Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
(aus: Erich Kästner: Sachliche Romanze)
Dieses Gedicht aus Erich Kästners Lyrik für den Alltagsgebrauch könnte man heute auf die europäische Demokratie applizieren. Etwas weiter heißt es in dem Gedicht über das Paar, dem die Liebe abhandenkam: „(…) und rührten in ihren Tassen (…) und konnten es einfach nicht fassen.“
So ähnlich dürfte es den meisten europäischen Bürgern – die Nichtpopulisten und die Nichtnationalisten unter ihnen sind immer noch in der großen, aber leisen Mehrheit – heute gehen. Man kann es einfach nicht fassen, mit welcher Lautlosigkeit heute die liberale Demokratie in Europa verlustig geht. Schwupps – und auf einmal ist sie weg. Im Handumdrehen. Und man bemerkt den Verlust immer zu spät. Freiheit, Demokratie oder eben auch Europa, das ist wie Vertrauen, Gesundheit oder Liebe – etwas, dessen Verlust man meistens erst dann bemerkt, wenn es weg ist. Selten werden Dinge wertgeschätzt, wenn man sie hat; sind sie erst verloren, sind sie durch Geld nicht mehr wiederzuerlangen, eben weil sie alle sprichwörtlich unbezahlbar sind. Das dürfte ungefähr dem Zustand in Europa entsprechen, mit Blick auf eine EU, die durch Geld und gute Worte nicht mehr zu retten scheint. Die Hektik, die Aufgeregtheit, mit der die Zivilgesellschaft jetzt auf einmal aufzuwachen scheint, die Fülle an Diskussionen, Onlineforen oder Konferenzen zu dem Thema dürften Ausdruck der Fassungslosigkeit sein: Wie konnte es so weit kommen? Warum haben wir es nicht eher kommen sehen? Wieso konnten wir es nicht verhindern?