Der neue Präsident des Stifterverbandes, Michael Kaschke, vermisst Risikobereitschaft und eine abgestimmte Innovationsstrategie.
Herr Kaschke, wenn es stimmt, dass Krisen Innovationstreiber sind, müssten es für Forschung und Entwicklung goldene Zeiten sein.
Krisenzeiten sind nie goldene Zeiten, weil sie mit zahlreichen Einschränkungen verbunden sind. Aber sie sind Katalysator für Veränderungen, und sie bieten Chancen für Innovation.
Geht es um Chancen oder um die Notwendigkeit von Veränderung?
Um beides. In Krisenzeiten muss man agiler sein und Routen und Geschwindigkeiten anpassen. Unternehmen, die resilient und anpassungsfähig sind, werden gewinnen. Schwierig wird es, wenn Chancen zur Veränderung nicht gesehen werden und der Innovationsansatz fehlt.
Welche Prioritäten oder auch neuen Akzente sind also gefragt?
Die Pandemie hat deutlich gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung ist. Unternehmen, die hier die richtigen Investitionen tätigen und die richtigen Strategien haben, werden zu den Gewinnern gehören. Auch die Ausrichtung von Prozessen und Produkten auf Nachhaltigkeit wird ein Megathema bleiben, genauso wie Gesundheit und Urbanität: Wie lässt sich eine digitalisierte Gesundheitsökonomie und nachhaltiges Leben in Millionenstädten gestalten?
Megathemen, die aber auch Megainvestitionen verlangen ...
Gerade in der Krise braucht es die richtigen Mittel an den richtigen Stellen. Bei Zeiss haben wir auch in der Finanzkrise wichtige Entwicklungen wie bei der Optik für die EUV-Lithographie oder Lasern für die Medizin durchfinanziert. In beiden Technologien sind wir heute zusammen mit unseren Partnern Weltmarktführer. Andere Vorhaben müssen dann notfalls mal zwei Jahre warten.
Nur wurde beim Thema Digitalisierung schon viel zu lange gewartet.
Wir sind spät gestartet und viel zu zögerlich unterwegs. Mittlerweile gibt es aber auch Positives. In den klassischen deutschen Industrien Automobil- und Maschinenbau werden mehr als 25 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Digitalisierung und Hightech investiert. Allerdings haben führende Länder wie die Vereinigten Staaten, China, Südkorea oder Israel ihre Forschungsausgaben hier in den letzten Jahren noch stärker erhöht.
Stimmen mittlerweile die Rahmenbedingungen für die Aufholjagd in puncto Digitalisierung?
Es gibt noch eine Menge zu tun. Digitallösungen der Industrie brauchen auch eine entsprechende digitale Infrastruktur. Das gilt auch für die Verwaltung und Bildung. Gerade da haben wir weiterhin großen Nachholbedarf.
Die Regierungsparteien haben angekündigt, Deutschland solle Start-up-Nation werden. Trotzdem wandern erfolgversprechende Start-ups noch immer in die Vereinigten Staaten ab. Was muss sich ändern?
In der Frühphase der Innovation sind wir fast gleichauf mit den Vereinigten Staaten. Aber je weiter es in Richtung Umsetzung und Vermarktung geht, desto mehr fallen wir zurück.
Woran liegt das?
Innovative Entwicklungen wandern dorthin, wo der größte wirtschaftliche Erfolg zu erwarten ist. Das hat mit Risikokapital, aber auch mit vielen anderen Rahmenbedingungen zu tun. Und gerade disruptive Innovationen, die neue Märkte schaffen, haben es da schwer. Überregulierte Märkte, die wirtschaftliches Wachstum solcher Innovationen verlangsamen, sind ein Problem.
Steckt dahinter ein Mentalitätsproblem?
Zunächst mal zum Positiven: Unsere Stärke bei inkrementellen Innovationen, also der Anpassung und Weiterentwicklung von Produkten, war und ist ein Erfolgsmodell. Aber bei Umbrüchen in Technologien und Gesellschaft braucht es eine andere Risikobereitschaft. Nicht nur in der Industrie, sondern auch an den Hochschulen. Hier forscht man oft gern dort, wo der Fördertopf sicher ist. Da müsste ein Mentalitätswandel hin zu einer Start-up-Kultur stattfinden. Übrigens auch bei der Gestaltung der Förderung. Wir brauchen eine stärkere Durchlässigkeit von Wirtschaft und Wissenschaft. Hochschullehrer müssen sich viel stärker in der Wirtschaft engagieren können und umgekehrt.
