Mit dem Doktorhut auf Jobsuche

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Was macht ein Kafka-Experte in einer Krankenkasse? Was sich wie eine Scherzfrage anhört, ist Teil der Berufsbiografie von Wilko Steffens. Steffens studierte Germanistik, Linguistik und Musikwissenschaft und schrieb seine Doktorarbeit über Kafkas Roman „Das Schloss“. Heute ist der Kafka-Experte bei einer norddeutschen Krankenkasse als Teamleiter für Onlinekommunikation tätig. Was nach einem ungewöhnlichen Berufswechsel eines Wissenschaftlers klingt, ist gar nicht so selten. Gerade mal 15 Prozent der Promovierten verbleiben in Forschung und Lehre – der Rest arbeitet in Wirtschaft, Kultur, Politik und öffentlichem Dienst. Zum Beispiel Anna Schneider (Name geändert): Die promovierte Romanistin arbeitet in einem Chemiekonzern. Dort berät sie Führungskräfte bei Personalthemen.

Wie kommen solche Berufsverläufe zustande? In der Wissenschaft gibt es nicht genug Stellen für alle Nachwuchsforscher. Von 100 Promovierten bekommen – im Mittel aller Fächer – nur drei eine Professur. Auch im sogenannten Mittelbau der Universitäten gibt es nur sehr wenige unbefristete Stellen. Und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) begrenzt die befristete Beschäftigung auf sechs Jahre nach der Promotion. Das heißt: Spätestens einige Jahre nach Abschluss der Promotion müssen sich die meisten Promovierten auf den außeruniversitären Arbeitsmarkt konzentrieren – ob sie wollen oder nicht. Abgesehen davon geben 50 Prozent der Promovierenden schon zu Beginn ihrer Promotion an, dass sie nach ihrem Abschluss am liebsten in „der Wirtschaft“ arbeiten wollen, wie eine Studie des Stifterverbandes belegt. 

Aber wie kommen Promovierte zu ihren Berufen? Hätten Wilko Steffens und Anna Schneider ihre Karrierewege absehen oder gar planen können? Wohl kaum. Während für einen Mediziner die Tätigkeit als Arzt oder für eine Juristin der Beruf als Rechtsanwältin auf der Hand liegen, befähigen geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer nur selten für ein klar festgelegtes Berufsbild. Das gilt natürlich schon für Masterabsolventen. Aber Promovierte sind fachlich hoch spezialisiert, sie sind in der Arbeitswelt der Wissenschaft sozialisiert und bei ihrem Berufseinstieg auch noch deutlich älter. Berufseinsteiger mit Doktorgrad sind Anfang bis Mitte dreißig, wenn sie sich auf dem Arbeitsmarkt umschauen. Dementsprechend steinig gestaltet sich oft der Berufseinstieg. 

 

Verschärfend kommt hinzu: Ein Ausstieg aus der Wissenschaft wird an den Universitäten oft als Scheitern wahrgenommen und von Promovierten nur hinter vorgehaltener Hand thematisiert. Die Universitäten hatten die außeruniversitären Karrierewege ihrer Promovierten lange Zeit nicht im Blick. Während es für Bachelor- und Masterabsolventen Angebote wie Career-Services oder Karrieremessen gibt, werden die Promovierten als künftige Wissenschaftler behandelt – obwohl die Zahlen eine andere Sprache sprechen. Die Folge ist: Viele Promovierte haben keine Ahnung, wie der Transfer auf den außeruniversitären Markt gelingen kann. Auch promovierte Lebenswissenschaftler haben häufig keine Vorstellung davon, wie sie eine Stelle ergattern können. Sie sorgen sich, dass sie einerseits als überqualifiziert, andererseits als vergleichsweise alt und ohne relevante Berufserfahrung wahrgenommen werden. Aber ist das wirklich der Fall? Wie blicken Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels auf diese fachlich hoch qualifizierte Gruppe?

Perspektiven nach der Promotion

Zwei Jahre lang beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe des Universitätsverbands zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland e. V. (UniWiND) mit außeruniversitären Karriereverläufen von Promovierten. Sie porträtierte 13 Promovierte, die in Wirtschaft, Kultur und Politik tätig sind. Außerdem widmete sie sich der Frage, wie Arbeitgeber promovierte Berufseinsteiger wahrnehmen. Die Ergebnisse sind in zwei Bänden publiziert:

Band 1: Perspektiven nach der Promotion. Berufswege außerhalb der Wissenschaft: 13 Porträts. 
Band 2: Perspektiven nach der Promotion. Berufswege außerhalb der Wissenschaft: Arbeitgeber im Gespräch.

