Ergebnisse des Forschungsgipfels 2023

Ergebnispapier zum Forschungsgipfel 2023 (Cover)

Am 28. März 2023 stand der Forschungsgipfel unter dem Titel "Blockaden lösen, Chancen nutzen – Ein Innovationssystem für die Transformation". Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, insbesondere die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung, werden immer dringender. Es ist an der Zeit, neue technologische, soziale und ökonomische Modelle für Wertschöpfungsprozesse zu entwickeln und gemeinsam Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovationen fördern statt verhindern. Wie können Forschung und Innovation systemisch weiterentwickelt werden? Wie lassen sich übergreifende Strategien in konkrete Roadmaps und klare Prioritäten überführen? Und was müssen die verschiedenen Akteure beitragen, um bestehende Hürden zu überwinden? Über diese und weitere Fragen haben hochrangige Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik beim Forschungsgipfel 2023 diskutiert. Veranstalter waren der Stifterverband, die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften und die Expertenkommission Forschung und Innovation.

 

Innovation priorisieren

Das Innovationssystem beschleunigen
Das Forschungs- und Innovationssystem in Deutschland ist leistungs- und lernfähig. Doch im internationalen Wettbewerb gerät es zusehends ins Hintertreffen. Um diesen Trend umzukehren, müssen Erkenntnisse schneller in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen umgesetzt werden. Helfen kann dabei ein Dreiklang aus Roadmapping, Identifikation von Katalysatoren und Orchestrierung der Prozesse. Roadmaps fassen als strategischer Kompass mögliche Entwicklungspfade vom Status quo zum Ziel zusammen. Die genaue Ausgestaltung unterscheidet sich dabei im politischen und wirtschaftlichen Kontext insbesondere mit Blick auf die Komplexität der Aufgabe und Heterogenität der beteiligten Akteure. Katalysatoren zum Beispiel in Form von regulatorischen oder administrativen Rahmenbedingungen wirken industrieübergreifend und beschleunigen Veränderungen systemweit. Orchestrierung umfasst die Koordination verschiedener Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, legt Verantwortlichkeiten und Orte für Interaktionen fest und schafft so Freiräume für eigenverantwortliches Verhalten der Akteure.

Aus Krisen lernen – Stärken ausbauen
Deutschland hat die Krisen aus Pandemie und drohender Energieknappheit infolge des Ukraine-Kriegs wirtschaftlich gut gemeistert. Zu den Erfolgsfaktoren, mit denen das Innovationssystem dazu beigetragen hat, gehören: Forscherinnen und Forscher haben mutige Entscheidungen getroffen und den geplanten Forschungspfad verlassen. Investoren haben bereits zuvor an Innovation made in Germany geglaubt und risikoreiche Forschung finanziert. Die Politik hat im Krisenmodus schnell reagiert und Genehmigungsverfahren beschleunigt. Diese Erfolgsfaktoren müssen aber mehr als bisher jenseits von Krisen Anwendung finden. Veränderung unter demokratischen Bedingungen ermöglichen Das beherzte politische Handeln, als die Not in den vergangenen Krisen groß war, zeugt von der Resilienz unseres demokratischen Systems und der Gesellschaft insgesamt. Doch andere Krisen vollziehen sich schleichend, wie der Klimawandel und der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in der digitalen Wirtschaft Deutschlands. Um eine nachhaltig ausgerichtete industrielle Wertschöpfung und damit Beschäftigung und Wohlstand zu erhalten, müssen große Veränderungen auch jenseits des Krisenmodus angestoßen werden. Dass dies unter demokratischen Bedingungen gelingen kann, zeigen die Beispiele der Pandemiebewältigung und des raschen Aufbaus alternativer Versorgungswege für Energieträger. Ein systemischer Wandel muss von der Mehrheit der Akteure mitgetragen werden und deswegen mit demokratischen Aushandlungsprozessen begleitet werden.

