Namaste! Dein Zugang zum NEURONETZ wurde dir soeben erfolgreich gewährt. Dein eigener Ego-Tunnel wurde hiermit an die kollektive Wirklichkeitskonstruktion 3.0, kurz NEURONETZ, erfolgreich angeschlossen. Dein künftiges Wirken und Nicht-Wirken im NEURONETZ wird sich in Echtzeit auf die Struktur des gesamten NEURONETZES und damit auch unmittelbar auf die jeweiligen Ego-Tunnel (Lebenswirklichkeiten) der angedockten User auswirken. Gerade weil eine derart enorme Verschränkung der Wirklichkeitskonstruktionen vorliegt, sind mittlerweile alle User von NEURONETZ sehr darauf bedacht, eine entsprechende Achtsamkeit bei der Bedienung dieser kollektiven Wirklichkeitstechnologie zu entwickeln. Dazu dient das folgende - auf deinen Ego-Tunnel - persönlich zugeschnittene Bedienungshandbuch.
Bedienungsanleitung für das NEURONETZ
 via [flickr.com](https://www.flickr.com/photos/verzo/14343804186/) Feather Grass](/sites/default/files/styles/1080x607/public/feather_grass_16_9.jpg?itok=vXJ9g2u7)
1. Mind the unification
Die ersten User von NEURONETZ gingen von der aus heutiger Sicht absurd klingenden Annahme aus, dass die digitalen und analogen Wirklichkeitskonstruktionen voneinander strikt getrennt seien. Auf der einen Seite gäbe es „das Virtuelle“ und auf der anderen Seite „die Realität“. Es hat letztlich Jahrzehnte gedauert bis alle User von NEURONETZ begriffen hatten, dass die Wirklichkeitskonstruktionen erster, zweiter und dritter Ordnung stets nahtlos ineinander greifen. Es war wirklich nicht gerade einfach, alle teilnehmenden Ego-Tunnel in dieser Hinsicht miteinander zu synchronisieren. Daher ist es von großer Wichtigkeit, diese Regel trotz ihrer anscheinenden Trivialität auch hier und jetzt für dich zu wiederholen.
3. Mind the gap!
Bei der Verwendung vereinfachter und abstrakter Zeichensysteme sei davor gewarnt, dass die User Gefühlsreaktionen aufgrund von fehlenden Feedbackkanälen (z.B. Mimik und Gestik des gegenüberliegenden Ego-Tunnels) nicht vollständig und ausreichend dekodieren können. Informationslücken (Gaps) werden mit Interpretationen und Vermutungen des eigenen Ego-Tunnels automatisch aufgefüllt und so zu neuen Wirklichkeitsszenarien interpoliert, die jedoch extrem von der gemeinten Wirklichkeitskonstruktion des Gegenübers abweichen können. Missverständnisse oder gar heftige Konflikte sind daher oftmals die Folge dieser Wirklichkeitslücken. Achte bitte darauf.
4. Remember the leak!
Die Struktur von NEURONETZ ist darauf ausgelegt, Informationen, Konversationen und damit Wirklichkeitskonstruktionen dauerhaft zu konservieren. Das sogenannte „Recht auf Vergessen“, welches erstmals Anfang des 21. Jahrhunderts als eine verzweifelte Forderung zur Bewältigung von Erregungsdynamiken formuliert wurde, ist trotz der Möglichkeit, Informationen auch mit Verfallsdatum zu formulieren, natürlich nie zu 100 Prozent implementierbar. Wo ein Wille ist, da ist im Zweifel auch ein Leck.
5. Can't forget? Forgive!
Da ein ultimatives Vergessen in die allumfassende dezentrale Struktur von NEURONETZ technisch nicht implementierbar ist, steht daher die Verantwortung jedes einzelnen Users im Vordergrund. Daher gilt es zur Vermeidung möglicher Emotionskatastrophen eine den Ansprüchen kompatible Kulturtechnik zu erlernen: Gegenseitiges Verzeihen.
Werden Gefühle von Ego-Tunneln verletzt, so ist dies unverzüglich für Beobachter kenntlich zu machen. Erst dann besteht die Option einer gemeinsamen Klärung und einer Eindämmung des emotionalen Ausbruchs. Sind die Konfliktparteien nicht zu einer Klärung bereit, wird der betreffende Diskursstrang umgehend vom „EmoWatchBot“ des NEURONETZES als „Flame“ gekennzeichnet. Somit wissen Außenstehende, dass es sich hier nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit Hinblick auf eine mögliche erkenntnisreiche Synthese handelt, sondern um einen emotionalen Konflikt zwischen mehreren Ego-Tunneln. Das Betreten von „Flames“ erfolgt auf eigene Gefahr! Entitäten mit künstlicher Intelligenz (ausgenommen sind natürlich „MediationBots“) ist die Einmischung in „Flames“ strengstens untersagt.
7. Last Exit: Off
In den ersten Dekaden von NEURONETZ entstand ein seltsames Abhängigkeitsverhältnis mancher User. Das Phänomen wurde damals mit „Always On“ beschrieben und entzieht sich nach heutigem Stand unserer Vorstellungskraft. Damals glaubte man als User tatsächlich, man müsse auf jeden Kommunikationsreiz reagieren - selbst wenn dieser nicht unmittelbar an den eigenen Ego-Tunnel adressiert war. Kombiniert wurde dieser Reiz noch mit der Auffassung, man müsse jeden Ego-Tunnel, der sich ein wenig anders als der eigene verhält ungefragt kritisieren, korrigieren und maßregeln. Feedback war damals keine Option, die man erbittet, sondern wurde als Bringschuld interpretiert, die man offenbar unaufgefordert immer und überall abliefern musste. User baten nicht um Feedback, erhielten es aber stets ungefragt.
Natürlich ergaben sich daraus zahlreiche Konflikte, die sich zu den großen Emotionskatastrophen am Anfang des 21. Jahrhunderts katalysierten. Im Zuge dieser emotionalen Dynamiken konnten zahlreiche User auch nicht mehr ihren persönlichen Zugang zur Wirklichkeit 3.0 abschalten. Sie fühlten sich zunehmend überfordert und ihre emotionale Balance geriet aus den Fugen. Es wurde in der damaligen Zeit sogar über gesetzlich verordnete Auszeiten nachgedacht - was angesichts der heutigen Benutzung ziemlich absurd klingt. Auch wenn es für viele an der Stelle banal klingen mag: NEURONETZ kann - im Gegensatz zur Wirklichkeitskonstruktion erster und zweiter Ordnung - auch ohne Meditationstechniken vom eigenen Ego-Tunnel jederzeit getrennt werden.
Danke für deine Achtsamkeit. Wir wünschen deinem Ego-Tunnel eine erhellende Zeit im NEURONETZ.
