Thorsten Bohl: Eine Dachgesellschaft für die Lehrkräftebildung

"Ich meine, so ein Dachverband der Lehrkräftebildung könnte gemeinsam mit den Bundesländern, gemeinsam mit der KMK, aber auch darüber hinaus versuchen, Impulse zu setzen und Innovationen in die Fläche zu bringen."

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Thorsten Bohl: Eine Dachgesellschaft für die Lehrkräftebildung (Video)
Thorsten Bohl: Eine Dachgesellschaft für die Lehrkräftebildung (Video)
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Thorsten Bohl spricht in dem im September 2024 vom Stifterverband veröffentlichten Video über die Gründung einer deutschen Gesellschaft für Lehrkräftebildung. Mit dieser Dachgesellschaft würde eine Organisationsstruktur entstehen, die sich zum Beispiel um phasenübergreifende Curricula kümmern und Standards für Institutionalisierung und für Einrichtung der Lehrkräftebildung entwickeln könnte. Sie könnte beraten und Expertisepapiere verfassen, so dass es eher gelingen kann, in einem nationalen Konsens die großen Baustellen der Lehrkräftebildung zu schließen.

Prof. Dr. Thorsten Bohl, Leiter der Tübingen School of Education, Eberhard Karls Universität Tübingen, ist Mitautor eines Eckpunktepapiers zur Institutionalisierung der Lehrerbildung.

Interview und Videoproduktion: Corina Niebuhr, Webclip Medien Berlin

 

Transkript des Videos

Es liegen derzeit zwischen zehn und 20 Gutachten auf dem Tisch, die alle tendenziell quasi auf eine höhere Kohärenz und mehr Qualität in der Lehrkräftebildung pochen. Und deswegen ist es derzeit ein extrem günstiges Zeitfenster, um wirklich mal einen Hebel anzusetzen und substanzielle Strukturverbesserungen in der Lehrkräftebildung voranzubringen.

Wir arbeiten jetzt seit einem Jahr ungefähr an der Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Lehrkräftebildung, um das zu machen, was in anderen Ländern, Australien, Amerika beispielsweise auch geschieht, nämlich dass man national bestimmte Themen im Blick nehmen kann und unter Experten und Expertinnen phasenübergreifend angehen kann. So, und für Deutschland würde das bedeuten, man hätte da quasi einen Kommunikationsraum und eine Struktur, eine Organisationsstruktur und eine Expertisestruktur, die sich zum Beispiel um phasenübergreifende Curricula kümmern könnte, die Standards für Institutionalisierung und für Einrichtung der Lehrkräftebildung entwickeln könnte, die beraten könnte, die Expertisepapiere verfassen könnte, dass es vielleicht eher gelingt, in einem nationalen Konsens die großen Baustellen der Lehrkräftebildung im Laufe der Zeit abzubauen, die wir definitiv haben. Das ist die Idee, die da dahinter steckt.

Ein Beispiel ist, dass an Hochschulen, an Universitäten, die einen hohen Anteil von Lehramtsstudierenden hat, zum Beispiel 20 Prozent oder mehr, dass die nochmal sich spezifischer darüber Gedanken macht, wie sie Lehrkräftebildung hochkarätig gestalten kann. Und da gehört jetzt eine ganze Reihe von Themen dazu, zum Beispiel, wie man in den Fachwissenschaften für Lehramtsstudierende das Thema Professionsbezug und Berufsfeldbezug stärker mit reinbringen kann, ohne dass das fachwissenschaftliche Niveau möglicherweise leidet. Also zum Beispiel eigene Veranstaltungen für Lehramtsstudierende in den Fachwissenschaften oder ergänzende Veranstaltungen auszurichten. Und das könnte zum Beispiel ein Kriterium sein im Rahmen eines Qualitätssiegels, wie eine Universität mit fachwissenschaftlichen Veranstaltungen im Lehramtsstudium umgeht.