 

Roadmaps für zentrale Zukunftsmissionen entwickeln

Digitale Ökosysteme schaffen
Deutschlands Digitalwirtschaft besteht mit wenigen Ausnahmen vor allem aus Anwendungsindustrien und Start-Ups. Um die digitale Transformation zu gestalten, braucht es mehr digitale Ökosysteme, in denen Industrieunternehmen und IT-Unternehmen kleineren und innovativen Digitalunternehmen Zugang zu ihren Kunden und Geschäftsmodellen gewähren. Elemente der Digitalisierung müssen als Querschnittstechnologie Elemente von nahezu jeder Roadmap in den unterschiedlichen Innovationsfeldern sein.

Chancen der Gesundheitswirtschaft nutzen
Bereits heute trägt die Gesundheitswirtschaft einen großen Anteil zur Wertschöpfung in Deutschland bei. Die globalen demografischen Verschiebungen werden die internationale Bedeutung dieses Marktes wachsen lassen. Für Deutschland kann dieses Innovationsfeld ein Wachstumstreiber sein, denn es passt zum Stärken-Schwächen-Profil des Standorts: Es ist wissensintensiv, benötigt relativ wenig natürliche Ressourcen, basiert auf einem hohen Vertrauensniveau (Datenschutz) und kann über bereits weltweit bekannte Marken und Persönlichkeiten vermittelt werden. Orientierung für die Entwicklung dieses Marktes schafft eine Roadmap mit klaren Zielen für die beteiligten Akteure.

Chancen der Kreislaufwirtschaft nutzen
Die Kreislaufwirtschaft hat das Potenzial, Ressourcen- und damit Energieverbrauch massiv zu reduzieren. Für Deutschland als rohstoffarmes Land besitzt sie zudem den Vorteil, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren. Sie sollte deshalb ein zentrales Element einer Roadmap für die Energiewende sein.

Technologieoffenheit zur Handlungsprämisse machen
Die Umsetzung der Ziele zentraler Zukunftsmissionen sollten durch technologieoffene Roadmap-Pfade beschrieben werden. Der Ausschluss einzelner Entwicklungspfade kann neue Abhängigkeiten verursachen, Kosteneffizienz verhindern und differenzierte Lösungen für unterschiedliche Rahmenbedingungen erschweren. Das zeigt sich exemplarisch im Bereich der Energie- und Wärmeversorgung. Der Fokus gesellschaftlicher und politischer Debatten liegt auf der Bereitstellung von Strom aus regenerativen Quellen. Aktuell decken stoffliche Energieträger aber noch einen weitaus höheren Anteil an der Energieversorgung. Deswegen müssen parallel auch andere Strategien (zum Beispiel für green fuels, Importstrategien) verfolgt werden. Politische Roadmaps sind der Ort, diese unterschiedlichen Entwicklungspfade aufzuzeigen und Einstiegsmit Ausstiegsszenarien zu verbinden.

 

Katalysatoren erkennen und bearbeiten

Arbeitsmarktbeteiligung erhöhen – Fachkräftebasis erweitern
Die Erwerbsquote in Deutschland ist so hoch wie nie seit der Wiedervereinigung. Doch der demografische Wandel wird ohne Gegenmaßnahmen zu Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel führen, mit gravierenden Folgen für die Innovationsfähigkeit des Landes. Deutschland ist daher auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen. Insbesondere Wirtschaft, Wissenschaft und Politik müssen gemeinsam und sichtbarer als bisher die Chancen kommunizieren, die in einer an der Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands ausgerichteten Zuwanderung liegen. Gleichzeitig ließe sich durch eine höhere Erwerbsbeteiligung, insbesondere bei Frauen und sich schon im Ruhestand befindenden Personen, durch unkonventionelle Berufswechsel, zum Beispiel ermöglicht durch digitale Weiterqualifizierungsmaßnahmen, sowie durch frühe Begeisterung für Themen in Technik und Informatik das Fachkräfteangebot signifikant erhöhen.