 

 

Das war der Ausgangspunkt für den Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland e. V. (UniWiND), die Situation näher zu untersuchen (siehe Infokasten). Die UniWiND-Arbeitsgruppe „Außeruniversitäre Karrierewege" für Promovierte wollte besser verstehen: Wie beurteilen Arbeitgeber aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur promovierte Berufseinsteiger? Wie sehen individuelle Karrierewege von Promovierten außerhalb der Wissenschaft aus? Lassen sich Muster erkennen, wie erfolgreiche Umorientierungsprozesse gelingen können?

Die Perspektive der Wirtschaft

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Foto: Tumisu auf Pixabay
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Die Arbeitsgruppe interviewte über 40 Arbeitgeber unterschiedlicher Bereiche, unter anderem Vertreter von Ministerien, Stiftungen, Unternehmensberatungen, Automobilherstellern und Biotech-Unternehmen. Ein zentrales Ergebnis: Es gibt eine große Bandbreite, wie Arbeitgeber eine Promotion bewerten – von „irrelevant“ über „nice to have“ bis hin zur „Einstellungsvoraussetzung“. Ein Indiz für die Relevanz der Promotion ist der prozentuale Anteil Promovierter unter den Beschäftigten. Den höchsten Anteil an promovierten Beschäftigten – 30 bis 60 Prozent – haben die interviewten Unternehmensberatungen. Im Mittelfeld liegen Stiftungen und Wissenschaftsförderorganisationen mit 5 bis 25 Prozent. Den geringsten Anteil an promovierten Beschäftigten haben Banken, Sparkassen und Versicherungen mit weniger als 2 Prozent. 

Während für viele Positionen ein Masterabschluss völlig ausreicht, gibt es jedoch gute Gründe, warum eine Promotion für Arbeitgeber durchaus relevant sein kann:

  1. Promovierte sind ausgewiesene Fachexperten und für forschende oder fachlich anspruchsvolle Tätigkeiten qualifiziert – wenn sich jemand als Geophysiker auf Naturkatastrophenmodellierung spezialisiert hat, kann das zum Beispiel für Versicherungen interessant sein.

  2. Promovierte sind mit der „Welt der Wissenschaft“ vertraut – das ist für Organisationen wichtig, die mit der Zielgruppe der Wissenschaftler zu tun haben, wie Stiftungen oder Wissenschaftsförderorganisationen.

  3. Das Renommee des Doktortitels wird geschätzt.

  4. Promovierte sind mit der Konzeption von Forschungsprojekten vertraut und haben Kontakte in Forschungseinrichtungen. Sie bringen Projektideen und ein Netzwerk mit.

  5. Die Promotion gilt als Regelabschluss, vor allem in Fächern wie Biologie und Chemie.

  6. Mit der Promotion werden außergewöhnlich hohe methodische, soziale und personale Kompetenzen verbunden.

 

„Es gibt eine große Bandbreite, wie Arbeitgeber eine Promotion bewerten – von 'irrelevant' über 'nice to have' bis hin zur 'Einstellungsvoraussetzung'. “

Bemerkenswert ist, dass die überfachlichen Kompetenzen von Promovierten eher selten genannt werden. Ihnen wird in erster Linie eine fachliche Expertise zugeschrieben. Dabei sind die überfachlichen Kompetenzen ein entscheidender Baustein im Qualifikationsprofil Promovierter (siehe Kasten). Arbeitgeber aller Branchen nehmen eher vermutete Unterschiede in den Blick. In ihrer Arbeitswelt seien Kunden- und Ergebnisorientierung, Wirtschaftlichkeit, Pragmatismus und eine „Hands-on“-Mentalität vonnöten. Mit der Wissenschaft verbinden sie jedoch eher theoretisches Arbeiten, „Tiefenbohrungen“ und Detailgenauigkeit. Es wird die Sorge geäußert, Promovierte hätten keine Vorstellung von der „harten Arbeitswelt“ und ließen sich nur schwer in eine sehr praxisorientierte Umgebung eingliedern. So äußert der leitende Personaler eines Bundesministeriums: „Die Leitung sagt: ‚Ich brauche hier ein Kurzpapier.‘ Da muss man zack, zack in den alten Sachen nachgucken und dann ein schickes neues Papier zusammenschreiben, und da hat man eben auch nicht lange für Zeit, […] und da sind dann Leute aus dem Wissenschaftsbetrieb […], da haben wir immer Fragezeichen.“

