„Wir müssen uns mehr einmischen“

Achim Kampker (Foto: medienfabrik/Post DHL)
Achim Kampker (Foto: medienfabrik/Post DHL)
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Herr Kampker, Sie forschen als Hochschullehrer an neuen Technologien und bauen mit einem Industrieunternehmen E-Transporter. Schlagen da zwei Herzen in Ihrer Brust? Was treibt Sie an?
Für mich ist das einfach eine Grundeinstellung, dass wir Dinge tatsächlich bewegen. Ich habe sehr stark miterlebt, dass gerade in Deutschland in vielen Bereichen zwar viel und lange und teils erbittert diskutiert wird, aber dass es zu wenig vorangeht. In der Konstellation Hochschullehrer und Unternehmer kann ich Ideen in die Umsetzung bringen. Das ist etwas, was mir unheimlich Spaß macht. Ich würde mir wünschen, dass es mehr solcher Möglichkeiten gibt.

Als Wissenschaftler ein Unternehmen zu gründen?
Ja, wenn wir in Deutschland weiter erfolgreich sein wollen, dann muss das viel mehr kultiviert werden.

Wie gut sind wir dafür heute aufgestellt? Bekommen Sie ausreichend Unterstützung, durch die Hochschule, oder auch durch die Politik?
Für meinen Einzelfall ist tatsächlich viel Unterstützung von einzelnen Personen da, was ich sehr honoriere. Auf der anderen Seite ist mir auch klar, dass das eigentlich nicht der Normalfall ist. Es gibt keine sinnvollen Prozesse, wie so eine Ausgründung auch mittelfristig laufen kann. Das ist ein Sonderweg und damit eben auch immer mit Risiken verbunden. Das macht es schwierig, dass mehr Wissenschaftler diesen Weg gehen.

Welche Risiken sind das?
Ich bin zwischen zwei Welten unterwegs. Damit das sauber funktioniert, muss mich die Hochschule beurlauben. Parallel eine volle Professur mit Lehrstuhlleitung innehaben und in der Industrie tätig sein, das ist, glaube ich, nicht sinnvoll. Man hat dann für nichts genug Zeit. Die Hochschule kann das tun, wenn das in ihrem Interesse liegt, aber das ist Ermessenssache. Da fehlen klare Kriterien, Regeln und Abläufe. Bei mir ist das sehr positiv gelaufen. Aber diese Gewissheit gibt es einfach nicht.

Zur Person

Achim Kampker, 42, leitet den von ihm gegründeten Lehrstuhl Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen) und ist Chef der Elektromobilitätssparte der Deutschen Post DHL Group. Mit seinem RWTH-Kollegen Günther Schuh hat Kampker 2010 die StreetScooter GmbH gegründet und das gleichnamige Elektronutzfahrzeug zunächst mit einem Industriekonsortium und seit 2015 als Zustellfahrzeug der Post zur Serienreife entwickelt. Seit 2017 entwickelt und fertigt StreetScooter auch E-Transporter für Drittkunden.

Die Forschungsprojekte des PEM im Überblick

Weil mir die Hochschule die nächste Beurlaubung verweigern könnte?
Oder sie stellt Sie überhaupt nicht frei, auch das kann passieren. Wir brauchen hier einen klaren Kriterienkatalog, unter welchen Rahmenbedingungen man so etwas tun kann oder nicht. Das müssten Hochschulen und Länder klären.

Achim Kampker und der von seinem Lehrstuhl entwickelte StreetScooter, der von der Post bereits erfolgreich eingesetzt wird.
Achim Kampker (Foto: medienfabrik/Post DHL)
Achim Kampker (Foto: medienfabrik/Post DHL)
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Sie haben mit dem StreetScooter sehr erfolgreich einen elektrischen Transporter entwickelt und damit klassische Hersteller im Nutzfahrzeugbereich überholt. Was machen Sie als Wissenschaftler anders?
Wir haben grundsätzlich einen anderen Ansatz gewählt und diesen sehr methodisch umgesetzt. Wir wollten nicht nur ein Produkt, ein Fahrzeug, entwickeln, sondern auch die Methoden, das Handwerkszeug dazu, mit dem es schneller geht und mit dem man trotzdem bei den Investitionskosten günstig bleibt. Das ist unsere Forschungsleistung. Daran arbeiten wir nach wie vor.

