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Table Media veröffentlicht weitere Interviews zur Zeitenwende in der Forschung in seinem Briefing "Research.Table".
Herr Meyer-Guckel, wann haben Sie im Stifterverband zum ersten Mal gespürt, dass der Krieg gegen die Ukraine drastische Auswirkungen auch auf die Wissenschaft in Deutschland haben wird?
Die Diskussion über den Umgang mit Russland auch in der Wissenschaft gab es unmittelbar nach Ausbruch des Krieges. In den Zahlen zu Forschung und Entwicklung (FuE), die der Stifterverband erhebt, sind die Auswirkungen noch nicht sichtbar, die zeigen eigentlich nach oben. Aber es ist fast sicher, dass die Konsequenzen des Kriegs – gestiegene Energiekosten, Versorgungs- und Lieferkettenengpässe – die Investitionen in den nächsten Monaten zurückgehen lassen werden. Da die Industrie zwei Drittel der Forschungs-Investitionen in Deutschland übernimmt, ist das für das gesamte FuE-Investment in Deutschland nicht gut. Die Folgen werden wir in den nächsten Monaten deutlich spüren.
Wenn es Unternehmen schlecht geht, wird häufig zuerst bei FuE gespart. Sie befürchten diesmal besondere Verknappung?
Kluge Unternehmen gehen diesen Schritt nicht, aber einige Unternehmen werden gar nicht darum herumkommen. Zwei Grundtrends sind noch besorgniserregender. Erstens: Die Investitionen ins Ausland steigen. Wenn die Unternehmen nicht selbst in Forschung und Entwicklung investieren, dann geben sie Geld an Forschungspartner. Und zwar zunehmend ins Ausland, weniger an Inlandsorganisationen und deutsche Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen.
Das ist aber doch ein Trend, der sich aber auch schon vor der Ukraine-Krise zeigte.
Stimmt, dies ist ein langjähriger Trend. Er ist strukturell fatal und wird – wie es aussieht – weiter zunehmen. Wir müssen da in Deutschland für kollaborative Forschung attraktiver werden. In den USA beispielsweise gibt es viel mehr Spitzenforschungszentren in kollaborativer Betreiberschaft. Große Unternehmen arbeiten zusammen mit der National Science Foundation in gemeinsamen Joint-Funding-Projekten, Leuchtturm-Research-Center werden gemeinsam finanziert. Ein solches Modell gibt es in Deutschland nicht, allenfalls zeitlich projektbefristete Joint-Funding-Programme zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Ich glaube, das ist eine der ganz großen Desiderate in einer Zukunftsstrategie.
Welche neuen Netzwerke würde mehr Joint Funding in Deutschland möglich machen?
Der Ukraine-Krieg hat die öffentlichen Kassen leergespült, wir brauchen dringend neue Strukturen, neue Ansätze, neue Konsortien. Wir müssen in Public-Private-Partnerships denken, aber nicht nur punktuell, sondern strategisch und strukturell.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Das Forschungscampus-Programm des Bundesforschungsministeriums (BMBF) hat gute Ansätze entwickelt. Aber es funktioniert weitgehend "angebotsgetrieben", die Anträge kommen aus den Hochschulen. Als nächsten Schritt bräuchte man als Grundlage eine gemeinsame Vision von Innovationsstärken, Technologiesouveränität und Transformationszielen, aus denen sich Schwerpunktprogramme ableiten. Daraus könnte man zum Beispiel ein DFG-Programm ableiten, das nach wissenschaftlicher Exzellenz ausgewählte Standorte für gemeinsam betriebene Forschung identifiziert und kofinanziert.
Was noch?
Die Rahmenbedingungen haben sich global verschoben. Schauen wir in die Welt. Etwas plakativ kann man sagen: China skaliert, die USA innoviert, Deutschland und die EU regulieren. Mit letzterem gibt es keine Innovationsdynamik. Die globalen Zentren für KI/Machine Laerning oder Life Science liegen nicht in Deutschland. Die Hochschulen in Deutschland sind im Vergleich mit anderen Ländern keine Innovationstreiber. Zudem spielen rechtliche Rahmenbedingungen eine große Rolle. Hier sind vor allem der Datenschutz und die Datenverfügbarkeit sowie ethische Standards zu nennen. Auch mehr wagniskapitalähnliche Strukturen für den öffentlichen Sektor, etwa über Kommerzialisierungsfonds, könnten zusätzliche Anreize setzen. Wir brauchen missionsgetriebene nachhaltige Innovations- und Investitionsprogramme auf der Grundlage von Roadmaps, die auch das Skalierungsthema adressieren. Wir haben in Deutschland viele Forschungsförderprogramme, auf unterschiedliche Ministerien verteilt: Forschung, Wirtschaft, Digitales, Umwelt, Gesundheit. Jeder hat sein Töpfchen und jeder bedient seine Klientel und seine Themen. Was fehlt, auch in der Zukunftsstrategie, ist eine nationale Transformations-Roadmap. Die Ziele sind gut beschrieben in der Zukunftsstrategie des BMBF, aber wir brauchen eine Akteurskonstellation, die eine Roadmap verwirklichen kann.
Wie lösen dies andere Länder?
Unterschiedlich. Die USA haben die DARPA, die große Institution für neue Forschungs- und Entwicklungsprojekte. In Anlehnung daran haben wir die SPRIND-Agentur ins Leben gerufen, allerdings finanziell auf viel kleinerem Level. Und bevor wir SPRIND richtig zum Laufen kriegen, sind die Amerikaner schon einen Schritt weiter und haben nicht nur die DARPA, sondern die ARPA Energy und die ARPA Health gestartet, also Agenturen für zwei riesige Forschungs- und Innovationsbereiche, die existenziell sind für eine Gesellschaft, ausgestattet mit einem Jahresbudget zwischen einer halben Milliarde und zwei Milliarden Dollar. Hier werden Spitzenforschung, die Umsetzung von Innovationen, die Entwicklung neuer Infrastrukturen und Skalierungsszenarien zusammen gedacht und koordiniert – das meine ich mit Roadmapping. Wo ist der Ort in Deutschland, in dem das koordiniert und orchestriert wird? Ich kenne den nicht.
