Wir können uns unser Fernsehprogramm personalisieren und unser Auto immer individueller gestalten – warum sollte das im digitalen Zeitalter nicht auch für die Hochschullehre gelten? Klaus Diepold, Professor für Datenverarbeitung an der TU München, spinnt den Gedanken weiter. Wie wäre es, wenn die Studierenden mal selbst entscheiden, was sie lernen wollen?
Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes
Wie wollen wir in einer digitalisierten Welt, in der vielleicht einige wie die Plattenläden verschwunden und die Unis verschwunden sind, die Taxiunternehmen verschwunden sind, was für eine Rolle spielen wir noch? Das ist ein Punkt, auf den man diskutieren kann. Was macht eigentlich Lernen und Lehren aus?
Wo geht die Reise hin? Vielleicht sind es dann die Gelehrten wie in der Antike, wo halt dann die Studierenden zu den Gelehrten hin gepilgert sind und haben sich dann bei Plato ein paar Vorlesungen abgeholt und sind dann zurück irgendwie in den Barbarenstamm nach Germanien geschlappt: Ich habe mal bei Plato Vorlesungen gehört. Der kennt sich aus, der weiß wenigstens, was eine Idee ist. Also, das es halt eben sehr viel stärker personalisiert wird, sehr viel stärker individualisiert wird, das sind ja auch Tendenzen, die wir heute feststellen an allen Ecken und Enden. Unser Fernsehprogramm können wir personalisieren. Unsere Nachrichtenticker können wir individualisieren. Wir können im Fahrzeug sogar unseren Sitzplatz genau personalisieren, dass eben die Spiegeleinstellungen genau auf mich zugeschnitten sind. Das sind banale Beispiele, aber das zeigt nur: Das Thema der Individualisierung und der Personalisierung zieht zusammen mit der Digitalisierung ein. Und warum soll es vor der Lehre und dem Lernen irgendwie Halt machen? Das ist mir nicht ganz klar. Ich glaube, mit der Sache müssen wir uns auseinandersetzen.
Wir haben ja die letzten Jahre einiges an Energie und Zeit investiert, um an den Universitäten so etwas wie E-Learning-Systeme zu installieren und zu betreiben. Und wenn man sich dann konkret anschaut, das sind sehr reichhaltige Tools, also wenn ich jetzt Moodle anschaue, diese Palette an Möglichkeiten in so einem Tool sind wirklich sehr umfangreich. Und dann frage ich mal bei unseren Moodle-Leuten nach bzw. bei den Kollegen als auch bei den Studierenden: Was von den Fähigkeiten wird denn eigentlich genutzt? Dann stellt man fest: Ja, Datei-Download! Das ist 99 Prozent des Datenverkehrs. Der Rest der Funktionalitäten wird kaum genutzt. Dann frage ich die Studierenden: Moment einmal, da haben wir doch eigentlich auch die Möglichkeit, Diskussionsforen in Moodle zu betreiben. Die habe ich auch geöffnet und eingerichtet. Alleine, kein Studierender nimmt diese Tools wahr. Ich stelle aber plötzlich fest, dass es eine Facebook-Gruppe gibt, die die Studierenden von sich aus gestartet haben und wo die Studierenden heftigst zu dem Thema der Vorlesung diskutieren und sich austauschen. Da kann ich schon sagen: Okay, also, ich habe das Tool nicht ausgesucht. Ich würde vielleicht auch nicht Facebook als das ultimativ beste Tool bezeichnen, aber die Entscheidung wurde mir einfach abgenommen. Ich kann mich nicht darübe beklagen deswegen, weil die Studierenden sich einfach wirklich substanziell sehr intensiv untereinander austauschen und die Möglichkeiten von Moodle benutzen: Ich habe hier vor kurzem das Video gesehen, hier Link dazu, und da gibt es diese Webseite. Also, der Austausch