Forschungsgipfel fordert mehr Beteiligung von Wirtschaft und Wissenschaft

Wegen einer Terminkollision waren beim gestrigen Forschungsgipfel weder Kanzler noch Minister:innen zugegen. Derweil wächst in Wirtschaft und Wissenschaft der Unmut über geringe Beteiligungsmöglichkeiten. Befürchtet wird, dass die angekündigte "Zukunftsstrategie Forschung" daran scheitert.

Meinungsbeitrag von Manfred Ronzheimer
– Erstveröffentlichung in Tagesspiegel Background am 5. Mai 2022 –

Üblicherweise ist der jährliche Forschungsgipfel der deutschen Wissenschaftsorganisationen so konstruiert, dass der ranghöchste politische Redner aus dem Kanzleramt kommt – entweder der Regierungschef selbst oder stellvertretend der Kanzleramtsminister. Das war gestern in Berlin jedoch nicht möglich, denn die komplette Bundesregierung tagte im Rahmen ihrer Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg. Nicht einmal ein Ressortchef, ob aus dem Forschungs- oder dem Wirtschaftsministerium, konnte einspringen.

Die Terminkollision dürfte für die deutsche Forschungs- und Innovationspolitik in der Zeitenwende nicht ohne einen gewissen Kollateralschaden bleiben, schließlich verlangt die komplexe Lage nach einer schnellen Abstimmung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. "Innovationspolitik nach der Zeitenwende. Mehr Dynamik und neue Prioritäten?", lautete das Rahmenthema der vierstündigen Veranstaltung, die vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina sowie von der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und der Volkswagen-Stiftung organisiert worden war.

An der Diskussion darüber, wie eine langfristig orientierte Transformationspolitik in Richtung der Nachhaltigkeitsziele gestaltet werden müsste, beteiligten sich unter anderem die Staatssekretär:innen Thomas Sattelberger (FDP) und Franziska Brantner (Grüne), Martin Brudermüller, Vorsitzender des BASF-Vorstands, Stefan Asenkerschbaumer, Aufsichtsratsvorsitzender bei Bosch, Veronika Grimm vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, und Melinda French Gates von der Bill & Melinda Gates Stiftung.

Forschungsgipfel 2022 (Foto: David Ausserhofer)
Foto: David Ausserhofer
Forschungsgipfel 2022

 
Der unsichtbare Elefant im Raum
war Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der mit seiner Regierungserklärung nach dem Beginn des Ukraine-Krieges titelgebend für die Veranstaltung war. Er hätte vor dieser Runde von ranghohen Vertreter:innen aus Wissenschaft und Wirtschaft darstellen können, wie aus seiner Sicht das innovative Deutschland mit den Herausforderungen einer Energiewende im Galopptempo, neuen Sicherheitstechnologien, einer Industriepolitik der Kreislaufwirtschaft und anderen Durchbrüchen im Klimaschutz umgehen sollte. Aussagen aus dem Kanzleramt wären auch von Bedeutung für die Formulierung der "Zukunftsstrategie Forschung", auf die sich die Ampel-Parteien in ihrer Koalitionsvereinbarung verständigt hatten.

Am deutlichsten artikulierte Uwe Cantner, der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), das wachsende Unbehagen von Wissenschaft und Wirtschaft. Zum einen darüber, dass beide Gruppen nicht von der Politik an der Formulierung beteiligt würden; zum anderen, weil innerhalb der Regierung offenbar nur das BMBF mit der Erstellung der Zukunftsstrategie befasst sei. Damit würde sich der Fehler der Hightech-Strategie wiederholen, die nur solitär vom Forschungsministerium umgesetzt worden sei. "Es müssen aber alle zukunftsrelevanten Ressorts beteiligt werden", forderte Cantner und zählte die Ministerien für Wirtschaft, Gesundheit, Umwelt und Digitales auf.

Es scheine einen Trend in der Regierung zu geben, nun doch nicht auf ein "Modell der Kooperation" zu setzen, befürchtete Cantner. Daran sei schon das von seiner Kommission favorisierte Digitalministerium gescheitert. Gleiches zeichne sich nun bei der Zukunftsstrategie ab. In der Diskussion wollte BMWK-Staatssekretärin Brantner zu dem Vorhaben nicht Stellung nehmen, weil ihr Ministerium hier nicht die Federführung innehabe. "Das gebietet die Fairness", begründete sie ihr Schweigen.

Auch der neue Präsident des Stifterverbandes, Michael Kaschke, zuvor langjähriger Vorstandsvorsitzender der Carl Zeiss AG, forderte deutlich die Beteiligung von Wirtschaft und Wissenschaft an der Strategieerstellung: "Deutschland braucht eine Gesamtstrategie für eine erfolgreiche technologische und wirtschaftliche Zukunft". Gerade angesichts der tiefgreifenden Veränderungen der Gegenwart durch Krieg, Energiekrise, Chipmangel und dem Brechen von Lieferketten, seien für die Wirtschaft Strategien wichtig, die von einem "Denken in Optionen, in Offenheit" getragen seien, "und nicht von minutiöser Planung".

In zwei Gesprächsrunden diskutierte der Forschungsgipfel, wie durch die aktuellen geo- und sicherheitspolitischen Veränderungen neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, auf die Politik und Wirtschaft in anderer Weise als bisher reagieren müssten. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, heißt es in der Abschlusserklärung des Treffens, "drohen Wettbewerbsfähigkeits- und Wohlstandseinbußen und eingeschränkte finanzielle Spielräume für Investitionen in Forschung und Entwicklung". Es bestehe die Notwendigkeit, "die nochmals beschleunigte Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam zu gestalten".

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegels