In der COVID-19-Pandemie hat die wissenschaftsbasierte Politikberatung eine nie dagewesene Relevanz gewonnen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten Beiträge zur Erforschung der Pandemie mit ihren gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen und sie teilen Wissen und aktuelle Forschungsergebnisse mit Politik und Öffentlichkeit. Sie erarbeiten Konzepte, Analysen und Stellungnahmen, die politische Entscheidungen beeinflussen. Darüber hinaus beraten sie einzelne politische Akteure, Entscheidungsgremien wie die Ministerpräsidentenkonferenz, sitzen in Expertenkommissionen der Bundesländer, beantworten Ad-hoc-Anfragen der Politik und leisten aktive Wissenschaftskommunikation über Pressemitteilungen sowie die traditionellen und sozialen Medien. Doch in der Öffentlichkeit sind nur wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sichtbar. Diese kommen häufig von den großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und vertreten medizinische oder verwandte naturwissenschaftliche Disziplinen. Doch welche Rolle spielen die Hochschulen mit ihrer disziplinären Vielfalt in der Politikberatung und wie schätzen sie die wissenschaftliche Politikberatung während der Pandemie ein?
Um dies herauszufinden, wurden die Hochschulleitungen im Rahmen der Erhebung des jährlichen Hochschul-Barometers des Stifterverbandes und der Heinz Nixdorf Stiftung zu diesem Thema befragt. Die Umfrage fand von November 2020 bis Februar 2021 statt, insgesamt haben sich 182 der 390 angeschriebenen Hochschulen daran beteiligt. Dies entspricht einem Rücklauf von 46,7 Prozent.
Rund 40 Prozent der Hochschulleitungen gaben in der Befragung an, dass sich ihre Hochschule als Folge der COVID-19-Pandemie stärker in der wissenschaftlichen Politikberatung engagiert hat (39,4 Prozent). Fast drei Viertel der Hochschulen gaben darüber hinaus an, dass ihre Hochschule die fachliche Expertise ihrer Forschenden während der Pandemie nach außen sichtbarer macht, beispielsweise durch eine verstärkte Wissenschaftskommunikation (73,2 Prozent).
Eine tiefergehende Analyse zeigt jedoch, dass sich die verschiedenen Hochschultypen durchaus im Ausmaß ihres Engagements unterscheiden. So gaben 70 Prozent der staatlichen Universitäten an, sich stärker engagiert zu haben. Deutlich geringer hingegen ist der Anteil unter den staatlichen Fachhochschulen mit 38 Prozent. Von den spezialisierten Hochschulen, mit Schwerpunkten in beispielsweise Pädagogik, Theologie, Kunst oder Gestaltung, gab dies nur knapp ein Drittel an, unter den privaten sogar nur jede vierte Hochschule. Der Grund für diese Unterschiede liegt vermutlich auch an der unterschiedlichen Fächerzusammensetzung. So ist in der Pandemie vor allem Expertise in den medizinischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen gefragt, Fächer, die insbesondere an den großen Universitäten mit eigenen medizinischen Fakultäten gelehrt und beforscht werden.
Eine Analyse der Antworten nach fachlichem Schwerpunkt unterstützt diese These. Hochschulen mit einem höheren Anteil (mehr als 10 Prozent) von Studierenden in naturwissenschaftlichen oder medizinischen Fächern gaben auch ein stärkeres Engagement in der Politikberatung an. Unter den Hochschulen mit Schwerpunkt auf Gesundheit taten dies 63 Prozent (im Vergleich zu 37,4 Prozent der Hochschulen ohne medizinischen Schwerpunkt), unter den Hochschulen mit einem Schwerpunkt in naturwissenschaftlichen Fächern sind es sogar drei Viertel (76,3 Prozent) der befragten Hochschulleitungen (Im Vergleich zu 30,8 Prozent der Hochschulen ohne naturwissenschaftlichen Schwerpunkt).
Ähnlicher sind sich die Hochschultypen darin, dass sie in der Pandemie allgemein Expertise nach außen sichtbarer gemacht haben, beispielsweise durch Maßnahmen der Wissenschaftskommunikation: 87,5 Prozent der staatlichen Universitäten gaben dies an, bei den staatlichen Fachhochschulen waren es mehr als drei Viertel. Auch private und spezialisierte Hochschulen haben sich Sichtbarkeit nach außen verschafft, dies gaben jeweils circa 60 Prozent der befragten Hochschulleitungen an.
Wissenschaftsbasierte Politikberatung stellt eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft dar, es bestehen dabei aber auch verschiedene systemische und individuelle Herausforderungen. Wie kommen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger an die benötigte Expertise? Finden Politik und Wissenschaft die gleiche Sprache? Und sind Forscherinnen und Forscher bereit, wertvolle Zeit in intensive Beratungsprozesse einzubringen statt sie in Forschung und damit in die eigene wissenschaftliche Karriere zu investieren?
