Stefan Düll: Wie man den Lehrerberuf attraktiver machen kann

Wir haben so viele Köpfe im Lehramt wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, vermutlich der ganzen deutschen Geschichte nicht. Und insofern ist es notwendig, sich um die zu kümmern.

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Stefan Düll: Wie man den Lehrerberuf attraktiver machen kann (Video)
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Obwohl so viele Lehrkräfte wie noch nie im deutschen Schulystem tätig sind, ist ein allgemeiner Lehrermangel zu beklagen. Laut Prognosen fehlen bis zum Jahr 2030 bis zu 68.000 Lehrkräfte. Die Folgen: Unterricht fällt aus, notwendige Kompetenzen werden nicht ausreichend vermittelt, Lehrkräfte kommen an ihre Belastungsgrenzen.

Dabei war der Lehrerberuf in Deutschland einmal überaus begehrt. Er galt als Aufsteiger-Beruf, wie Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, in diesem Interview erläutert. Familie und Beruf ließen (und lassen) sich in ihm gut vereinbaren. Heute wäre es aber notwendig, auch Personen mit anderen Lebensentwürfen für den Lehrerberuf zu begeistern. Vertrauensarbeitszeit, Homeoffice sind  jenseits des Lehrerberufs mittlerweile in der Berufswelt ebenfalls schon weit verbreitet.

Es müsse eine höhere Wertschätzung für den Beruf angestrebt werden, um ihn wieder attraktiver zu machen, so Düll – sowohl für diejenigen, die sich bereits im System befinden als auch für jene, die man in Zukunft gerne für den Beruf gewinnen möchte. Dazu gehöre auch, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, Lehrer und Lehrerinnen durch den Einsatz von Sozialarbeitern und Schulpsychologen zu entlasten und somit gute Lernerfolge in den Klassenzimmern zu ermöglichen. Und nicht zuletzt sei auch der allgemeine Zustand von Schulen und Schulgebäuden ein guter Indikator für den Grad der Wertschätzung durch Politik und Gesellschaft.

 

Transkript des Videos

Das Dilemma bei diesen Diskussionen, die wir alle führen, auch wir Lehrerverbände, die geht zum Teil an der Bevölkerung vorbei. Ich drücke es mal so rum aus, wir müssen emotionaler werden. Wir brauchen diejenigen, die davon begeistert sind und das ist das Gros eigentlich. Was diesen Beruf so ausmacht und so einmalig macht und so toll macht, das ist diese emotionale Komponente und die muss man rüberbringen, sage ich mal, auch durch Leute, die ihren Beruf gerne ausüben. Vielleicht muss man die verstärkt in den Mittelpunkt stellen. Ich mache das gerne, das ist schön.

Es gibt viele, viele, viele Schwierigkeiten und wir Deutschen sind perfekt darin, immer festzustellen, das Glas ist halb leer. Aber vielleicht gibt es auch ein paar Menschen, die feststellen, eigentlich ist es halb voll und ich mache diesen Beruf gerne und ich finde es toll. Und ich sehe es auch nicht als eine Last, dass ich verbeamtet werde. Ich habe da neulich was gelesen, dass eine Frau total fertig ist, weil sie verbeamtete Lehrkraft ist und nicht weiß, wie sie da rauskommen soll. Ich habe einen einfachen Tipp für sie, formlos ein Schreiben an das zuständige Kultusministerium, hiermit kündige ich und die Angelegenheit ist dann in wenigen Wochen ein für alle Mal für sie erledigt.

Bei allen Umfragen kommt raus, warum sind die Lehrer in diesen Beruf gegangen und warum sind sie eigentlich immer noch gern drin, trotz all dieser Probleme, die sie haben und da kommt in allen Studien raus, weil sie das gerne machen, mit den Kindern zusammenarbeiten, den Kindern was vermitteln und am Ende des Schuljahres und am Ende der Abschlussprüfung zu sehen, hey, ich habe was bewegt, ich habe was vorangebracht, ich war wirksam.

Also das Interessante ist ja, dass man nicht wirklich darüber spricht, wer sind denn die klassischen Menschen, was haben die für einen Hintergrund, dass sie Lehrkräfte werden. Früher war Lehrerwerden mal ein Aufsteigerberuf. Das muss man ganz offen sagen. Das waren junge Menschen, deren Eltern kein Abitur hatten, kein Hochschulstudium hatten, aber man wird Lehrer. Dieser Gedanke des Aufsteigens ist eigentlich kaum mehr vorhanden. Was heutzutage ein ganz wesentlicher Punkt ist, und das sieht man ja daran, dass er bei Frauen so beliebt ist: Das Lehramt lässt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in einem besonderen Maße zu, denn Homeoffice war für unseren Berufsstand immer schon selbstverständlich. Wir haben es nur nicht so genannt. Das war der unsichtbare Teil unserer Arbeit. Und das war mit eine Attraktivitätspunkt zu sagen als junge Frau, das ist ein Beruf, ich möchte gern was Akademisches machen. Ich mag diese Fächer, die ich da unterrichten werde, aber ich kann das in diesem Beruf besonders gut mit einer Familie vereinbaren. Woraus sie wieder schließen können, das hat auch was mit einem gewissen traditionellen Familienbild zu tun.

