Im Interview mit dem manager magazin erklärt Michael Kaschke, der Präsident des Stifterverbandes, warum er sich für eine bessere Innovationsförderung einsetzt. Im Gespräch mit Redakteur Sven Clausen erklärt er, warum die Wirtschaft nicht mehr Staatsgeld braucht – und welche Chancen der Standort Deutschland bei Künstlicher Intelligenz hat.
Herr Kaschke, Ihrer Meinung nach befinden wir uns in einer Illusion: Wir meinten, wir befänden uns im Zeitalter der großen Innovation. Das stimme aber gar nicht.
Das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert. Gerade in Deutschland freuen wir uns inzwischen über viele Innovationen, auch in Start-ups, die allerdings vielfach in kleinen Märkten unterwegs sind. In der volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung ist das zu wenig. Auch viele grüne Technologien, die das Wirtschaften nachhaltiger machen, sind eher inkrementell innovativ. Sie verändern die Welt sicherlich, aber sie prägen kein Zeitalter.
Wir sollten ehrgeiziger sein?
Ja. Die Dampfmaschine für das fossile Energiezeitalter, das Auto für das mobile Zeitalter, der Transistor für das elektronische Zeitalter, das waren echte Sprunginnovationen. Oft war zu Beginn gar nicht ersichtlich, dass sie ein ganzes Zeitalter prägen werden. Die Themen, die heute große Innovation bräuchten, sind gewaltig: Klima, Energie, Gesundheit, alternde Gesellschaft.
Innovativ in Ihrem Sinne wären dann in der Gegenwart: Künstliche Intelligenz und Quantencomputing?
Quantencomputing wird kommen, wie breit es wirksam wird, bin ich mir noch nicht ganz sicher. Bei der KI ist das aber ganz klar. Die prägt jetzt schon unsere Zeit, wobei nicht abzusehen ist, wie stark der Einfluss noch werden wird. Ich würde auch moderne Biotechnologien zur Diagnostik und individuelle Therapien von Krankheiten oder auch die Kernfusion dazurechnen. Im Vergleich zur Kernfusion sehen Sie übrigens auch: Windenergie ist keine disruptive Innovation. Die gab es schon immer, jetzt nutzen wir sie nur stärker und besser.
Weder bei der KI noch bei der Kernfusion ist Deutschland in der Forschung führend.
Ja, aber wir können es durchaus noch in der Umsetzung und Anwendung sein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Energie ist ein Riesenproblem. Wir reden in Deutschland aber fast nur über die Energieerzeugung mit alternativen Methoden. Genauso viel Potenzial liegt aus meiner Sicht darin, mithilfe von KI den Verbrauch und die Erzeugung viel, viel besser aufeinander abzustimmen ...
Sie meinen die Smart Grids, das ist aber wirklich nichts Neues.
Als Begriff und als Idee nicht, aber mir geht es ja um die Umsetzung. Wir setzen das Konzept leider nicht ausreichend um. Dabei ließe sich die Idee natürlich auf alle möglichen Ströme übertragen: Warenströme, Mobilitätsströme. Da kämen dann sicherlich intelligentere Lösungen heraus, als nur über Schiene und ÖPNV am Deutschlandtakt zu arbeiten. Über KI könnte man dagegen verschiedene Mobilitätsformen klug miteinander verbinden.
Wir erleben weltweit gerade einen Elektrifizierungsboom, und Deutschland war mal, das ist noch gar nicht so lange her, führend in der Batterietechnologie. Was haben wir falsch gemacht?
Ich erlebe das jetzt zum dritten Mal, dass Deutschland bei einer Technologie in der Forschung führend war und dann den Anschluss verloren hat. Bei den Halbleitern, bei der Fotovoltaik und auch bei der Batterietechnologie. Ich halte es da mit der Definition von Schumpeter (Ökonom Joseph Schumpeter, 1883 – 1950 – die Redaktion), in meinen Worten: Eine Innovation ist immer eine am Markt erfolgreiche neue Lösung für ein bisher ungelöstes Problem. Deutschland ist technologisch auf der Höhe, aber wir vergessen halt häufig den Markt, die Skalierung.
Ist das nicht zum Teil einfach Missmanagement? Bosch zum Beispiel, wo Sie im Gesellschafterkreis und Aufsichtsrat sitzen, war mal führend in der Batterietechnologie. Und hat nun wahrlich alle Finanzmittel, um so etwas groß auszurollen.
Und das tut Bosch ja auch, in vielen Bereichen wie Elektromobilität und Brennstoffzellen und auch im Bereich KI. Beim Thema KI stellt sich aber ein völlig neues Problem mit der Skalierung, und da müssen wir in Deutschland und Europa dringend ran.
Wir ahnen es: die Regulierung?
Ja, aber ich schaue da anders drauf. Klassischerweise skalieren Sie Innovationen, indem Sie die Kosten für die Replikation, also die Vervielfältigung und die Einführung in den Massenmarkt, kontinuierlich reduzieren, beispielsweise durch den Bau modernster Produktionsanlagen. Bei KI ist der Mechanismus der Skalierung ganz anders. Um eine Software zu replizieren, brauchen Sie keine Fabriken. Sie brauchen am Anfang kluge Köpfe, die die Software entwickeln. Da sind wir beim Fachkräftethema. Dann aber wird die KI besser und verbreitet sich, wenn sie schnell und kontinuierlich durch Daten lernt. Wir müssen also mehr Daten zum Lernen verfügbar machen. Sonst werden wir gegen die USA und China keine Chance haben.
Klingt logisch, wird in Deutschland aber nur begrenzt durchsetzbar sein.
