Skip to main content

Mit Sicherheit zu mehr Innovationen

Wie Hochschulen sicherheitsrelevante Forschung bewerten

Ergebnisse aus dem Hochschul-Barometer 2024/2025

Policy Paper

Mit Sicherheit zu mehr Innovationen (Cover der Publikation)
Mit Sicherheit zu mehr Innovationen (Cover der Publikation)
  • Eine aktuelle Befragung der Hochschulleitungen in Deutschland macht die Relevanz sicherheitsrelevanter Forschung deutlich.
  • Mehr als die Hälfte der Hochschulleitungen attestieren sicherheitsrelevanter Forschung eine wachsende Bedeutung.
  • Hochschulen wollen mehr zu sicherheitsrelevanter Forschung beitragen – Bürokratie und fehlende Strukturen bremsen sie aus. Zwei Drittel beklagen inadäquate Infrastrukturen an ihren Einrichtungen.
  • Die bestehende Trennung von ziviler und militärischer Forschung blockiert Innovationspotenziale und verhindert einen breiteren zivilen Nutzen von Investitionen in Sicherheit für Wirtschaft und Gesellschaft.
  • Für eine aktive Rolle der Hochschulen braucht es gezielte strukturelle Befähigung durch klare ethische Leitplanken, moderne Infrastrukturen und verlässliche Fördermechanismen.

 
Das im Juli 2025 veröffentlichte Policy Paper fasst die Ergebnisse einer Umfrage im Rahmen des Hochschul-Barometers zusammen. Der Stifterverband hat Hochschulleitungen in Deutschland gefragt, wie sie sicherheitsrelevante Forschung in Deutschland bewerten.

Deutschlands Hochschulen stehen bei Forschung, Lehre und Transfer zunehmend im Spannungsfeld internationaler Sicherheit, technologischer Souveränität und gesellschaftlicher Resilienz. Die geopolitische Zeitenwende – geprägt durch den russischen Angriffskrieg, systemische Konkurrenz mit China und die Notwendigkeit mehr sicherheitspolitsicher Unabhängigkeit in Europa – verändert die Rolle von Wissenschaft grundlegend. Hochschulen sind nicht nur Orte der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern auch strategische Akteure im sicherheitspolitischen Kontext.

Trotzdem blockiert in Deutschland eine historisch gewachsene, aber heute nicht mehr zeitgemäße Trennung von ziviler und militärischer Forschung die Entfaltung sicherheitsrelevanter Innovationspotenziale. Diese Trennung ist historisch tief in der deutschen Wissenschaftskultur verwurzelt. Sie prägt bis heute stark den Begriff "sicherheitsrelevante Forschung". Allerdings zeigen internationale Beispiele – wie die amerikanische Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) –, wie sehr zivile Innovationen von militärischer Forschung profitieren können, wie etwa im Bereich der Informationstechnik (GPS, Internet). Innovationen aus dem Bereich Deep Science (zum Beispiel Quantencomputing) – können sogar als "omni use" bezeichnet werden. Das heißt, sie sind universell in den verschiedensten Bereichen einsetzbar.

Was fehlt, ist nicht die ethische Abwägung, sondern ein neues Governance-Verständnis: Forschung muss verantwortungsvoll gestaltet, aber nicht pauschal eingeschränkt werden. Wer Sicherheit neu denkt, muss Wissenschaft systematisch einbeziehen. In Deutschland ist es Zeit für einen Perspektivwechsel.

 

Hochschulen zwischen Potenzial und Praxishemmnissen

Hochschulen wollen und können deutlich mehr zur sicherheitsrelevanten Forschung beitragen. In einer aktuellen Befragung des Hochschul-Barometers von Stifterverband und Heinz Nixdorf Stiftung nennen jedoch sieben von zehn befragten Hochschulleitungen bürokratische Hindernisse als zentrale Barriere, die eine intensivere Beteiligung verhindern. So können Exportkontrollen zu monatelangen Verzögerungen bei internationalen Forschungskooperationen führen. Zu enge Datenschutzregelungen erschweren zudem den Datenaustausch in internationalen Projekten erheblich. Drittmittelanträge, insbesondere bei ressortübergreifenden Vorhaben, sind oft derart komplex und zeitaufwendig, dass Hochschulen auf Anträge im sicherheitsrelevanten Bereich ganz verzichten. Diese Hürden sollen berechtigterweise den Abfluss sicherheitsrelevanten Wissens verhindern. Hochschulen benötigen hier aber klare Regeln statt langer Prüfprozesse.

