Eine gute Woche ist vergangen seit jener Rede kurz nach den deutschen Wahlen, in der der französische Präsident Emmanuel Macron – ebenso wie bereits bei seiner Rede in Athen Anfang September – wichtige neue Impulse für die Zukunft der EU vorgelegt hat. Macron hatte den Zeitpunkt für sein Projekt „Europa 2030“ seit Langem geplant: die deutschen Wahlen noch abwarten, aber dann durchstarten und in guter alter Tandem-Manier, zusammen mit Deutschland, ab in ein anderes Europa. Denn die Statik der EU ächzt inzwischen an allen Ecken und Enden beträchtlich, sodass einem Angst und Bange werden kann: zum beklagten Ende von Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen gesellt sich wohl schon bald eine schwarz-blaue Regierung in Österreich, deren Rechtsruck schon jetzt vermessen werden kann; der Brexit ist nunmehr nur noch als Desaster zu bezeichnen, der mühsam durch Europa befriedete Konflikt um Nordirland droht aufzubrechen und nicht zuletzt wird die staatliche Einheit Spaniens durch die Katalanen zur Debatte gestellt.
Derweil ist in Deutschland nach den Wahlen vor den Wahlen und Europa kein Thema mehr beziehungsweise werden Problematiken rund um Europa auf die lange Bank geschoben. Macrons europäischer Eifer wurde abgebürstet, seine Rede abgewiegelt, seine Vorschläge wurden wahlweise als teuer, unrealistisch, utopisch oder auch als naiv verfemt. Da fragt man sich, ob Deutschland, das sich gerade für eine Jamaika-Koalition wappnet, womöglich zu viel gekifft hat und das THC am deutschen Gedächtnis nagt. Denn Macrons Vorschläge sind trotz des deutschen Getöses weder neu noch häretisch. Im Grunde sind es alles seit Jahren in europäischen Schubladen schlummernde Vorschläge, von Macron in einem europäischen Bouquet neu gebündelt und arrangiert. Es sind Vorschläge, die zum Teil noch der Feder oder dem Gedankengut von Helmut Kohl oder Hans-Dietrich Genscher aus den 90er-Jahren entspringen – aber die sind ja tot – und die noch vor wenigen Jahren mitten im politischen Mainstream der Bundesrepublik angesiedelt waren.