Aktuell sind die Schulen mit einem teilweise dramatischen Mangel an Lehrkräften konfrontiert. Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger eines Lehramtstudiums ist nach Jahren des Anstiegs in diesem Jahr gesunken. Selbst bei einer hundertprozentigen Erfolgs- und Übergangsquote kann der Bedarf an Lehrkräften auch in den nächsten zehn Jahren nicht gedeckt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Lehrkräfteausbildung bisher den Erwerb unverzichtbarer Future Skills, insbesondere im Bereich der Digitalisierung und in Bezug auf den Umgang mit Heterogenität, nicht verlässlich gewährleistet. Daraus folgt: Die angehenden Lehrkräfte sind nicht (ausreichend) in der Lage, gesellschaftliche Transformationsprozesse erfolgreich zu gestalten und ihre Schülerinnen und Schüler genügend darauf vorzubereiten.
Deutschland droht ein Bildungsnotstand. Dieser wird schwerwiegende Folgen für unsere Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit und unseren gesellschaftlichen Wohlstand haben. Wir müssen perspektivisch mehr Lehrkräfte gewinnen und diese besser auf die anstehenden Herausforderungen vorbereiten. Anlässlich des bildungspolitischen Spitzengespräches appelliert der Stifterverband deshalb an die verantwortlichen Ministerinnen und Minister in Bund und Ländern, die folgenden Empfehlungen entschlossen umzusetzen. Ziel dabei muss sein:
Ziele:
● Eröffnung verlässlicher Freiräume für die Erprobung von Reformmodellen
● Flexibilisierung der Zugangswege zum Lehrerberuf
● Gewinnung neuer Zielgruppen für eine Tätigkeit als Lehrkraft
● Steigerung der Attraktivität des Lehramtsstudiums
Warum?
Lehrerin oder Lehrer kann in der Regel nur werden, wer ein grundständiges Lehramtsstudium von meist zwei Unterrichtsfächern und Bildungswissenschaften und das Referendariat erfolgreich absolviert hat. Diese starren Strukturen müssen aufgebrochen werden, beispielsweise durch eine andere zeitliche Verteilung der verschiedenen Studienanteile auf Bachelor- und Masterstudium: Konzentration des Bachelorstudiums auf die fachwissenschaftlichen Studienanteile, Fokussierung des Masterstudiums auf die Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften. Notwendig sind außerdem transparente Kriterien, um während des Studiums nur ein Unterrichtsfach zu belegen und später – beispielsweise begleitend zum Referendariat – ein weiteres Unterrichtsfach ergänzen zu können. Auch duale Studienmodelle, in denen parallel zur theoretischen Ausbildung Praxiserfahrungen im Schulalltag gesammelt werden, müssen selbstverständlich werden.
Ziele:
● Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen fach- und lehramtsbezogenen Studiengängen
● Rekrutierung zusätzlicher Lehramtsbewerber und -bewerberinnen
Warum?
Dass angehende Lehrkräfte (parallel) zwei Unterrichtsfächer studieren müssen, ist international eher unüblich. Das obligatorische Zwei-Fach-Studium erhöht die inhaltliche und organisatorische Komplexität und erschwert, verhindert teilweise sogar die Durchlässigkeit zwischen fachwissenschaftlichen und lehramtsbezogenen Studiengängen. Haben sich Studierende nicht bereits zu Studienbeginn für ein Lehramtsstudium entschieden, gehen sie dem potenziellen Lehrkräftenachwuchs verloren.
Ziele:
● Erhöhung der Studienplätze für das Lehramt an beruflichen Schulen
● Erweiterung der Zugänge zum Lehrerberuf
● Gewinnung neuer Zielgruppen
Warum?
Obwohl der Wissenschaftsrat schon 1993 (!) die Einbeziehung der Fachhochschulen in die Ausbildung von Lehrkräften für die beruflichen Schulen empfohlen hat, ist ein Lehramtsstudium der beruflichen Fachrichtungen bis heute nur an ausgewählten Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs) möglich und auch nur in Kooperation mit einer Universität. Dadurch geht den beruflichen Schulen eine große Gruppe potenzieller Lehrkräfte verloren, denn gerade an den HAWs studieren ehemalige Berufsschülerinnen und -schüler, die häufig eine einschlägige Ausbildung in einer beruflichen Fachrichtung gemacht haben.
Ziele:
● Umsetzung der KMK-Strategie "Bildung in der digitalen Welt" in die jeweiligen Rechtsvorschriften für Lehrkräftebildung der Länder
● Gewährleistung digitaler Kompetenzen und weiterer Future Skills bei allen angehenden Lehrkräften
● Bessere Vorbereitung auf gesellschaftliche Transformationsprozesse
Warum?
