Zukunftsfähigkeit des Technologieprofils Deutschlands

Im Spiegel staatlicher Fördermaßnahmen

Policy Paper 04

 

Cover der Publikation "Zukunftsfähigkeit des Technologieprofils Deutschlands"

Technologischer Fortschritt gilt unumstritten als Triebkraft ökonomischer Leistungsfähigkeit. Er führt zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum in Form von Produktivitätssteigerungen und Beschäftigungswachstum sowie zur Entstehung gänzlich neuer Technologien, die wiederum die Grundlage neuer Wirtschaftszweige bilden. Damit stellt sich die Frage, welche (neuen) Technologien für ein Land besonders vielversprechend sind, um die eigenen Stärken weiter auszubauen und eine langfristig günstige Wirtschaftsentwicklung zu sichern.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Hightech-Strategie ist es für die Technologiepolitik in Deutschland insbesondere wichtig zu erfahren, welche Technologien förderwürdig sind und welche Deutschlands Fortbestand als Technologieführer in der Zukunft sichern. Dieses Policy Paper gibt hierauf erste Antworten.

Es baut auf aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft auf, wonach sich die Portfolios der technologischen Stärken von Ländern (und Regionen) nicht zufällig, sondern entlang technologischer Pfade entwickeln und komplexe Technologien größere Vorteile in der Zukunft bieten als einfache Technologien. Auf dieser Grundlage bewertet die vorliegende Studie das Technologieportfolio des deutschen Innovationssystems mithilfe von Patentdaten aus drei Perioden und einem anschließenden Vergleich mit der projektbasierten Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Die Ergebnisse zeigen, dass die in Deutschland im internationalen Vergleich starken Technologien auf ähnlichem Wissen beruhen – sie weisen eine hohe technologische Verwandtschaft zueinander auf. Jedoch befindet sich ein erheblicher Anteil dieser Stärken im Bereich der weniger komplexen Technologien mit entsprechend geringeren Aussichten auf starke gesamtwirtschaftliche Effekte. Die Politik stellt sich diesem Muster in Form einer vom aktuellen technologischen Spezialisierungsprofil abweichenden projektbasierten Förderung entgegen. So werden aktuell komplexe Technologien gefördert, von denen viele nur eine geringe Verwandtschaft zu den existierenden technologischen Stärken Deutschlands aufweisen. Dieses Muster kann entweder technologischen Notwendigkeiten geschuldet sein oder als Zeichen einer eher riskanten Förderstrategie gewertet werden. Letzteres würde dem häufig postulierten Bild der risikoaversen deutschen Technologiepolitik deutlich widersprechen.

Zudem identifiziert die Studie Technologien, die einerseits eine hohe Verwandtschaft zu existierenden Stärken des deutschen Innovationssystems aufweisen, zugleich aber auch einen überdurchschnittlichen Komplexitätsgrad besitzen. Diese liegen im Bereich der Chemie, Textilien und des Kraftwagen- und Arbeitsmaschinenbaus. Jedoch hat Deutschland aktuell in diesen Technologien nur unterdurchschnittlich stark patentierbare Forschung vorzuweisen.

Tom Broekel, Louis Knüpling, Gero Stenke:
Zukunftsfähigkeit des Technologieprofils Deutschlands
Policy Paper 04
Herausgegeben vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
Erschienen im Oktober 2020

Zentrale Ergebnisse und Empfehlungen

  • Das Profil der technologischen Stärken Deutschlands ist heterogener geworden und die Komplexität der Technologien ist kontinuierlich angestiegen. Zugleich sind Deutschlands technologische Stärken weiterhin gut ins gesamte Technologieportfolio eingebettet und oft miteinander verwandt. Für Deutschland ist es daher tendenziell leicht, seine technologischen Stärken weiter auszubauen. Die Voraussetzungen für die Entstehung neuer Technologien und für die Adaption von in Deutschland bisher weniger erfolgreicher Technologien sind günstig.
     
  • Seit 2000 ist die Verwandtschaft innerhalb der technologischen Stärken Deutschlands gestiegen, etwa aufgrund zunehmender Digitalisierung, die neue Komplementaritäten zwischen Technologien schafft. Allerdings zählt eine Vielzahl der komparativen Stärken eher zu den unterdurchschnittlich komplexen Technologien. Diese haben nur ein geringeres Potenzial, zukünftig größere ökonomische Vorteile zu generieren. Im Trend wird jedoch deutlich, dass Deutschland über ein steigendes Potenzial an vielversprechenden technologischen Stärken verfügt (hohe Verwandtschaft und hohe Komplexität).
     