Die Umfrage des Hochschul-Barometers zeigt: Herausfordernd ist vor allem die Kommunikation zwischen Politik und Wissenschaft. Wissenschaft arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten und Ungewissheiten, entwickelt, verwirft und überarbeitet Hypothesen meist über lange Zeiträume. Dies spiegelt sich auch in den Produkten wissenschaftsbasierter Politikberatung wider. Politik hingegen wünscht sich in der Politikberatung ein klares und schnelles Aufzeigen verschiedener Handlungsoptionen, die idealerweise mit exakt kalkulierten Folgenabschätzungen verbunden sind. Fast drei Viertel der befragten Hochschulleitungen bewerten diese unterschiedlichen Kommunikationskulturen von Politik und Wissenschaft als Herausforderung für das Engagement der Hochschulen in der Politikberatung (72,8 Prozent). Darüber hinaus mangelt es den Hochschulen zufolge auch an Kommunikationskanälen für kurze Rücksprachen sowie an allgemeinen Foren zum Austausch zwischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern und den Forscherinnen und Forschern. Ferner bescheinigen immerhin 44 Prozent der befragten Hochschulleitungen der Politik eine mangelnde Bereitschaft zum Austausch im Rahmen der Politikberatung.
Unklare Zuständigkeiten innerhalb der Hochschulen sehen jedoch nur wenige der Befragten als relevante Herausforderung an (17 Prozent). Zudem attestiert nur ein Viertel der Hochschulleitungen eine mangelnde Bereitschaft der Forscherinnen und Forscher zum Austausch.
Drei von vier Hochschulleitungen sehen eine hohe Bereitschaft der Forscherinnen und Forscher an ihren Einrichtungen zum Austausch mit Politik in der Pandemie. Zudem gaben 57,6 Prozent der befragten Hochschulleitungen an, ihre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Politikberatung zu ermutigen und zu unterstützen. Dennoch sind die Hochschulen selbst und ihre Mitglieder in der Politikberatung während der Pandemie wenig sichtbar. So sind die Hochschulleitungen nicht zufrieden mit der Rolle, die ihre Hochschulen in der Politikberatung während der COVID-19-Pandemie gespielt haben.
Fast drei von fünf Hochschulleitungen gaben an, dass die Hochschulen in der Politikberatung (eher) nicht ausreichend sichtbar waren (58,3 Prozent). Unter den privaten Hochschulen sagten dies sogar drei Viertel der Befragten. Auch bei dieser Frage zeigen sich die staatlichen Universitäten im Vergleich deutlich selbstbewusster: 63 Prozent attestierten sich eine ausreichende Sichtbarkeit in den Beratungsformaten während der Pandemie. Eine Lehre vieler Hochschulleitungen aus der Pandemie scheint jedoch zu sein, ihre Hochschulen mehr in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs einzubringen: Mehr als drei Viertel (77 Prozent) von ihnen gaben an, dass sich ihre Hochschule in der Zukunft stärker in der wissenschaftlichen Politikberatung engagieren sollte.
Die wissenschaftliche Politikberatung hat in der COVID-19-Pandemie eine hohe Relevanz erreicht: Die Politik hat wissenschaftliche Expertise in hohem Maße in Entscheidungsprozesse eingebunden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren in der medialen Berichterstattung sehr präsent. Doch die Mehrheit der Hochschulleitungen nimmt ihre Einrichtungen in der aktuellen Krise als zu wenig sichtbar wahr. Zwar hat eine Mehrheit der Hochschulen ihre Maßnahmen in der Wissenschaftskommunikation verstärkt. Doch in die wissenschaftliche Politikberatung sind vor allem staatliche Universitäten sowie Hochschulen mit Schwerpunkten in der Naturwissenschaft und Medizin in die Beratungsformate eingebunden.
Eine Herausforderung für das Engagement der Hochschulen in der Politikberatung stellen vor allem unterschiedliche Kommunikationskulturen in Politik und Wissenschaft dar. Es fehlt zudem an politisch-akademischen Netzwerken, Plattformen für Beratungsangebote und Orten des Austausches, an denen die unterschiedlichen disziplinären Sichtweisen eingebracht werden können, um so das Potenzial der akademischen Vielfalt bei der Suche nach gesellschaftlichen Lösungen zu heben. Denn einig sind sich die Hochschulleitungen darin, dass sie sich in der Zukunft stärker in der wissenschaftlichen Politikberatung engagieren wollen.
leitet das Handlungsfeld "Kollaborative Forschung & Innovation" und das Fokusthema "MINT-Lücke schließen".
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ist wissenschaftlicher Referent im Bereich "Programm und Förderung".
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