Ein weiteres zentrales Hemmnis ist die unzureichende sicherheitsrelevante Infrastruktur an Hochschulen. Zwei Drittel der Hochschulen geben an, dass ihnen ausreichende Infrastruktur für sicherheitsrelevante Forschung fehlt – etwa für Labore, IT-Sicherheit, Zertifizierungen.

Zivilklauseln, die Forschung mit militärischem Bezug zur Disposition stellen, existieren laut der Befragung der Hochschulleitungen an etwa 30 Prozent der Hochschulen. Sie verfolgen das nachvollziehbare Ziel, unethische oder militärisch problematische Forschung zu verhindern, sind jedoch oft zu pauschal formuliert. Die Folge ist, dass wichtige sicherheitsrelevante Forschungsfelder, etwa Entwicklungen im Bereich der Cybersicherheit, umfassenden Prüfverfahren unterzogen werden, obwohl sie wesentlich zur zivilen Sicherheit beitragen könnten.

 

Hochschulen als Schlüsselakteure für Resilienz, Innovation und Talente

Sicherheitsrelevante Forschung an Hochschulen ist nicht im Widerspruch zur Offenheit von Wissenschaft zu sehen, sondern Ausdruck einer modernen gesellschaftlichen Verantwortung. Mehr als die Hälfte der Hochschulleitungen erkennt die wachsende Bedeutung sicherheitsrelevanter Forschung an.

Die Ausweitung sicherheitsrelevanter Forschung an Hochschulen wird nicht nur als Reaktion auf geopolitische Herausforderungen verstanden, sondern auch als strategische Chance für Innovation und gesellschaftliche Wirkung: Jeweils 30,7 Prozent der befragten Hochschulen verbinden mit einem Ausbau sicherheitsrelevanter Forschung sowohl die Entwicklung innovativer Technologien als auch den Zugang zu zusätzlichen finanziellen und personellen Ressourcen. Diese Einschätzung unterstreicht, dass sicherheitsrelevante Forschung nicht als Einschränkung wissenschaftlicher Freiheit, sondern als Katalysator für technologische Fortschritte und bessere Ressourcenausstattung wahrgenommen wird.

Gleichzeitig erkennen 28,6 Prozent der Hochschulen in der sicherheitsrelevanten Forschung einen konkreten Beitrag zur gesellschaftlichen Sicherheit. Hochschulen wollen sich also aktiv an der Bewältigung gesellschaftlicher Krisen beteiligen – sei es im Bereich Cybersicherheit, kritische Infrastruktur oder Resilienzforschung.

 

Handlungsempfehlungen

Um Hochschulen in ihrer Rolle als zentrale Akteure sicherheitsrelevanter Forschung nachhaltig zu stärken, bedarf es gezielter politischer Steuerung entlang der drei Handlungsfelder: Governance, Strukturen und Transfer.

 
Die bisherige Regulierungslogik verhindert mehr, als sie schützt. Statt pauschaler Zivilklauseln und schwerfälliger Prüfprozesse braucht es eine Governance, die ethischen Standards institutionell absichert – ohne Innovation zu lähmen.

  • Verfahren vereinfachen: Die Exportkontrollpraxis und Drittmittelvergabe im sicherheitsrelevanten Bereich müssen rechtssicher, aber praxistauglich organisiert werden – durch einheitliche Bewertungsmaßstäbe und beschleunigte Bearbeitungsfristen.
  • Klare Zuständigkeiten definieren: Die fragmentierte Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Hochschulen erschwert die Steuerung.

 
Hochschulen sehen klare Innovationspotenziale – doch fast 60 Prozent von ihnen fehlt die nötige Infrastruktur. Auch die administrative Überforderung bremst Engagement. Ohne strukturelle Befähigung bleibt sicherheitsrelevante Forschung Randthema.

