschung kaum sagen. Fest steht aber: Der mediale Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Schlagzeilen, der zu solchen Grenzüberschreitungen verleiten kann, dürfte sich kaum abschwächen. Ein offener Dialog über die Begegnungen im Alltag wäre hilfreich. Denn dass die konstruktive Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher professioneller Perspektiven gelingen kann, zeigt sich auch täglich. Für Forscher und Pressestellen sind Journalisten dann leidenschaftliche und akribische Experten, denen es um das Gemeinsame geht: Wissen, Verstehen und Dialog.

 

LITERATUR:

Paul Stoop: „Diebe, Drängler, Sensationen. Ein Praxisbericht aus der Wissenschafts-PR“. In: Stefan Selke/Annette Treibel (Hg.): Öffentliche Gesellschaftswissenschaften. Grundlagen, Anwendungsfelder, Perspektiven. Springer VS: Berlin 2018, S. 63-78.

Wissenschaft im Dialog (Hg.): Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR. Berlin: WiD Presse-und Öffentlichkeitsarbeit 2016.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in: WZB Mitteilungen, September 2017, Seite 50-51

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