Datenverfügbarkeit verbessern
Die restriktive Regulierung der Nutzbarkeit von Daten durch Forschung in Deutschland ist ein Hemmnis für Wissenschaft und Innovation. Sie führt schon heute zur Abwanderung von Aktivitäten forschungsintensiver Unternehmen. Um gegenzusteuern, sollte das Prinzip der Freiwilligkeit beim Datenteilen beibehalten, aber stärker in Richtung von Opt-Out-Regelungen weiterentwickelt werden (siehe Beispiel zur elektronischen Patientenakte). Gleichzeitig gilt es, den potenziellen Nutzen des Datenteilens für jeden einzelnen und damit auch der Gesellschaft insgesamt deutlicher zu kommunizieren.

Funktionierende Märkte für Skalierung von Innovationen schaffen
Das Beispiel Fotovoltaik macht deutlich, dass unter nicht funktionierenden Marktbedingungen und infolge einer unausgewogenen Subventionierung ein früher Innovationsvorteil, den Deutschland vor und kurz nach Markteinführung der Technologie hatte, schnell verlorengehen kann mit unter Umständen negativen Folgen für eine gewünschte technologische Souveränität. Um Innovationen auch in Deutschland und Europa erfolgreich zu skalieren, dürfen staatliche Instrumente nur temporär und auf eine mit den Mechanismen des Marktes langfristig konforme Weise eingesetzt werden. Das beinhaltet zum Beispiel Unterstützung der Entwicklung und nicht des Konsums sowie ggf. die Unterstützung von Schlüsseltechnologien durch Sonderregelungen von staatlichen Beihilfen (IPCEI). Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung kann darüber hinaus maßgeblich zur Skalierung von Innovationen beitragen.

Ökonomische Prinzipien auch in regulierten Bereichen stärken
Wettbewerb kann Innovationen auch in stark regulierten Bereichen wie der Gesundheits- und Energieversorgung befeuern. Ökonomische Prinzipien berücksichtigen heißt dabei, ressourcenschonend zu handeln und dadurch Effizienzgewinne zu realisieren. Auch Public Private Partnerships können ein wirksames Instrument sein, diese Prinzipien gerade in umfassend regulierten Umfeldern zu stärken. Ökonomische Prinzipien müssen auch bei der Steuerung von Innovationsinvestitionen gelten. Beispiele aus dem Energiebereich zeigen, dass Investitionen in erneuerbare Energien häufig nicht anreizkompatibel sind.

 

Orchestrierung umsetzen

Verantwortlichkeiten in der Forschungs- und Innovationspolitik stärken
Der Staat übernimmt in der Innovationspolitik die wichtige Rolle der Koordination der verschiedenen Akteure des Innovationssystems. Dabei ist ein abgestimmtes ressortübergreifendes Wirken zentral für den Erfolg missionsorientierter Politik. Denn gesellschaftliche Missionen überspannen die Politikfelder. Dabei müssen eine Diffusion der Verantwortung verhindert und eindeutige Zuständigkeiten für einzelne Ziele und deren Umsetzung definiert werden.

Positive Leitbilder schaffen
Inventionen beruhen häufig auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und technischen Entwicklungen. Sie werden zu Innovationen, also im Markt etabliert, wenn sie Nutzen für die Menschen bringen. Zur Orchestrierung einer Roadmap sollten deshalb immer auch damit verbundene positive Leitbilder geschaffen werden, die Menschen eine Idee von einer erstrebenswerten Zukunft vermitteln und konkreten Nutzen für ihr eigenes Leben verdeutlichen.

Evidenzbasierte Politik stärken, Just in time-Wissenschaft vermeiden
Die Veränderungsnotwendigkeiten, die eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt, beinhalten die Gefahren gesellschaftlicher Divergenzen und Polarisierungen. Eine evidenz- und wissenschaftsbasierte Forschungs- und Innovationspolitik bindet unterschiedliche Positionen frühzeitig ein, um zu verhindern, dass sich nachvollziehbare Differenzen zu unüberbrückbaren Divergenzen ausweiten. Gleichzeitig muss sich die Wissenschaft ihrer Rolle vergewissern, auf Distanz zu Aktivismus gehen und auf Studien verzichten, deren Timing nur mit dem Ziel der Legitimation vorgegebener politischer Entscheidungen verbunden ist.