  • Investitionen in Sicherheit als Investitionen in Innovation verstehen: Die Förderung sicherheitsrelevanter Forschung sollte nicht allein als Aufgabe eines Forschungsressorts verstanden werden. Entsprechende Budgets für Verteidigung und Sicherheit müssen mehr als bisher auch als Investitionen in (sicherheitsrelevanten) Zukunftstechnologien gesehen werden.
  • Sicherheitsrelevante Infrastruktur fördern: Aufbau eines ressortübergreifenden Defence Science Security Infrastructure Fonds für spezialisierte Forschungsinfrastrukturen (zum Beispiel Labore, IT-Sicherheit, Zertifizierungskapazitäten), finanziert über eine öffentlich-private Partnerschaft.
  • Personal und Expertise stärken: Hochschulen benötigen gezielte Mittel zur Rekrutierung und Qualifizierung sicherheitsrelevanter Fachkräfte – sowohl wissenschaftlich als auch administrativ.
  • Fast-Track-Verfahren etablieren: Einführung eines beschleunigten Förderverfahrens für sicherheitsrelevante Drittmittelprojekte.

 
Hochschulen sind nicht nur Wissensproduzenten, sondern Schnittstellen gesellschaftlicher Resilienz. Um diese Rolle auszufüllen, fehlt die strukturelle Einbettung in Sicherheits- und Innovationsnetzwerke.

  • Curriculare Verankerung sicherheitsrelevanter Kompetenzen: Einführung verpflichtender Module zu Themen wie Cybersicherheit, Ethik sicherheitsrelevanter Forschung oder Risikoabschätzung in MINT-Studiengängen.
  • Public Innovation Procurement für Hochschulen erproben: Mithilfe öffentlicher Ausschreibungen sicherheitsrelevanter Technologiebedarfe Hochschulen gezielt zur Entwicklung anwendungsnaher Prototypen anregen. So kann sicherheitsrelevante Forschung frühzeitig mit konkreten staatlichen Anforderungen verzahnt und der strategische Transfer gestärkt werden.
  • Aufbau regionaler Innovationsnetzwerke ("Reallabore Sicherheitstechnologie"): Pilotregionen zur Erprobung von Kooperationen zwischen Hochschulen, Unternehmen und Sicherheitsbehörden schaffen.
  • Deep Tech strategisch integrieren: Hochschulen müssen gezielt in die Entwicklung und den Transfer von sicherheitsrelevanten Deep-Tech-Innovationen eingebunden werden. Dazu braucht es eine strategische Verzahnung mit SPRIND und der Cyberagentur.

 
FAZIT: HOCHSCHULEN GEZIELT BEFÄHIGEN – FÜR EINE RESILIENTE UND INNOVATIONSFÄHIGE SICHERHEITSARCHITEKTUR

Sicherheitsrelevante Forschung ist nicht nur eine strategische Antwort auf geopolitische Herausforderungen – sie ist ein Treiber für zivilgesellschaftlichen Fortschritt. Technologien wie Künstliche Intelligenz, Quantencomputing oder synthetische Biologie, die ursprünglich im sicherheitsbezogenen Kontext entwickelt wurden, entfalten ihr volles Potenzial gerade auch im zivilen Bereich: in der Gesundheitsversorgung, im Umweltschutz, in der Energieeffizienz oder der digitalen Bildung. Der pauschale Ausschluss solcher Forschungsfelder aus Hochschulen greift daher zu kurz. Was es braucht, ist keine Einschränkung, sondern eine differenzierte Steuerung. Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, Forschung mit potenziell dualem oder universellem Nutzen verantwortungsvoll, transparent und auf Basis klarer ethischer Standards durchzuführen.
 

Hochschul-Barometer (Logo)

Das Hochschul-Barometer ist eine gemeinsame Initiative von Stifterverband und Heinz Nixdorf Stiftung. Für das Hochschul-Barometer befragt der Stifterverband jährlich die Hochschulleitungen in Deutschland zur Lage der Hochschulen, Herausforderungen und geplanten Entwicklungen. Das Ziel besteht darin, Trends und Stimmungen an den Hochschulen aufzudecken und die Öffentlichkeit auf die Belange der Hochschulen aufmerksam zu machen, sowie Hinweise an Politik und Wissenschaftsförderer für weitere Verbesserungen im Hochschulbereich zu geben.

AUTORIN UND AUTOREN

Maik Gebert
Referent für Forschungs- und Innovationspolitik

Pascal Hetze
Co-Leiter des Handlungsfelds "Kollaborative Forschung & Innovation"

Marian Burk
Wissenschaftlicher Referent

Svetoslava Antonova-Baumann
Teamleiterin im Fokusthema "Forschung und Innovation systemisch gestalten"

Back to top