Wir müssen bessere Arbeit finden und nicht nur irgendeine. Im Augenblick betreiben wir Augenwischerei und freuen uns, dass so viele Menschen einen Arbeitsplatz haben. Gleich unter den Jubelstatistiken steht immer warnender, dass die Qualität der Arbeitsplätze zu wünschen übrig ließe.
Zum Beispiel war „Briefträger“ vor 25 Jahren ein ehrenwerter Beruf im Beamtenstand, der damit knapp eine ganze Familie ernähren konnte. Dieser Briefträger kannte alle Einwohner im Bezirk und brachte auch einmal einen Schnack und die neuesten Gerüchte mit. Ja, er (Männerberuf!) war sogar dessen verdächtig, von einsamen Frauen von der Arbeit abgehalten zu werden. Heute hetzen Angelernte und Aushilfsstudenten mit Handnavis durchs Viertel und versuchen, im Laufschritt wenigstens auf den Mindestlohn zu kommen.
Ein anderes Beispiel: Früher hatten wir eine über Jahrzehnte erkämpfte 35-Stunden-Woche. Überstunden wurden bezahlt, besonders hoch am Wochenende. Wir bekamen Weihnachts- und Urlaubsgeld und regelmäßige Beförderungen. Unser Arbeitsplatz war sicher, die Rente ja bestimmt auch, sagte man damals. Heute werden Überstunden nicht mehr so konsequent oder gar nicht mehr aufgeschrieben. Eine Stunde lang E-Mails am Sonntag abarbeiten? Ach, geschenkt. Viele, die ich kenne, arbeiten nun 50 bis 60 Stunden pro Woche („Berater“) und nicht 35. Das ist eine Steigerung um 50 Prozent gegenüber damals, sehr verehrte Damen und Herren! Was hat man uns dafür gegeben? Arbeitsplatzunsicherheit? Ja, und das Gerede von der bitte zusätzlich zu laufenden Extrameile nimmt trotz allem bisherigen Druck noch zu. Schneller! Unfähig und damit selbst schuld, wer zu schnell einen Burnout bekommt!
Was ist passiert? Das Effizienzstreben hat seit vielleicht 1980 alles „schlank“ organisiert. Danach hat es sich der Möglichkeiten der Digitalisierung bemächtigt und ist nun dabei, alles zu dematerialisieren und zu automatisieren. Viele Berufe werden zum Anlernjob und verlieren an Wertschätzung, siehe Briefträger. Digitalisierung ja, aber nur zum Einsparen! Wer dank Digitalisierung daheim arbeiten kann, kann und muss (!) wegen der Wettbewerbssituation durch einen „Inder“ ersetzt werden. Es kommt zum Lohndumping großen Stils – ach, es ist die Globalisierung, sorry! Viele Unternehmen haben es weitgehend aufgegeben, sich um Menschen, Seelen, Wohlstand im Lande, Solidarität, Verantwortung und dergleichen zu kümmern.