Werden wir uns schon bald fragen, warum wir dem Einsatz von KI so skeptisch gegenüberstanden?

"Wir sind wirklich am Anfang einer Revolution unserer Kommunikationsweise, unserer Wissenserwerbstechniken."

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Aljoscha Burchardt und Volker Meyer-Guckel im Gespräch (Video)
Aljoscha Burchardt und Volker Meyer-Guckel im Gespräch (Video)
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In weniger als zwei Jahren hat ChatGPT die Debatte rund um Künstliche Intelligenz in den Alltag gerückt. Angesichts dessen, was KI heute schon beherrscht – und in naher Zukunft noch können wird – stellt sich die Frage: Was muss der Mensch noch können?

Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbandes, hat darüber mit dem KI-Experten Aljoscha Burchardt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) gesprochen: Wie verändert KI bereits heute Lern- und Arbeitsprozesse – und was ist in Zukunft denkbar? Welche Auswirkungen hat KI auf Gesellschaft und Bildung? Was müssen Schülerinnen und Studierenden lernen? Sind die Deutschen zu kritisch, wenn es um KI geht? Burchardt selbst gibt auf dem KI-Campus übrigens einen Kurs, in dem er ChatGPT erklärt.

 

Transkript des Videos

(Volker Meyer-Guckel)
Ich spreche heute mit Aljoscha Burchardt, KI-Experte vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, wird sich weiterentwickeln. Was muss eigentlich der Mensch noch können, wenn wir künstliche Intelligenz einsetzen?

(Aljoscha Burchardt)
Das ist eine super Frage. Also, wir sind wirklich am Anfang einer Revolution unserer Kommunikationsweise, unserer Wissenserwerbstechniken. Ja, ich glaube schon, wir werden ganz viel Veränderung sehen. Aber mir ist diese Frage zu passiv gestellt. Ich würde immer noch fragen: Was wollen wir eigentlich beim Menschen halten und was wollen wir jetzt an die Technik delegieren, wo wir sie haben? Das war in der Vergangenheit auch die Frage: Wollen wir noch rechnen lernen, wenn es Taschenrechner gibt? Antwort war: Ja.

(Volker Meyer-Guckel)
Genau, also KI als Instrument, aber welche Möglichkeiten siehst du da in Zukunft? Du hast ja vom disruptiven Potenzial, von revolutionärem Potenzial gesprochen.

(Aljoscha Burchardt)
Instrument greift dann auch wieder ein bisschen kurz. Es ist mehr als ein Werkzeug. Es ist mehr als irgendwie ein Thermometer oder eine Gitarre. Im Moment, würde ich sagen, auf dem Niveau einer Assistenz. Im Moment haben wir eine Armee von Praktikantinnen und Praktikanten, die anklopfen und sagen: Ich möchte für dich arbeiten. Und heute ist wirklich die Frage: Die haben nicht mein Fachwissen, die haben nicht meine Erfahrung, aber die wollen gerne lernen, und die können auch ganz vieles schon so, was kann ich davon abgeben? Das sind viele Leute gar nicht gewöhnt. Du musst dich jetzt wirklich erstmal daran gewöhnen zu überlegen: Was kann ich aus meinen ganzen Prozessschritten jeden Tag so abgeben, dass ich das Ergebnis aber auch noch kontrollieren kann? Das ist ja mal der Stand heute. Und es wird eben immer besser.

(Volker Meyer-Guckel)
Du hast eben gesagt: Heute ist es ein Assistent. Kann sich der auch entwickeln zu einem Kollegen oder zu einem Chef möglicherweise?

(Aljoscha Burchardt)
Jetzt kommen schon wieder die Dystopien auf. Er kann sich sicherlich oder sie kann sich sicherlich entwickeln zu einem Kollegen, das denke ich auch, also, unser Wissen geht ja auf die Maschinen über. Das wissen wir über Trainingsdaten, zunehmend auch durch Interaktion lernen im Setting, ja, das kommt jetzt auch in der Forschung gerade auch bei Robotern und so, die gucken sich schon auch was von uns ab. Ob hinterher sozusagen wir uns dominieren lassen wollen von den Maschinen, ist dann auch wieder eigentlich eine Designentscheidung. Ja, wenn ich das möchte, wenn ich sage, mir würde das so helfen wenn diese Maschine die Entscheidungen träfe, und ich würde einfach sozusagen das nachwischen, was die Maschine nicht kann, dann wäre das sicherlich auch eine Möglichkeit. Ich weiß nicht, ob wir das wollen.