Ein anderes Thema könnte sein: Wie können die Zentren und die Schools mitsprechen, wenn Professuren im Bereich der Lehrerbildung besetzt werden? Also, welches Profil bringen die mit beispielsweise für die Lehrkräftebildung? Und dass man das nicht ganz freigibt sozusagen in die Disziplinen und Fächer, weil die zum Teil auch noch mal andere Traditionen und andere Interessen haben und dass man darüber auch Einfluss nehmen kann, wer kommt, der sich nachher auch für Lehrkräftebildung engagiert an dem Standort. Das wäre ein zweites Beispiel.

Oder ein drittes Beispiel wäre, wie die Leitungen der Zentren und Schools ausgestattet sind im Vergleich zu Dekanen und Dekaninnen, weil die quasi inneruniversitär sozusagen häufig mit Dekaninnen und Dekanen auf Augenhöhe verhandeln und sprechen, aber sie machen das in der Regel nebenher und ehrenamtlich und mit sehr wenig Zeit neben ihrer Lehrstuhlarbeit nebenher. Und ein vernünftiger Standard wäre, dass die Leitungen der Zentren und Schools ähnlich ausgestattet sind und auch ähnliche Zeitbudgets haben wie zum Beispiel Dekane und Dekaninnen. Damit zum Beispiel die Schools und die Zentren angesichts der zunehmenden Aufgaben, die sie haben, entsprechend arbeiten können, dass sie institutionell ausgestattet sind, dass sie entsprechende Mitsprachemöglichkeiten haben, dass sie zum Beispiel auch an die Präsidien und Rektorate entsprechend angedockt sind, dass die Leitungsstruktur dieser Zentren und Schools entsprechend ausgestattet ist, so dass sie quasi auch wirkmächtig sozusagen innerhalb der Hochschulen für Lehrerinnen und Lehrerbildung sich einsetzen können. Und das Problem ist eben, dass es bisher im nationalen Vergleich sozusagen in das totale Belieben der einzelnen Hochschule gestellt ist, wie diese Zentren und Schools arbeiten und ausgestattet sind.

Jemand, der Lehramt in Deutschland studiert, der studiert in der Regel in drei Bereichen, das ist Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaft und macht als viertes noch Praktika im Laufe des Studiums. Und diese vier Bereiche sozusagen, die werden zusammengehalten, organisiert, unterstützt durch die Zentren für Lehrkräftebildung und durch die Schools of Education. Und die halten quasi den Laden zusammen, so könnte man sagen, legen eine vernünftige Struktur rein, schauen, dass es kohärent wird, und achten auf ein qualitätsvolles Studium, so dass die Studierenden eben gerne studieren, dass sie was lernen und dass sie eben das Studium beispielsweise nicht abbrechen. Das Problem derzeit ist eben, dass die Frage, wie die Zentren und Schools arbeiten und ausgestattet sind, dass die fast ausschließlich daran hängt, wie die Rektorate und Präsidien, die jetzt gerade zu dem Zeitpunkt einer bestimmten Universität das Sagen haben, welche Relevanz für die Lehrkräftebildung hat und wie sie sich dafür engagieren. Das ist sehr häufig ein personenbezogenes Interesse, das sehr stark variiert, je nachdem, wer gerade Präsident oder Präsidentin ist oder wie in den Rektoraten und Präsidien Lehrerbildung geschätzt wird. Da steckt eine sehr starke Zufälligkeit und Beliebigkeit dahinter, was ja auch inneruniversitär verständlich ist, weil wenn jemand Rektor wird, dessen Hauptschwerpunkt Biochemie ist beispielsweise, was mit Lehrerbildung gar nichts zu tun hat oder Neurowissenschaft oder irgendwas anderes, dann ist ja klar, dass der primäre Fokus nicht Lehrkräftebildung ist.