Ich will auch nicht, dass wir mit unseren Daten leichtfertig umgehen. Wir müssen eine Balance finden. Andere demokratische Länder haben da einen ausgewogeneren Ansatz. Deutschland ist derzeit zu restriktiv. Dazu kommt ein zweiter Punkt. In Deutschland denkt man eher linear von der Grundlagenforschung zur angewandten Forschung, dann vielleicht hin zu Start-ups oder ein Transfer in die Industrie. Wir wären aber viel erfolgreicher, gerade auch beim dynamischen Thema KI, wenn wir bidirektional agieren, also einen viel stärkeren, permanenten Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft fördern, das heißt, die Wissenschaft viel stärker mit der Anwendung in der Wirtschaft verknüpfen. Was dann möglich ist, haben die Siemens Healthineers mit einer neuartigen, effizienteren Form der Magnetresonanztomografie gezeigt. Wir brauchen viel mehr dieser erfolgreichen Beispiele.
Wie können wir da aus Ihrer Sicht schneller besser werden?
Das ist aus meiner Sicht die Kernfrage. Immer wenn es in Deutschland ein Problem gibt, wird nach mehr öffentlichem Geld gerufen. Inzwischen scheint mir, das sage ich nur halb im Spaß, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro die kleinste Summe, um etwas bewegen zu können. Aber am Geld liegt es nicht. Natürlich könnte es immer mehr sein. Die öffentliche Hand und die Privaten geben derzeit 3,14 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung und Entwicklung aus, das sind fast 120 Milliarden Euro. Damit können wir uns international sehen lassen. Wenn wir uns aber mit anderen, auch kleineren Nationen vergleichen, kann man schon die Frage stellen: Warum kommt aus dem Land nicht mehr raus?
Ihre Antwort?
Wir müssen hemmende Fesseln lösen, vor allem auch bürokratische, und wir müssen uns besser organisieren. Zwei Punkte dazu: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll es erleichtert werden, zu gewissen Zeiten oder für eine bestimmte Dauer in der Wirtschaft zu arbeiten, um mit neuen Impulsen und Ideen in die Wissenschaft zurückzukehren. Die Hindernisse sind hier enorm, etwa durch das Beamtenrecht. Zweiter Punkt: Ich würde mich sehr freuen, wenn die Innovationspolitik bewährte Methoden aus der Wirtschaft anwendet, um die vielfältigen Kompetenzen in Wirtschaft und Wissenschaft effektiver zu nutzen. Die Politik hat ja sechs Zukunftsmissionen ausgerufen, etwa ressourceneffiziente Industrie, Gesundheit für alle, nachhaltige Mobilität. Die finde ich alle gut, alles sehr sinnvoll. Aber wir werden diese Missionen nur erfüllen, wenn wir jetzt professionell an die Umsetzung gehen. Ich wage mal die These: Die USA wären nie auf dem Mond gelandet, wenn sie nicht die NASA gehabt hätten.
Sie wollen also eine neue Behörde?
Nein, auf keinen Fall, eher eine Agentur, einen Dirigenten. Ich bin auch aus meiner Industrieerfahrung heraus ein überzeugter Anhänger der Methode des Roadmappings, um eine Zukunftsmission zu erreichen. Dieses Mapping hat im Wesentlichen drei Elemente: Was sind die Katalysatoren, die Beschleuniger, also was sind die Dinge, die wir unbedingt und schnell brauchen, um zum Ziel zu kommen? Zweitens eine grobe Idee, welche verschiedenen Wege es gibt. Das ist ganz wichtig. Häufig gehen wir davon aus, es gäbe nur eine gerade Linie, um von A nach B zu kommen. Das stimmt natürlich nicht. Dritter Punkt: Wir brauchen jemanden, der das zusammenbindet, die Einzelprojekte orchestriert, wie ein Dirigent.
Dirigent – da dürften sich sämtliche Ministerialbeamte angesprochen fühlen.
Das klappt ja nicht, wie hinreichend bewiesen. Wir brauchen so etwas wie Missionsagenturen, die sich diesen Ansatz zu eigen machen ...
Gibt es dafür nicht die Agentur für Sprunginnovationen SPRIND ...
Nein, SPRIND ist sehr wichtig und soll einzelne, sehr konkrete Projekte mit Sprunginnovationspotenzial fördern. Mit der Orchestrierung von Zukunftsmissionen würde man sie überfordern. Ich kenne viele Leute aus der Wirtschaft wie auch aus der Wissenschaft, die sich mit der Politik der Orchestrierung einer Zukunftsmission verschreiben würden, wenn sie dort Experimentierräume, also genügend Bewegungsspielraum fänden.
Was heißt Bewegungsspielraum?
Man muss auch mal begrenzende Rahmenbedingungen regulatorischer, politischer oder sonstiger Art, die vielleicht zu einem ganz anderen Zweck und einer anderen Zeit erlassen wurden, außer Kraft setzen können, um zum Ziel zu kommen.
Sie bieten die Expertise der Wirtschaft an. Zuletzt sind Unternehmerinnen und Topmanager in Berlin aber eher damit aufgefallen, dass sie die Regierung und den Standort kritisiert haben und mit Abwanderung drohen. Hilft das?
Es ist richtig, die Alarmglocken schrillen zu lassen. Wollen wir wirklich, dass international führende Branchen aus Deutschland an andere Standorte abwandern? Wir müssen dann auch sehen, dass mit der Produktion auch die Forschung und Entwicklung dieser Branchen an andere Standorte verlegt werden. Das kann der Lauf der Dinge sein, muss es aber nicht. Ich bin Optimist. Ich habe selbst erlebt, wie sich ein Unternehmen, eine Branche neu erfinden kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir uns der Gestaltung unseres Innovationssystems intensiv widmen.