(Volker Meyer-Guckel)
Lass uns mal ein bisschen den Blick zoomen gewissermaßen. Also, wir könnten ja über alle möglichen Dinge reden bei KI, aber du hast eben das Stichwort gegeben, dass die Art und Weise, wie wir kommunizieren und Wissen austauschen, vor allen Dingen sich dramatisch verändern wird. Und Wissen hat was zu tun mit Bildungsprozessen, mit Forschungsprozessen. Was kann die KI da heute schon? Wie verändert es Forschung und Bildungsprozesse? Und was ist in Zukunft denkbar, was könnten Visionen sein?

(Aljoscha Burchardt)
Also, die KI ist jetzt auch wieder so so ein Schlagwort, als wenn man jetzt sagen würde, vor 50 Jahren hat der PC ganz viele Wissensprozesse verändert. Du hast eine Simulation in der Physik gehabt. Du hast plötzlich eine Datenbank in den Geschichtswissenschaften angewandt, um Archivforschung zu machen. Zwei völlig verschiedene Dinge, die aber beide unter PC abgelegt waren. Und genauso ist es mit KI auch. Wir können eben wahnsinnig verschiedene Prozesse jetzt auf KI bringen. Mustererkennung ist eben sehr, sehr stark, also, sagen wir mal die Archivsuche usw., die wird sehr erleichtert werden. Wir können alle Sachen gleichzeitig nebeninander legen, alle Tonfragmente, die wir irgendwo mal gefunden haben, die können wir übereinanderlegen, können da also sehr, sehr viele Dinge machen. Auf der anderen Seite können wir natürlich auch komplexe Prozesse modellieren, rechnen. Digital Twins können DNA cracken, können versuchen, neue Medikamente auszuprobieren und zu finden. Das ist also eine wahnsinnige Breite. Eigentlich muss man nicht in jede Wissenschaft reinzoomen.

(Volker Meyer-Guckel)
Nun gibt es ja zwei Dinge, die bei der KI eine besondere Rolle spielen. Das eine ist sozusagen das Faktensammeln und Präsentieren, und das andere, ich würde es mal sagen, das Halluzinieren, also kreativ zu sein und gerade nicht sich an das Bestehende zu halten, sondern irgendwie Dinge neu zu ordnen - das kommt ja so ein bisschen immer noch im Augenblick zusammen, und die Fakten stimmen nicht so ganz, und manchmal glaubt man auch, dass das, was dann am Neuen entsteht, eigentlich auch nicht ganz neu ist, weil es ja sozusagen auf dem basiert, was es schon gibt. Sortiert sich das langsam in der Programmierung?

(Aljoscha Burchardt)
Ich glaube nicht. Ich glaube, es sortiert sich noch lange nicht. Das ist die superspannende Frage, die du hier stellst, die auch für mich die spannendste Frage momentan ist: Was ist das eigentlich und was kann das eigentlich, worüber wir da reden? Uns fehlen fast die Worte, darüber zu reden. Du sagst auch: Man denkt, wenn es mit Computern zu tun hat, dann muss es stimmen, dann muss es mit Logik zu tun haben, faktisch sein usw., aber wenn es aus Daten lernt, ist es genau das gerade nicht. Dann ist es eben der Schnellschuss - sieht plausibel aus, muss stimmen, tut's aber leider nicht, wenn man genau drüber nachdenkt. Wenn man dieses schnelle Denken, langsame Denken sich mal anguckt, sind wir hier eigentlich im schnellen Denken, und man zwingt die Maschinen ja sozusagen in den neuesten Version jetzt auch, langsam zu denken, zu sagen, versuch doch, eine Begründung zu finden für das, was du gerade gesagt hast. Und dann dann switcht die Maschine nochmal um. Ja, vielleicht war es doch anders. Also, es ist hochinteressant, was wir da gerade beobachten, und ich glaube, es sortiert sich noch gar nichts aus. Also, wir werden glaube ich noch eine Zeit lang beobachten, unsere neuen Partner, und erforschen und evaluieren. Im Moment ist es wirklich sehr schwer zu sagen ...

(Volker Meyer-Guckel)
Genau, wir sind ja noch in der Explorationsphase. Wir sind eigentlich noch im Babystadium gewissermaßen von der Technologie. Jetzt noch mal mit Bezug auf Bildungs- und Lernprozesse: Wenn du sagst, das wird unsere Art, wie wir Wissen begreifen, wie wir damit umgehen, wie wir es austauschen, verändern - wie verändern sich dann Lernprozesse? Was muss denn derjenige, der damit umgeht mit dem Instrument, und wir sehen ja schon in Ansätzen, wo sich das hin entwickelt, was müssen wir denn dann den Schülern oder Studierenden beibringen?