Sie plädieren für noch eine Institution oder Agentur für die deutsche Wissenschaft?
Es braucht Orte und Akteure des konzertierten Vorgehens. Interessant scheint mir in der Tat die Idee von Missionsagenturen, als Teil der ministeriellen Struktur oder daneben. Wichtig ist, ressortübergreifendes Handeln zu ermöglichen, Stakeholder einzubinden, Kräfte zu bündeln. Wenn wir in 30 Jahren die beste Wasserstoffversorgung für ein Energiesystem der Zukunft haben wollen, brauchen wir einen Fahrplan und ein abgestimmtes Vorgehen dafür, was alles passieren muss an Forschung, an Investitionen, an Infrastruktur, an Qualifizierung. Gleiches gilt für den Bereich der Gesundheit. Die deutsche Gesundheitswirtschaft gehört zu den führenden in der Welt. Damit das so bleibt, müssen wir uns in einem hochgradig vernetzten Forschungs- und Anwendungssystem weiterentwickeln. Wir müssen uns national koordiniert fragen: Was muss passieren, damit Forschung und Hightech in die Anwendung kommen? Welche digitalen Infrastrukturen brauchen wir, welche Versorgungsinfrastrukturen, welche Finanzierungsmodelle? Wie können Märkte entwickelt werden? Da sind uns andere Länder einfach voraus.
Die Ampel hat bessere Abstimmungen, Entbürokratisierung und bessere Absprachen in der Forschungsförderung angekündigt. Bisher ist wenig davon zu sehen. Wer soll einen derart großen Plan für einen koordinierenden Ort anstoßen und umsetzen?
Andere Länder haben dafür Lösungen gefunden. Warum versucht man immer wieder das Rad neu zu erfinden? Es würde schon helfen, man schaute mal in die Länder, in denen es funktioniert. Da muss man gar nicht nach Amerika blicken. Man kann auch nach Skandinavien schauen oder in die Niederlande. Da ist nationale Forschungspolitik besser organisiert.
Eine direkte Empfehlung an Forschungsministerin Stark-Watzinger?
Eine Empfehlung an die Bundesregierung. Aber eine bessere Koordination zwischen Deutschland und Europa, zwischen Bund und Ländern und zwischen Bundesländern wäre genauso nötig: Jedes Land hat eine Zukunftsstrategie, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hamburg. Meistens endet diese Strategie an Ländergrenzen. Die Finanzierung endet an Ländergrenzen. Also, genau das gleiche "Kästchendenken", nur auf föderaler Ebene. Auch hier müsste man in gemeinsamen Strukturentwicklungen denken. An Ressourcenpooling, länderübergreifend und in Cluster-Strukturen. Aber der derzeitige Bund-Länder Diskurs beschränkt sich im Wesentlichen auf die Frage: Wie kann die nächste Runde der Exzellenzinitiative so gestaltet sein, dass nicht nur sieben oder acht Bundesländer davon profitieren, sondern möglichst zwölf oder dreizehn? Das reicht nicht.
Sind die Wissenschaftsmanagerinnen und -manager in Deutschland nicht mutig genug?
Das ist keine Frage des Mutes. Aber Forschung ist das eine, Innovation, Arbeitsteilung – auch international – und Skalierung sind das andere. Die großen Forschungsorganisationen orientieren sich zunächst an den eigenen Strukturen und Aufträgen. Strategisches Handeln geht aber weit darüber hinaus. Nochmal: Wir brauchen Orte, an denen Missionsagenden und Transformationsprozesse zusammengedacht werden, und zwar im Schulterschluss mit privaten forschungsstarken Akteuren.
Der Stifterverband will übernehmen?
Wir werden nicht übermütig werden. Aber wir wollen Orte schaffen, wo wir darüber nachdenken, wie wir zu nationalen Strategien und Umsetzungs-Roadmaps kommen.
Können Sie mehr verraten?
Wir werden das nicht allein machen, sondern mit Partnern. Wir wollen große Förderstiftungen, Unternehmen, Wissenschaftsorganisationen und die Politik und zivilgesellschaftliche Akteure in Zukunftsforen zusammenbringen, wo man in neuen Akteurskonstellationen über den eigenen Tellerrand hinausschaut.
Für den Weg aus der Krise: Was würden Sie sich wünschen?
Nach dem Wumms für die Verteidigung und dem Wumms für die Energieversorgung muss der nächste Wumms für Forschung und Innovation passieren, aber gepaart mit einem Willen zur Strukturveränderung. 2023 wird ein Jahr der Weichenstellungen für die Zukunft. Und ein Programm, das tausend Transferprofessuren an deutschen Universitäten etabliert, wäre ein kleiner, zusätzlicher Wunsch von mir. Tausend neue Professuren, die sich nur um kooperative Forschung an Universitäten kümmern. Die Professorinnen oder Professoren sollen koordinieren, sie sollen mit Partnern gemeinsame Projekte entwickeln, für unternehmerisches Handeln und Ausgründungen belohnt werden, sie sollen vor allen Dingen auch – deshalb die tausend – eine kritische Masse bilden, die dann ihre eigene Reputations-Community speist, denn Transfer ist in der wissenschaftlichen Bewertungsskala, wenn es um Karrieren geht, nicht weit oben, to say the least.