Der Lehrkräftemangel in Deutschland wird den Bildungsauftrag der Schule vermutlich für die nächsten zwei Jahrzehnte beeinträchtigen. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändern das Lehren und Lernen fundamental. Bildungsexpertinnen und -experten von vier Organisationen fordern für eine zukunftsfähige und attraktivere Lehrkräftebildung in Deutschland umfassende Reformen. Hierzu gehören unter anderem flexiblere und praxisnähere Studienstrukturen und Studieninhalte, die auf die Anforderungen von Schule im 21. Jahrhundert ausgerichtet sind.
Der Lehrkräftemangel an deutschen Schulen ist eine der größten bildungspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre. Aktuell kommen geburtenschwache Jahrgänge aus den Schulen an die Hochschulen und auf den Arbeitsmarkt. Während die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger sinkt, steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler durch geburtenstarke Jahrgänge. Angesichts besorgniserregender Befunde zu den Leistungen von Grundschülerinnen und Grundschüler droht Deutschland darüber hinaus eine massive Qualifikationskrise. Denn der Mangel an qualifiziertem Personal an Schulen gefährdet den Bildungserfolg junger Menschen.
Die Broschüre "Lehrkräftebildung im Wandel – Gestärkt in die Zukunft?!" bilanziert Befunde und Empfehlungen zu drei zentralen Handlungsfeldern der Lehrkräftebildung (Rekrutierung, Verantwortungsstrukturen, Professionsorientierung).
Aus diesen Gründen sehen Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten des Monitors Lehrerbildung dringenden Handlungsbedarf bei der Lehrkräftebildung. Das 2011 gestartete Bündnis, dem der Stifterverband, die Robert Bosch Stiftung (seit 2018), die Bertelsmann Stiftung und das CHE Centrum für Hochschulentwicklung angehören, fordert in der Broschüre "Lehrkräftebildung im Wandel – Gestärkt in die Zukunft?!" ein Maßnahmenpaket, um angesichts der beschriebenen Entwicklung gegenzusteuern und die Lehrkräftebildung zukunftsfähig aufzustellen.
"In Deutschland fehlen je nach Berechnung bis zu 40.000 Lehrerinnen und Lehrer. Obwohl dies für die Schulen derzeit das größte Problem ist, kann der Lehrkräftemangel auch eine Chance für die Lehrerbildung sein – weil der Handlungsdruck steigt, dringend nötige Reformen im Lehramtsstudium endlich anzugehen", so Dagmar Wolf, Bereichsleiterin Bildung bei der Robert Bosch Stiftung.
Dazu gehöre nach Ansicht der Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten, das Lehramtsstudium attraktiver zu gestalten. Denn ein großer Teil der Studienanfängerinnen und Studienanfänger im Lehramt landet wegen Studienabbruchs oder Studiengangwechsels später gar nicht als Lehrkraft an einer Schule. Laut einer Studie der Universitäten Rostock und Greifswald aus dem Jahr 2019 brachen beispielsweise je nach Studiengang zwischen 55 und 85 Prozent der Studierenden das Lehramtsstudium ab oder wechselten in andere Studiengänge.
Um Studiengänge im Lehramt attraktiver zu gestalten, müsse auch über den grundsätzlichen Aufbau des Studiums in Deutschland nachgedacht werden, so Andrea Frank. "Das verpflichtende Studium von zwei Unterrichtsfächern schränkt die Durchlässigkeit ein und ist international unüblich. Für eine gute Unterrichtsqualität reicht ein Unterrichtsfach aus", argumentiert die stellvertretende Generalsekretärin des Stifterverbandes.
Ein weiterer Schlüssel, um mittel- und langfristig mehr qualifizierte Lehrkräfte für die Schulen zu gewinnen, könnten dabei neue flexiblere Studienangebote sein. "Um die klaffende Lücke beim Lehrkräftebedarf zu schließen, sind flexible, modulare und berufsbegleitende Qualifizierungsangebote für angehende Lehrkräfte erforderlich. Eine verstärkte Kooperation aller Akteure der Lehrkräftebildung über die drei Phasen Studium, Vorbereitungsdienst und Fortbildung hinweg ist dafür essenziell", fordert deshalb auch Dirk Zorn, Director Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung.
Neben dem Lehrkräftemangel sind die Digitalisierung und die Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz eine enorme Herausforderung für Schule und Lehrkräftebildung. Die neuen Technologien verändern das Lehren und Lernen fundamental. Daher sollte die Vermittlung überfachlicher (Medien-)Kompetenzen wie etwa Kooperation, Kreativität oder Kommunikation, den sogenannten 21st Century Skills, unbedingt bereits im Studium für alle angehenden Lehrkräfte verpflichtend verankert sein.
Für diese umfassenden Reformen braucht es das gemeinsame Engagement von Ländern, Hochschulen, dem Bund und allen Beteiligten der Lehrkräftebildung. Die vier Kooperationspartner des Monitor Lehrerbildung stellen neben Publikationen und zahlreichen Informationsmaterialien dafür seit mehr als zehn Jahren ein bundesweit einzigartiges Datenportal zur Entwicklung der Lehrkräftebildung in Deutschland zur Verfügung. Die Daten auf Länder- und Hochschulebene schaffen Transparenz über das Lehramtsstudium an deutschen Hochschulen und haben Eingang in die nationale Bildungsberichterstattung sowie Fachveröffentlichungen und -diskussionen gefunden.
"In einem so komplexen Feld wie der Lehrkräftebildung sind evidenzbasierte Entscheidungen unerlässlich. Die Datenerhebungen des Monitor Lehrerbildung, für die regelmäßig 71 Hochschulen und 16 Länder befragt werden, leistet hier inzwischen seit mehr als zehn Jahren einen unschätzbaren Beitrag", unterstreicht Frank Ziegele, Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, die Bedeutung des Daten-Tools.
Der Monitor Lehrerbildung ist die bundesweit einzige Datenbank zum Lehramtsstudium in Deutschland. Unter sind relevante Daten zu dieser ersten Phase der Lehrerbildung auf Hochschul- und Länderebene übersichtlich dargestellt - beispielsweise zu Themen wie Studieninhalte, Praxisbezug, Studienverlauf, Verantwortungsstrukturen oder der Verzahnung der drei Phasen der Lehrkräftebildung. Die letzte Erhebung des Monitor Lehrerbildung fand im Frühjahr 2022 statt. 66 Hochschulen und alle 16 Länder beteiligten sich an der Erhebung. Der Monitor Lehrerbildung ist ein gemeinsames Projekt von Bertelsmann Stiftung, CHE Centrum für Hochschulentwicklung, Robert Bosch Stiftung GmbH und Stifterverband.