  • Welche Technologien lassen sich identifizieren, in denen die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Position gut sind (hohe Verwandtschaft) und die vielversprechende Zukunftsmöglichkeiten aufweisen (hohe Komplexität), bei denen Deutschland aber bisher unterdurchschnittlich erfolgreich ist (weniger Patente als im EU-Durchschnitt)? Hierbei handelt es sich insbesondere um Technologien aus dem Bereich der Chemie und der Metallurgie, dem Maschinenbau, der Werkstoffe und Glasfasern.
     
  • Wie ist aus dieser Sicht die vergangene und aktuelle projektbasierte Förderpolitik des Bundesforschungsministeriums (als ein Bestandteil der gesamten Technologiepolitik) zu bewerten? Auf die Technologien, die stärker mit dem Technologieportfolio Deutschlands verwandt sind, entfallen etwa 40 bis 50 Prozent der geförderten Projekte. Jedoch hat sich die Verteilung zugunsten der komplexeren Technologien verschoben. Während auf überdurchschnittlich komplexe Technologien im Zeitraum von 1991 bis 2000 nur etwa die Hälfte der Projekte entfielen, sind des aktuell etwa zwei Drittel.
     
  • Aus Sicht der Verwandtschafts-/Komplexitätsperspektive ist die Förderstrategie des BMBF damit eher als riskant zu bezeichnen (Förderung von relativ unverwandten Technologien), wenn auch mit potenziell hohen Gewinnen (Förderung von komplexen Technologien) (high risk & high return). Die Gründe für diese Strategie können unterschiedlich sein. So kann etwa die häufige Förderung komplexerer Aktivitäten schlicht dem üblicherweise höheren Ressourcenbedarf dieser Art der Forschung geschuldet sein. Sie kann aber auch auf einen bewussten Fokus auf diese höherwertigen Aktivitäten, zum Beispiel im Rahmen der Hightech-Strategie und einer stärker missionsorientierten Innovationspolitik, zurückzuführen sein. Auch dass die Mehrzahl der geförderten Projekte auf Technologien entfällt, die eher weniger mit dem deutschen Technologiestärkenportfolio verwandt sind (rund 55 Prozent in allen Perioden), kann aus zwei verschiedenen Blickwinkeln bewertet werden. Positiv gesehen kann es als ein Zeichen der Unterstützung unverwandter Diversifizierung aufgefasst werden. In diesem Fall unterstützt die Förderung das Ziel, neue technologische Entwicklungspfade anzustoßen und Stärken außerhalb der etablierten Technologiefelder zu entwickeln. Die Förderung begründet sich in diesem Fall aus der geringeren Verwandtschaft zum Stärkenportfolio und der damit einhergehenden großen inhaltlichen Distanz zu den vorhandenen Ressourcen, die es zu überbrücken gilt.
     
  • Gerade vor dem Hintergrund, dass sich noch immer ein erheblicher Anteil weniger komplexer Technologien unter den technologischen Stärken Deutschlands befindet (mehr als die Hälfte), ist diese Strategie möglicherweise angebracht, um einen Lock-in, also eine langfristige Verfestigung dieser vergleichsweise unattraktiven Technologiefelder, zu verhindern. Eine zweite, eher negative Interpretation sieht im Fokus der Förderung auf unverwandte Technologien ein Zeichen eines mindestens riskanten, wenn nicht sogar ineffizienten Einsatzes staatlicher Mittel. Denn es werden Technologien gefördert, die sich durch eine geringere Komplementarität zum bestehenden Technologiestärkenportfolio auszeichnen. Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Technologien sich in Deutschland positiv entwickeln oder zu einer komparativen Stärke heranreifen, geringer.
     
  • Aus Sicht der Autoren ist der erstgenannte Blickwinkel zentral für eine langfristige und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung auf Basis von Innovationen. Sie ist auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu bevorzugen. Denn ein auf komplexen und neuartigen Technologien fußendes Innovationssystem ist eher in der Lage, gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen und neue Probleme zu lösen. Endogenes Wachstum, das dann entlang der horizontalen Achse (Wissensverwandtschaft) abläuft, wird so erst möglich.

Die Publikation knüpft an den 6. FuE-Workshop an: Unter dem Titel "Technologische Diversifizierung Deutschlands" hatte die Wissenschaftsstatistik im Stifterverband im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Expertinnen und Experten im September 2019 nach Essen eingeladen, um die Veränderungen des technologischen und innovatorischen Spektrums FuE-aktiver Unternehmen zu diskutieren.
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Kontakt

Gero Stenke (Foto: Marcel Schwickerath)
Gero Stenke (Foto: Marcel Schwickerath)
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Dr. Gero Stenke

ist Leiter und Geschäftsführer der Wissenschaftsstatistik im Stifterverband.

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