So, das ist jetzt scheinbar die traditionelle Gruppe. Wie komme ich jetzt an die anderen ran? Wie komme ich an Managertypen beispielsweise ran? Jemanden, der genauso gut in einem Unternehmen in Führungspositionen sein könnte. Wie kann ich den begeistern? Und da sage ich mal ganz knallhart, den wäre ich nicht allein dadurch begeistert, dass ich sage, die Fächer sind so toll, die du da hast und du hast so ganz tolle Arbeitsbedingungen mit Vertrauensarbeitszeit und Zeitsouveränität. Das ist zwar alles richtig, aber dann sagt er, naja, gut, Vertrauensarbeitszeit, auch Gleitzeit und sowas kann ich im anderen Beruf auch haben und die erlauben mir sogar, dass ich nahezu ausschließlich im Homeoffice tätig bin. Das ist nämlich das Neue, das ist die Konkurrenz, die wir jetzt bei den akademischen Berufen haben zum Lehramt, dass ich eben die Möglichkeit habe, Homeoffice in einem viel stärkeren Maße zu machen als im Lehramt und insofern ist es schwer, neue Gruppen zu finden.

Ich hatte mal die Hoffnung, dass wir verstärkt Menschen mit Migrationshintergrund auch finden könnten, aber anscheinend ist er für die auch nicht so wahnsinnig attraktiv, wobei ich da noch nicht so ganz dahinter gestiegen bin, was der Hintergrund dafür eigentlich ist. Da müsste man mal die entsprechenden Studien anfertigen, denn ich glaube, es existieren gar keine. Die Attraktivität, das ist die dritte Säule, sage ich einmal, neben dem, dass ich im Verwaltungskram befreit werde durch entsprechende Assistenzkräfte auch oder durch soziales Personal, das ich habe, sozialpflegerisches Personal, das mich unterstützt und dann bessere Ausstattung. Da kommt dann schon noch der Punkt hinzu, gesellschaftliche Anerkennung, zu sagen, das ist etwas, was unserer Gesellschaft tatsächlich wichtig ist und wir haben einen hohen Respekt vor dem, was da geleistet wird, weil es eine gute Arbeit ist.

Unser gesamtes Wirtschaftswesen in Deutschland, der Erfolg unserer deutschen Wirtschaft beruht darauf, dass wir junge Menschen hervorragend letztlich ausgebildet haben. Da kann man erzählen, was man will, an Negativen über das Bildungswesen, aber wenn wir uns mal anschauen, wie gut Deutschland dasteht, dann liegt es unter anderem daran, dass unsere Schulen in der Lage sind, eine Top-Ausbildung zu ermöglichen. Ich bitte da auch immer an das berufliche Schulwesen denken, das wird ganz gerne übersehen, obwohl da ein ganz ganz großer Teil der jungen Menschen durchgeht. Das ist mal ein ganz entscheidender Punkt, und die Schulen schaffen noch etwas ganz Wesentliches für den Erfolg unserer Gesellschaft, den Kitt der Gesellschaft, den vermitteln wir letztlich in den Schulen. Das fängt schon an mit den Kindertagesstätten, wird aber über die Schulen ganz intensiv weitergetragen und davon zehrt eine Gesellschaft ungemein, wenn das in der Schule funktioniert.

Ein ganz wesentlicher Punkt ist letztendlich, dass wir uns um die Lehrkräfte kümmern, die im System sind, die schon da sind, die schon vor den Klassen stehen, die Köpfe sind. Ja, da, wir haben so viele Köpfe im Lehramt wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, vermutlich der ganzen deutschen Geschichte nicht. Und insofern ist es notwendig, sich um die zu kümmern. Und die behalten wir nicht unbedingt ausreichend im Blick. Also ich sehe da durchaus zwei Säulen. Es geht um die Lehrer, die schon da sind, und es geht um neue Lehrer. Aber es muss uns halt bewusst sein, bis die neuen Lehrer, auch mit einer neuen Ausbildungsordnung, bis die dann in den Lehrerzimmern die Mehrheit stellen, das dauert Jahrzehnte.

Das geht nicht von heute auf morgen. Deswegen muss ich mir was einfallen lassen, wie ich mit jenen, die im System drin sind, wie ich für die die Arbeitsbedingungen so verbessere, dass sie bereit sind, ihre Teilzeit zu erhöhen. Noch ist es so, dass im Allgemeinen die Stundentafel eingehalten wird, die von den Schulordnungen vorgegeben wird. Aber wir werden an den Punkt kommen, dass wir den Offenbarungseid machen müssen, dass für das eine oder andere Fach nicht ausreichend viele Lehrkräfte da sind. Dann wird aus dem zweistündigen Fach ein einstündiges, aus dem dreistündigen ein zweistündiges. Das muss verhindert werden und das kann ich vom Prinzip her verhindern, wenn ich die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte im System eben deutlich verbessere, weil dann eben auch dieser große Anteil, der in Teilzeit arbeitet, durchaus bereit ist, noch gerne bereit ist, die Teilzeit zu erhöhen. Aber das mache ich nicht, wenn ich den Eindruck habe, die Politik interessiert sich für die Herausforderungen im schulischen Alltag nicht, die Politik leistet keine Maßnahmen, um flankierend mich zu unterstützen in meiner Arbeit. Da gibt es keine Schulpsychologen, da gibt es keine Sozialarbeiter, da gibt es keine die Assistenzkraft, die in die eine oder andere Stunde mit hineingehen kann, in die eine oder andere Klasse.

Wenn ich Schulgebäude habe, die im miserablen Zustand sind, dann ist das auch sozusagen eine Ohrfeige für jede Lehrkraft. Und an diesen Dingen muss ich arbeiten, an diesen Dingen kann ich auch letztlich arbeiten. Und dann bin ich überzeugt, wenn die Kolleginnen und Kollegen sehr wohl bereit sein, die Teilzeit zu erhöhen und verstärkten Einsatz zu leisten. Aber das muss eben auch flankiert werden durch entsprechende fordernde Maßnahmen. Besserer Arbeitsplatz, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Ausstattung. Auf der einen Seite rein materiell und auf der anderen Seite flankierendes Personal.