Ein Großteil der Studierenden und Lehrkräfte ist bisher nicht oder nur unzureichend auf die kommenden Herausforderungen in der Bildung, wie etwa die Digitalisierung oder zunehmende Heterogenität in Klassen, vorbereitet. Aktuelle Ergebnisse des Monitors Lehrerbildung zeigen, dass noch immer viele Lehramtsstudierende ihr Studium abschließen können, ohne überhaupt digitale Kompetenzen erworben zu haben.
Ziele:
● Erleben von Spitzenpädagogik in der Ausbildung sicherstellen
● Ressourcen- und Kompetenzbündelung
● Professionalisierung der nach-universitären Ausbildungsphasen
Warum?
Die Ausbildungsqualität insbesondere während der Praxisphasen und des Referendariats hängt in hohem Maße von der jeweiligen Ausbildungsschule und den begleitenden Lehrkräften ab. Ein Screening, das die Eignung von Schulen für die Ausbildung anhand transparenter Qualitätsstandards sicherstellt, findet bisher in der Mehrzahl der Bundesländer nicht statt. Stattdessen sind üblicherweise alle Schulen, unabhängig von ihrer pädagogischen Qualität, gleichberechtigt an der Ausbildung beteiligt.
Ziele:
● Flexibilität während des Referendariats erhöhen
● Qualität der zweiten Ausbildungsphase erhöhen
● Konkurrenzfähigkeit des Karrierewegs Lehramt stärken
Warum?
Das Referendariat stellt in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmesituation für die angehenden Lehrkräfte dar. Referendarinnen und Referendare finden sich nach einem Studium mit weitgehender Autonomie in einer von Abhängigkeiten geprägten und weitgehend fremdbestimmten Dauerprüfung mit nur marginalen Gestaltungsmöglichkeiten wieder, die nicht dem schulischen Berufsalltag entspricht. Überdies sind die ausbildenden Lehrkräfte für ihre Aufgabe als Erwachsenenbildner nicht professionell vorbereitet und mit nur geringem Stundendeputat ausgestattet. Die Perspektive auf den Vorbereitungsdienst schreckt Absolventinnen und Absolventen eines Lehramtsstudiums ab, dieses Berufsbild weiter zu verfolgen – vor allem im Vergleich mit beruflichen Alternativen, die sich insbesondere für Studierende von Mangelfächern auftun.
Ziel:
● Attraktivität des Lehrerberufes erhöhen
Warum?
Unterschiedliche Karrierewege erhöhen die Attraktivität des Berufs und bieten Chancen, die vielfältigen Aufgaben von Lehrkräften in verschiedenen Profilen (Ausbildung und Begleitung von Referendarinnen und Referendaren, Schulmanagement, Unterrichtsentwicklung) zu bündeln, so dass nicht jede Lehrkraft für alles zuständig ist. Voraussetzung hierfür wäre eine strategische Personalentwicklung von Lehrkräften auf der Grundlage von Potenzialanalysen und Perspektivgesprächen.
Ziele:
● Forschungsunterstützte Schul- und Unterrichtsentwicklung
● Steigerung der Qualität der Aus- und Fortbildung
Warum?
Trotz aller Bemühungen durch die Forschungsförderung gibt es erhebliche Probleme und Defizite beim Transfer von Ergebnissen aus der Bildungsforschung in die Schul- und Unterrichtspraxis. Einer der Gründe hierfür liegt darin, dass bei Forschungsprojekten überwiegend ein aus der Wissenschaft selbst getriebener Erkenntnisgewinn im Vordergrund steht und seltener der Anspruch, Lösungen für ein konkretes schulisches Qualitätsproblem zu liefern. Modelle der Lehrerforschung, bei denen die Lehrkräfte selbst zu Forschern werden, sind wenig verbreitet und finden kaum Förderung.
Ziele:
● Öffnung der Zugangswege zum Lehrerberuf
● Gewinnung neuer Zielgruppen
Warum?
Lehrkräfte, die nicht nur "Schule", sondern auch Arbeitsplätze außerhalb der Schule aus eigener Erfahrung kennen, bereichern Unterricht und Schulalltag. Bisher wird der Zugang zum Referendariat oder zum Schuldienst für Quer- und Seiteneinsteiger nur geöffnet, wenn die verfügbaren Plätze oder Stellen nicht mit genügend grundständig qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern besetzt werden können. Jedes Bundesland legt jedes Schul(halb)jahr aufs Neue fest, ob und für welche Lehrämter und Unterrichtsfächer ein Quer- oder Seiteneinstieg möglich ist. Für potenzielle Interessenten ist diese Praxis weder transparent noch attraktiv: Die formalen Voraussetzungen variieren von Land zu Land und Jahr zu Jahr; gleichbleibend ist lediglich die Einstellung, dass Quer- und Seiteneinsteiger nur notfalls erwünscht sind und tendenziell Personal zweiter Klasse bleiben.