Und über so ein Gütesiegel und Standards für die institutionelle Qualität der Lehrkräftebildung könnte man auch absichern, dass das Personenunabhängig ist und dass man sagen kann: So, wir garantieren hier an unserer Einrichtung bestimmte Standards unabhängig von den Personen, die gerade in den Präsidien und Rektoraten das Sagen haben. Und das würde auch die Akteure in den Zentren und Schools massiv entlasten, weil die ja quasi bei jedem Rektorat und Präsidium nochmal neu quasi in Verhandlungen treten müssen und nochmal neu ihr Standing erarbeiten müssen zugunsten der Lehrkräftebildung. Und das gibt es national derzeit nicht und ist auch länderspezifisch im Grunde fast gar nicht irgendwie, sag ich mal, standardisiert oder verankert. Und dabei ist es eine ganz wichtige Grundlage der Lehrkräftebildung.

Die KMK hat natürlich auch aufgrund der Kultur der Länder eine wahnsinnig schwierige Aufgabe und ist eben halt auch nur so dynamisch und schnell, wie die Länder bereit sind mitzumachen. Insofern ist eigentlich weniger die KMK in Sicht des Problems, sondern die Bundesländer, die eben sozusagen auf ihre Sicht der Dinge beharren und da eben nur begrenzt flexibel sind, sich da weiterzuentwickeln. Insofern hat die KMK auch eine schwierige Aufgabe, aber ich würde nicht sagen, dass die KMK die Speerspitze der Innovationen in Deutschland ist, mit Sicherheit nicht. Und ich meine, so ein Dachverband der Lehrkräftebildung könnte ja auch gemeinsam mit den Bundesländern, gemeinsam mit der KMK, aber auch darüber hinaus versuchen, Impulse zu setzen und Innovationen in die Fläche zu bringen. Das wäre schon eine sehr, sehr wichtige Zielsetzung für die Lehrkräftebildung in Deutschland.

Gerade angesichts der Situation derzeit mit Lehrermangel, mit vielen Innovationen, die mit riesigem Tempo auf die Lehrerbildung zukommen, also zum Beispiel die ganze KI-Diskussion, die uns noch massiv verfolgen wird in den nächsten Jahren, wo wir agieren müssen, die ganze Digitalisierung, Inklusion, also, es gibt viele Baustellen, die sicherlich noch nicht hinreichend bearbeitet sind in der Lehrkräftebildung in Deutschland, und das könnte man mit so einer Fachgesellschaft auf jeden Fall auch unterstützen und stärken.

Wir brauchen für die ersten drei Jahre ungefähr Unterstützung, weil wir dann ab dem vierten Jahr ungefähr hoffen, dass über Mitgliedsbeiträge der Verband organisierbar ist. Das wird aber in den ersten drei Jahren nicht so schnell möglich sein. Deswegen brauchen wir da Unterstützung und die ist auch dringend notwendig, weil man muss sich vorstellen, dass diese Dachgesellschaft versucht, über die Phasen hinweg auch inhaltliche Papiere in inhaltlichem Konsens und inhaltliche Expertise zu entwickeln, zu verschriftlichen und auch beratend in die Politik und in die Öffentlichkeit zu bringen.

Und das kann man nicht nebenher machen. Da braucht man schon eine inhaltlich arbeitende Geschäftsstelle, um die Idee überhaupt mal in Gang zu bringen. Wir haben da keine Tradition in Deutschland und müssen das erst mal ein Stück weit etablieren. Also, ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass der Start dieser Gesellschaft ohne eine finanzielle Unterstützung für die ersten drei Jahre fast fahrlässig ist, weil man sonst eine sehr wichtige und gute Idee vielleicht leichtfertig sozusagen vergeben würde. Und dann wäre die Hoffnung über eine finanzielle Unterstützung in den ersten drei Jahren, dass wir quasi parallel und mit der Allianz für Lehrkräftebildung dann gemeinsam in Richtung ziehen, und da hätte ich große Hoffnungen, dass das gelingen kann, weil die inhaltliche Richtung, die ist ganz klar, die geht dahin, in Deutschland eine höhere Kohärenz zu schaffen und eine Qualitätsverbesserung auf allen Ebenen zugunsten der Lehrkräftebildung zu leisten.