Jeder kennt den Ärger über Anglizismen, die unvermutet irgendwo auftauchen, wo es bisher ohne sie ging. Möchte sich jemand an das Akademische Auslandsamt meiner alten Universität wenden, findet er nur noch ein International Office. Oder: Enkel Johann möchte wissen, was ein Kühlelement sei. Als es ihm erklärt wird, sagt er: „Ach so, du meinst ein Coolpad.“ Dass ein Coolpad auch ein Smartphone ist, das man ganz cool bepfotet, braucht er noch nicht zu wissen.
Von Anglizismen umzingelt

Wie viele Anglizismen verträgt die deutsche Sprache?
Schwierig bleibt es, von einer Höchstzahl von Anglizismen zu sprechen. Niemand weiß, was das Deutsche in dieser Hinsicht verträgt, zumal vergleichbare Entlehnungsschübe aus dem Lateinischen und Französischen letztlich nicht geschadet haben. Und wann ist ein Anglizismus überflüssig? Für den Anglizismen-INDEX sind es Tausende. Sehen wir uns nur zwei kleine Beispiele aus der aktuellen Onlineausgabe an (besucht am 3.3.2017). Mainstream wird verdeutscht mit Hauptrichtung, Massengeschmack; und abchecken mit überprüfen, erklären, klären, prüfen. Nehmen wir einmal an, die Zuschreibungen seien realistisch und sprachlich angemessen, dann ergibt sich: Die Anglizismen sind in ihrer Reichweite nur durch mehrere Verdeutschungen mit recht unterschiedlicher Bedeutung abzubilden. Sie haben Bedeutungen, die es sonst im Deutschen nicht gibt, und sind damit alles andere als überflüssig. Das ist nur eins von mehreren Problemen, die sich bei der Verdeutschung scheinbar überflüssiger Fremdwörter stellen.
„Niemand weiß, wie viele Anglizismen das Deutsche verträgt, zumal vergleichbare Entlehnungsschübe aus dem Lateinischen und Französischen letztlich nicht geschadet haben.“
Wann ist ein Anglizismus angemessen?
Versuchen wir es mit dem Begriff Angemessenheit, einem Schlüsselbegriff der jüngeren Sprachkritik. Wann ist ein Anglizismus angemessen? Besonders genau und differenziert wurden Anglizismen in der Werbung untersucht, auch in Hinsicht auf die Gründe für ihre Häufigkeit in diesem Bereich. Man weiß inzwischen viel über sie und kommt beispielsweise zu dem Schluss: „Löst Werbung den Kauf des beworbenen Produkts als ihr intendiertes Ziel aus, dann wurde sie akzeptiert und kann als angemessen betrachtet werden.“1 Da heiligt der Zweck die Mittel. So kommen wir keinen Schritt weiter, weil sich die Frage nach dem Ziel von Werbung stellt. Wir wollen doch nicht Formen wie Rolling Discount, Outperformance, Total Expense Ratio, Asset-Management, Venturecapital, Marketingler, Chief Executive Officer, Certified Foundation and Estate Planner und so weiter als angemessen betrachten, weil man mit ihrer Hilfe faule Wertpapiere verkaufen kann. Die Abneigung gegen Anglizismen speist sich ja gerade zu einem guten Teil aus dem Verdacht, man solle den Zwecken ihrer Verwendung misstrauen.
Warum also folgen die Angesprochenen der Werbung sogar in einem solchen Fall? Die Beworbenen suchen eine Anlage für ihr Geld, sind konsumbereit. Was ihnen gesagt wird, könnte als Information daherkommen, kann aber auch eine Art von Versprechen sein. Versprechen werden glaubwürdig durch Überzeugung oder sogar Überredung. Sprache ist hier nicht gefragt in ihrer Funktion als Mittel zur Darstellung von Sachverhalten, sondern dazu eingesetzt, dass der Sprecher als Person den Hörer als Person erreicht und ihn so (sprachlich) dazu bringt, etwas zu tun. Die Sprachwissenschaft spricht hier vom performativen Akt, der mit einer sprachlichen Handlung vollzogen wird. Verständlichkeit schadet dann möglicherweise eher, als dass sie nützt. Im Beispiel führt das sachlich und sprachlich Fremde zum Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Sprechergruppe, die dem Beworbenen sonst verschlossen ist.
Das lässt sich verallgemeinern. Wenn Altersgruppen, Sozialgruppen oder Berufsgruppen über einen gemeinsamen Sprachgebrauch Zusammenhalt herstellen und sich dabei auf Fremdwörter wie Anglizismen stützen, grenzen sie sich gleichzeitig von anderen Gruppen ab. Grenzen sich Sprechergruppen durch Vermeidung von Anglizismen und den Gebrauch von Latinismen im sogenannten Bildungswortschatz ab, ist das ein Vorgang derselben Art. Zusammenhalt und Abgrenzung sind immer die Seiten einer Medaille. Prinzipiell sind sie zu akzeptieren, solange sie sozial verträglich sind, das heißt sich nicht über andere hinwegsetzen.
Begründungen eines Sprachgebrauchs über das Herstellen von Gruppenidentität hinaus bleiben bei der vorgeführten Argumentation aber bewertbar. Werden Anglizismen aus unlauteren Gründen verwendet, sind sie in keinem vernünftigen Sinn angemessen, sondern kritikwürdig. Zwar wird erneut der Sack (die Wörter) geschlagen, wo man den Esel (die Sprachproduzenten) meint. Das ist besser als nichts, denn wann kommt man schon an den Esel heran.
1 Kupper, Sabine: Zur Funktion und Angemessenheit von Anglizismen in der Werbung. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 7 (2011), 142–159, S. 154.