Dafür haben wir uns eine Nische herausgepickt, die Idee der Branchenlösung. Es gibt heute das Zustellfahrzeug für die Post, aber auch den Pick-up und den Kipper für den städtischen Fuhrpark und das Lieferfahrzeug für den britischen Lebensmittellieferanten Milk & More. Wir suchen bei einer Branche immer nach den besonderen Anforderungen, die dann Alleinstellungsmerkmale beim StreetScooter sein können, beispielsweise die gute Be- und Entladung oder die in Summe geringen Kosten bei Reparatur und Wartung. Wir haben eine Methode entwickelt, wie man das für jede neue Branche schnellstmöglich mit dem gleichen Reifegrad entwickeln kann. Und wir haben dabei immer kleinere Serien von Zehntausender-Stückzahlen im Blick.  

Während es beim klassischen Hersteller um hunderttausende geht.
Ja, sie haben andere Strukturen, andere Prozesse aufgebaut, die auf sehr viel höhere Stückzahlen abzielen. Das kleinteiligere Denken fällt ihnen dadurch deutlich schwerer und ist auch von den Kostenstrukturen her nicht so einfach möglich.

Das Unternehmen StreetScooter gibt es seit 2010, seit 2015 gehören Sie zur Post. Da hätten Sie als Wissenschaftler doch längst sagen können: „Die Gründung hat geklappt, das war’s jetzt für mich.“ Warum ist es Ihnen wichtig, zu bleiben?
Das hat zwei Seiten. Aus der Forscherperspektive ist es wichtig, weil es im Kern nicht nur um das Produkt geht, sondern um die Entwicklungsmethodik dahinter. Daran müssen wir natürlich weiterarbeiten und wir lernen ständig dazu. Wenn ich das nächste Produkt, das nächste Derivat daraus ableite, funktioniert das dann immer noch? Was muss ich eventuell bei meiner Entwicklungsmethodik anpassen? Sprich, das Ganze muss von der Prozesslandschaft her weiterentwickelt werden und da ist die Reise noch nicht zu Ende.

Und was sagt der Geschäftsführer Kampker?
Der weiß, dass wir, wenn wir einmal einen Prototypen entwickelt und hundert Stück gebaut haben, längst noch kein erfolgreiches Produkt haben. Das muss man so weitertreiben, bis man den Beweis eines funktionierenden Unternehmens antreten kann. Deshalb ist es mir persönlich auch noch mal ein Anliegen, den Beweis anzutreten, dass das Gesamtkonstrukt funktioniert.

„Die Industrie hat das Thema Elektromobilität eben nicht vorangetrieben. Würde ich tun, was die Industrie will, gäbe es StreetScooter nicht.“

Achim Kampker (Foto: medienfabrik/Post DHL)
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Achim Kampker
Leiter des Lehrstuhls Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) an der RWTH Aachen und Chef der Elektromobilitätssparte der Deutschen Post DHL Group

Das Thema Elektromobilität kommt in Deutschland nur im Schneckentempo voran. Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?
Weltweit geht es sehr zügig voran, Deutschland hinkt da ein bisschen hinterher. Das liegt natürlich auch daran, dass wir im konventionellen Antrieb sehr erfolgreich sind beziehungsweise waren. Da fällt ein Wechsel schwerer als beispielsweise in China. Ich glaube, es bedarf einer großen Umstrukturierung und Allokation von Ressourcen. Im Augenblick stecken wir noch viel darein, das Bestehende weiterzuentwickeln. Es muss ein schnellerer Wechsel stattfinden: Mehr Ressourcen, Entwicklungskraft, Power und Geld müssen jetzt in die Entwicklung der Elektromobilität fließen.

Auch darüber wird in Deutschland ja schon lang und viel diskutiert.
Ja, und ich denke, wir sind deshalb zu langsam, weil in den Köpfen die Überzeugung fehlt, dass das der richtige Weg ist. In der Politik und in der Industrie müssen wir mehr führende Köpfe installieren, die wirklich an E-Mobilität glauben und das Thema mit Verve vorantreiben – aus Überzeugung. Nur dann werden wir auch schnell sein. Die grundsätzlichen Voraussetzungen, die industrielle Logik, das Können, die Kompetenzen haben wir an den meisten Stellen. Aber es muss mehr Überzeugungstäter geben, die das Thema wirklich aktiv vorantreiben und nicht als Getriebene agieren.