Eine Ausnahme bilden einige Unternehmensberatungen, die die Kompetenzen Promovierter explizit schätzen – sie haben entsprechend viele Promovierte in der Belegschaft. Sie betonen den „Drive“, den eine abgeschlossene Promotion belege. Promovierte brächten eine „gewisse Leidensfähigkeit“ mit, sie hätten sich „schon einmal durchgebissen“, was für das Beratungsgeschäft von Vorteil sei. Promovierte gelten als analytisch, strukturiert und selbstständig mit hohem Anspruch an die eigene Leistung. Auch das Renommee wird geschätzt – der Doktortitel signalisiere Kompetenz und Seriosität: „In gewissen Branchen benutzen wir den Doktortitel auch, wenn wir zeigen wollen, dass eine Person sehr senior ist.“

Was empfehlen Arbeitgeber promovierten Berufseinsteigern? Die Antworten sind nicht neu und finden sich in jedem guten Bewerbungsratgeber: Schärfen Sie frühzeitig Ihr Profil, lernen Sie die Arbeitswelt kennen, entwickeln Sie überfachliche Kompetenzen, schließen Sie Ihre Promotion zügig ab und informieren Sie sich gründlich über die Organisation, bei der Sie sich bewerben. Was selbstverständlich klingt, fällt vielen jedoch schwer: „Sie können sich gar nicht vorstellen, in wie vielen Gesprächen ich schon gesessen habe, wo die Leute sich einfach mal auf irgendwas bewerben, aber sich nicht damit auseinandergesetzt haben. Das ist Zeitverschwendung für alle Seiten“, so die Personalerin einer Wissenschaftsförderorganisation. 

Kompetenzen von Promovierten

Promovierte erwerben während der Promotion eine Vielfalt von überfachlichen Kompetenzen: Neben Fachwissen und methodischen Kenntnissen sind es Fähigkeiten im Projektmanagement, im systematischen und selbstständigen Arbeiten sowie in mündlicher und schriftlicher Kommunikation. Dazu kommen Ausdauer, Disziplin, Motivationsvermögen, Lösungsorientierung und Übernahme von Verantwortung. Häufig haben sie in Teams gearbeitet und sind interdisziplinär geschult, haben Studierende angeleitet, sprechen mehrere Fremdsprachen und sind interkulturell bewandert. Viele Arbeitgeber wissen jedoch nicht um diese Kompetenzen, sie nehmen eher vermutete Unterschiede zwischen der Wissenschaft und ihrer Arbeitswelt wahr.

Siehe: Kompetenzen von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern. Entwicklung eines Kompetenzmodells. Sibel Vurgun (Hg.). UniWiND Publikationsreihe Band 6, 2016.

Außerdem haben Promovierte gelernt, sich in der Wissenschaft als Spezialisten zu präsentieren – jedoch kommt es bei vielen Jobs auf ganz andere Fähigkeiten an. Der Vertreter eines Landesministeriums bringt es auf den Punkt: „Leute, ihr müsst von eurem hohen Qualifikationsniveau herunterkommen und euch auf einer anderen Ebene neu qualifizieren.“

Was können Universitäten tun, um Promovierte beim Übergang in ein neues Berufsfeld zu unterstützen? Jahrelang hatten sie lediglich die wissenschaftliche Karriere für Promovierte im Blick. Das ändert sich momentan. Seit einigen Jahren bieten sie zunehmend Coachings, Netzwerkveranstaltungen und Career-Talks an. Vereinzelt gibt es auch postgraduale Weiterbildungen für Promovierte, um sich etwa betriebswirtschaftliche Grundlagen anzueignen.

Die Erfahrung zeigt, dass insbesondere der Aufbau eines Netzwerks für den Übergang entscheidend sein kann. Auch Anna Schneider, die Romanistin, wurde von ihrem Netzwerk auf eine freie Stelle im Chemiekonzern aufmerksam gemacht. Der Einstieg erfolgte über eine Stelle im Vertrieb – sie war fortan für die französischen Kunden zuständig und entwickelte sich über Jahre weiter. Ebenso Wilko Steffens. Er arbeitete nach seiner Promotion zunächst freiberuflich für eine Agentur – auch das war über persönliche Kontakte zustande gekommen. Nach einer weiteren Station landete er dann bei der Krankenkasse. Der Doktortitel war keine Notwendigkeit, doch in dieser eher „konservativen Branche“ durchaus nützlich. Er werde, so Wilko Steffens, „oft als Zeichen für Seriosität“ wahrgenommen.

Die Autorinnen

Anne Löchte arbeitet als Coach und Karriereberaterin. Sie hat sich auf die Unterstützung von Promovierten spezialisiert, die auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen.

Charlotte Reinisch ist als Wissenschaftsmanagerin an der TU Berlin tätig und hat sich auf Projekte zur Förderung alternativer Karrierewege an der Schnittstelle Wissenschaft-Wirtschaft spezialisiert.

 

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