zwischen den Studierenden, was die sich gegenseitig mitgeben dabei, istb weit jenseits dessen, was ich in einer vernünftigen Zeit an Material akkumulieren könnte, um es den Studierenden zu geben. Sie machen das selbst. Ohne mein Zutun. Einfach deswegen, weil sie die Möglichkeiten sehen und weil sie untereinander sich austauschen wollen. Also, da könnte ich, wenn ich so wollte, schon die Vorstufen eines Uberisation-Prozesses ablesen. Ich versuche mir auch dann Gedanken zu machen, wie man lehrt, vielleicht mal neu, vielleicht noch einmal anders diskutieren könnte. Ich habe schon mal überlegt, ob ich schon mal ein Seminar mache oder eine Lehrveranstaltung ankündige ohne Inhalt, also als eine Art gruppendynamisches Experiment: Liebe Studierenden! Jetzt sitzt ihr hier. Wenn ihr das Semester mit mir durcharbeitet, gibt es eine Lehrveranstaltung mit soundsovielen ECTS-Credits. Aber die Inhalte bestimmt ihr! Was wollt ihr von mir lernen? Was wollt ihr wissen? Keine Ahnung, ob so etwas funktionieren kann, aber einfach nur mal die Verantwortung ganz gezielt an die Studierenden übertragen: Fragt mich einfach mal was! Was hat euch schon immer mal interessiert? Also, das was viele Studierenden oft machen am Ende einer Lehrveranstaltung, dass sie zu mir kommen und sagen: Ich hätte da mal eine Frage ... Kann man das nicht als Gegenstand, diesen natürlichen Impuls benutzen, um Lehre zu machen? Um einfach die Verantwortung den Studierenden zu übertragen. Das würde mich mal interessieren, ob das klappt.
Zunächst einmal, wenn man in einem Rahmen wie hier in dem Fellow-Programm zusammenkommt, wo viele Personen dabei sind, die alle sich selber Gedanken gemacht haben, wie man den Prozess des Lernen und Lehrens befördern und vorwärts bringen kann, da kommen die unterschiedlichsten Ideen zustande, zum Teil unterschiedlich deswegen, weil sie aus unterschiedlichen Fachdisziplinen stammen oder einfach auch nur die Studiensituationen vor Ort anders sind. Und ich denke: Man muss nicht unbedingt sofort daran denken, Dinge zu kombinieren, die da konkret vorgeschlagen werden. Was sehr hilfreich ist, einfach mal ab und zu einen Tritt gegen den Kopf zu kriegen und zu sagen: Okay, ich habe das Problem, ich habe diese Lehrinnovation zur Kenntnis genommen. Was löst es in mir an Ideen, an Assoziationen aus? Kann ich die wiederverwenden, um vielleicht selber eine neue Idee weiterzuentwickeln? Ich kann auch sagen: Ich habe bestimmt hier im Rahmen des Fellow-Treffens zwei oder drei Ideen nicht unbedingt kombiniert, aber die als Startpunkt genommen, um in meinen Lehrkontext zu übertragen und einzubetten und habe feststellen können: Ja, funktioniert wirklich, kann ich auch so machen. Und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, dass man eben auch eine Motivation hat, sich andere Dinge anzuhören, dass man inspiriert wird und dass es natürlich auch ein Austausch zwischen den Fwlows gibt, weil es ja alles Menschen sind, die mit einem ähnlichen, sagen wir mal, Treiber ausgestattet sind. Sie möchten eigentlich unheimlich gerne etwas für die Verbesserung der Lehre tun, und ich glaube, das ist für mich immer auch Stimulanz, hierher zu kommen, weil man einfach neue Ideen bekommt. Und ich muss nicht lange debattieren, warum ich glaube, dass das wichtig wäre. Da sind wir alle auf einer Ebene. Und das macht es eigentlich auch wertvoll. Ich glaube, dass da auch eine ganze Menge Impulse aus so einem Kontext heraus entstehen.