Haben Sie auch deshalb an der RWTH Aachen einen neuen Lehrstuhl gegründet, der das Thema E-Mobilität in Forschung und Lehre vorantreibt?
Es ist das eine, Ideen zu generieren, und das andere ist es dann, das in der Umsetzung Gelernte an die Studierenden weiterzugeben – das ist sehr wichtig und da schließt sich dann eigentlich der Kreis: dass man Dinge in Summe vorantreibt und dann möglichst viele andere ansteckt und befähigt, ähnliche Dinge tun zu können.

Elektroauto mit extrem leichter Karosserie: In der Anlauffabrik des PEM entwickeln die Forscher nicht nur neue Pilotfahrzeuge wie das E-Taxi ACM II, sondern versuchen auch die Produktionsprozesse für den Serienbau zu optimieren.
Foto: PEM
Foto: PEM
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Wenn Wissenschaft und Wirtschaft eng zusammenarbeiten, und Sie tun das sogar in Personalunion, weckt das in Teilen der Öffentlichkeit manchmal auch Skepsis. Erleben Sie eine solche Skepsis? Wenn ja, wie gehen Sie damit um?
Da geht es ja um die Befürchtung, dass Forschung nicht mehr unabhängig ist und nur Forschung im Sinne der Wirtschaft betreibt. Die Skepsis gibt es mit Sicherheit. Und es mag Fälle geben, wo zu viel Nähe nicht gut ist. Aber gerade wir sind ein hervorragendes Gegenbeispiel. Die Industrie hat das Thema Elektromobilität eben nicht vorangetrieben. Würde ich tun, was die Industrie will, gäbe es StreetScooter nicht.

Ganz praktisch organisiere ich meine Arbeit außerdem in Phasen. Ich kann mich jetzt gerade voll auf meine industrielle Tätigkeit und meine Geschäftsführung konzentrieren. Vorher konnte ich entsprechend die Wissenschaft treiben und werde das auch wieder tun. Das ist aus meiner Sicht der richtige Weg. Dann vermischt man Dinge nicht miteinander. Nur so kann man auch eine gewisse Vorbildfunktion haben.

Wofür möchten Sie denn ein Vorbild sein?
Wir brauchen mehr Mut, in die Wirtschaft reinzugehen, Dinge zu verändern, die verkrustet sind. Eben nicht nur das zu tun, was die Wirtschaft auf der Agenda hat. Und genau in diesem Spannungsfeld kann man sich meiner Meinung nach hervorragend bewegen und sich als Wissenschaftler einmischen – für wirklich gute Lösungen, die man dann aber auch beweisen muss. Ansonsten spielt man die Bälle wunderbar ins Nirvana und sagt, jetzt ist der andere dran. Davon müssen wir weg.

„Wir brauchen mehr Mut, in die Wirtschaft reinzugehen, Dinge zu verändern, die verkrustet sind. “

Achim Kampker (Foto: medienfabrik/Post DHL)
Achim Kampker (Foto: medienfabrik/Post DHL)
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Achim Kampker

Denken Sie manchmal an ein Leben nach StreetScooter? Planen Sie schon den nächsten Coup?
Wir sind mit StreetScooter jetzt erst einmal dabei, unser Ökosystem rund um das Thema vernetztes und autonomes Fahren weiterzuspinnen.

Und wovon träumen Sie persönlich?
Mir schwebt eine Stadt vor, in der die Ressourcen, die die Menschen, die dort leben, verbrauchen, auch dort wieder reproduziert werden. Also eine ausgeglichene Bilanz, was Wasser, Lebensmittel und die Energie angeht. Das ist eine Vision, die mich umtreibt. Ich glaube, nur so können wir zukünftig die Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, und die Erde bewahren. Die Elektromobilität ist hierfür ein Baustein. Aber es muss noch viel mehr passieren. Ich möchte mit dafür kämpfen, dass wir dafür Lösungen finden.

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