(Aljoscha Burchardt)
Instrument ist ein schönes Stichwort. Ich mach's nochmal mit einer altmodischen Metapher: Nimm mal einen Analogsynthesizer. Wie der innendrin technisch funktioniert, mit Taktgebern, mit Sinuskurven und so, das haben wir in einer Stunde erklärt im Groben und Ganzen. Ich weiß es nicht genau, das kann man erklären. Wie man die verschiedenen Filter und Regler bedient, das hat man vielleicht nach ein, zwei, drei Tagen, wie man die Module zusammensetzt, das hat man nach kürzester Zeit raus. Aber wie ich den für meine musikalische Arbeit einsetze, wie ich damit komponiere, wie ich damit neue Sounds mache, wie ich meine eigene Kreativität am Leben halte und sage, ich mache nicht einfach Zufallsprinzip, also sozusagen wie sich meine Prozesse ändern, das ist eigentlich der größte Teil, und da sind wir wirklich in dem, was du gefragt hast, dieses agile Arbeiten, kritisches Denken, im Team gemeinsam arbeiten die Ergebnisse hinterfragen, auch was ich gesagt habe, Sachen delegieren, was gebe ich an die Maschine, was lasse ich beim Menschen? Diese ganzen Skills, über die wir ja auch schon eigentlich im Bildungsbereich seit Jahren reden, aber trotzdem sind wir immer noch dabei, Fakten zu lernen und die in Multiple-Choice-Test abzufragen, ich glaube, diese Wende, die schon lange angedacht war im Bildungsbereich, die können wir jetzt wirklich beschleunigt durchziehen.

(Volker Meyer-Guckel)
Ja, aber wie gehen wir in Deutschland damit um? Du bist dazu qua Beruf sozusagen erforschst du die Chancen und die Möglichkeiten. Würdest du sagen, dass Deutschland ein bisschen zu kritisch ist, was KI Fragen angeht? Man muss ja sagen: KI ist im Wesentlichen nicht in Deutschland entwickelt worden, und wir stellen ja eher Fragen der der Vorsicht, der Ethik, der Beschränkung. Glaubst du, wir müssen eigentlich beschleunigen oder eher beschränken?

(Aljoscha Burchardt)
Ich glaube, wir haben wirklich ein Problem mit den Multiplikatoren. Also, wir haben gerade schon gesagt, im Bildungssystem, die Leute sind die, die sich als Branche eigentlich angefressen und in Frage gestellt fühlen durch die Technik. Dasselbe gilt für Journalistinnen und Journalisten, die sich auch sozusagen angefressen fühlen. Wenn man genau reinguckt, dann ist das Redaktionssterben schon älter als ChatGPT, dann sind die Bildungsprobleme, die PISA-Probleme, schon älter als ChatGPT. Aber sie fallen durch diese Technologie nochmal auf, was eben diese Branchen im Moment zu Multiplikatoren macht, die, sagen wir mal, nicht sagen: "Juhu, ich bin an der Gestaltung der Zukunft dran, und ich möchte meinen Anteil dazu geben", sondern im Moment sind wir Regulierungsweltmeister, hast du recht. Aber ich bin trotzdem guten Mutes, denn wir brauchen die vielen kleinen Lösungen, die Lösungen von Prozessen, Ingenieurslösungen, auch kulturelle Lösungen Lösungen, von soziotechnischem System, und da sind wir Deutschen doch eigentlich gut, irgendwie so Dinge auszufriemeln und auszutüfteln, und dass es dann eben als Package stimmt. Und das denke ich, da müssen wir hin. Die großen Endkundengeschäfte, die sind natürlich weltweit jetzt erstmal genommen, ja, das brauchen wir nicht versuchen. Aber ich denke, Lösungen im kleinen Sachen, die Steuerkanzlei und der Getriebehersteller, die brauchen da irgendwas, und das kriegen wir, glaube ich, hin.

(Volker Meyer-Guckel)
Eigentlich auch schon ein schönes Schlusswort. Wir arbeiten gemeinsam daran, der Stifterverband, der KI-Campus und auch mit dir gemeinsam und dem DFKI. Und ich würde mich freuen, wenn wir vielleicht in einem Jahr nochmal zusammensitzen und sagen: Was ist eigentlich in der Zwischenzeit passiert?

(Aljoscha Burchardt)
Warum waren wir damals noch so skeptisch?

(Volker Meyer-Guckel)
Genau, danke, Aljoscha.

(Aljoscha Burchardt)
Vielen Dank, Volker.