Die veränderte außen- und sicherheitspolitische Lage fördert aber nicht gerade die Bereitschaft, ins Risiko zu gehen.
Das stimmt nur zum Teil. Richtig ist, dass wir in einigen Bereichen autarker werden müssen. In der globalisierten Welt brauchen wir aber das Wissen der Märkte. Wir müssen kooperieren, aber wir werden die Randbedingungen von Innovationskooperationen stärker in den Blick nehmen müssen. Fragen der Sicherheit, Souveränität und Verwendbarkeit von Produkten werden eine größere Rolle spielen. Man hätte schon früher an manchen Stellen stärker aufpassen müssen. Ich habe beispielsweise in der Vergangenheit immer wieder gefordert, dass deutsche Regierungsvertreter in China Fragen zum Schutz geistigen Eigentums deutlicher ansprechen.
Das deutsche Sicherheitsdenken ist also gar nicht so ausgeprägt?
Unsere vermeintliche deutsche Sicherheitsorientierung hat uns jedenfalls nicht daran gehindert, sehr offen und freigiebig in allen Teilen der Welt unterwegs zu sein. Aber gerade weil Offenheit so wichtig ist für Innovation und wirtschaftlichen Erfolg, müssen wir wachsam sein. Beides gehört zusammen. Auch Krisenvorbereitung ist eine Frage der Unternehmenskultur.
Was zeichnet eine krisenbewusste Unternehmenskultur aus?
Sich früh genug ausreichend vorzubereiten. Jemand hat mal gesagt, gerade in Zeiten des Erfolges muss man besonders paranoid sein. Das ist natürlich überspitzt formuliert. Aber gerade im Erfolg müssen wir unsere Resilienz stärken. Man kann das nicht oft genug wiederholen. Krisenvorbereitung ist immer ein Kraft- und Balanceakt.
Die Politik ist aktuell gefordert, Probleme der Energieversorgung abzufedern und zugleich die Weichen für Klimaneutralität und Nachhaltigkeit zu stellen. Auch das ist ein Kraft- und Balanceakt. Wie gut ist dieser eigentlich bislang gelungen?
Es gab ja weit verbreitet diesen Irrglauben, dass sich anstehende Transformationen bequem und zum Nulltarif erreichen lassen. Das hat sich spätestens jetzt als Illusion erwiesen. Momentan gelingt der Politik der Spagat, kurzfristig Entscheidungen zu fällen und dabei langfristige Ziele nicht aus den Augen zu verlieren, recht gut. Wichtig ist aber, dass die Politik bei allen anstehenden Transformationsthemen offen bleibt für verschiedene Lösungen. Der Begriff Diversität ist in aller Munde, aber beim Thema Technologien plädieren wir in Deutschland manchmal für Monokulturen. Für mich gehört zur Diversität auch, nicht frühzeitig Wege abzuschneiden. Insgesamt erscheinen mir die Entscheidungen der Politik zum Thema Gasembargo richtig und vernünftig. Die Mehrheit der deutschen Wirtschaft unterstützt diesen Kurs der Bundesregierung. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht an anderer Stelle Verbesserungsbedarf sehen.
An welchen Stellen wäre dies denn angezeigt?
Wir müssen an vielen Stellschrauben drehen, aber besser abgestimmt. Was wir brauchen, ist eine überzeugende Gesamtstrategie für die wirtschaftliche und technologische Zukunft Deutschlands. Auf unserem Forschungs- und Innovationsgipfel wird das eine unserer Empfehlungen sein: ressortübergreifende Strategien zu entwickeln und Wissenschaftsförderung ganzheitlich bis zur Wertschöpfungskette zu denken. Dazu gehört auch, die Strukturen von Innovationspolitik zu hinterfragen. Es ist erfreulich, dass die verschiedenen Bundesministerien verschiedene Initiativen angekündigt haben. Aber eine Spin-out-Strategie hier und eine Start-up-Strategie da genügen nicht. Für eine neue Innovationsstrategie müssen die verschiedenen Initiativen so zusammengebracht werden, dass aus innovativen Ideen erfolgreiche und damit auch profitable Geschäftsmodelle entstehen.
Die Fragen stellte Katja Gelinsky.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Frankfurer Allgemeinen Zeitung GmbH