2017 – das Jahr, auf das dieser Bericht zurückschaut – war in mehrfacher Hinsicht ein überaus bemerkenswertes. Es war das Jahr der Wahlkämpfe. Sie wurden von
den Themen Migration und Integration beherrscht. Bis hinein in die langwierigen Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung blieben sie ganz oben auf der Agenda. Das kommt nicht von ungefähr: Die weltweiten Migrationsbewegungen haben ganz Europa in Aufruhr versetzt, europäische Bürger sind hilfsbereit. Aber auch oftmals wütend, irritiert, verängstigt. Sichtbaren Ausdruck findet dies in populistisch-nationalistischen Bewegungen mit ihren schrillen Führungsfiguren, sei es in den Niederlanden, in Polen oder der Türkei, aber eben auch bei uns in Deutschland. Mit ihnen kommt eine bisher ungewohnte Schärfe in politische Debatten, in denen sich auch der Stifterverband mit seinem breiten Aufgabenspektrum bewegt.
Beispiel Wissenschaftsfeindlichkeit: Dort, wo noch vor Kurzem (scheinbar) breiter Konsens herrschte, vernebeln nun Skepsis und Misstrauen jegliche Diskussion. So sieht sich die wissenschaftliche Gemeinschaft Verdächtigungen ausgesetzt, die bis vor Kurzem undenkbar gewesen wären. Nicht selten steht dabei die Unterstellung im Raum, dass Wissenschaft käuflich sei, ohnehin von Eliten für Eliten betrieben werde – und damit eben nicht dem Allgemeinwohl diene. Hinter diesen Anfeindungen steht keine versprengte Gruppe törichter Verschwörungstheoretiker, sondern eine breite gesellschaftliche Bewegung. Das kann man täglich in den Kommentarspalten großer Online-Medien oder in sozialen Netzwerken beobachten. Plumpe Wissenschaftsfeindlichkeit bricht hier durch, unterfüttert durch Falschinformation, populistischen Anti-Intellektualismus oder puren Zynismus.
Mit dem March for Science im April 2017 setzte die wissenschaftliche Gemeinschaft – auch unterstützt durch den Stifterverband – national und international ein Zeichen für die Freiheit von Forschung und Lehre. Es war eine wichtige Demonstration, aber auch nur ein erster Schritt. Viele Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren sind alarmiert und fürchten, dass sich die Spirale eher weiter in die falsche Richtung dreht, wenn nicht tatkräftig gegengesteuert wird. Dazu braucht es natürlich auch die großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland.
Der Stifterverband steht für eine freie und offene Gesellschaft, die darauf setzt, allen Bürgern den Zugang zu Bildung und Wohlstand zu ermöglichen.
Peter Strohschneider, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hat es in einer viel beachteten Rede auf den Punkt gebracht. Der Wissenschaftsfeindschaft könne man nur mit "Ehrlichkeit und Bescheidenheit" begegnen. "Auf diese Haltung kommt es, wie in der offenen, pluralistischen Gesellschaft und in der konstitutionellen Demokratie, auch in den Wissenschaften an." Mit diesen Worten hat Strohschneider den richtigen Ton gesetzt: Nicht Überheblichkeit, die Wissenschaft über alles stellt, die sich im Besitz allumfassender Wahrheiten wähnt, hilft jetzt weiter. Es braucht vielmehr eine grundsätzlich bescheidenere Haltung. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie wissenschaftliche Wahrheitssuche nicht als Wahrheitsbesitz verkauft.
Zu Bescheidenheit gehört auch Ehrlichkeit. Wissenschaft dürfe der Öffentlichkeit nicht so viele Versprechungen machen, die sie am Ende nicht halten könne, kritisiert Martin Stratmann. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft sagt: "Wissenschaft im Allgemeinen verkündet keine Wahrheiten, sondern Erkenntnisse auf dem aktuellen Stand des Wissens." Unser Wissen ist jederzeit revidierbar.
Auch im Diskurs mit der kritischen Gesellschaft kann diese Haltung hilfreich sein. Sie kann dazu beitragen, das so gern gezeichnete Selbstbild der Wissenschaft als gesellschaftliche Heilsbringerin zu korrigieren und die damit verbundene Fallhöhe deutlich zu vermindern. Der Bürger soll es ruhig erkennen: Auch Forscher sind fehlbar.
An dieser Haltung richtet der Stifterverband auch seine Arbeit aus: Als Beitrag, das Bildungssystem an entscheidenden Stellen zu verbessern, wissenschaftliche Erkenntnis in gesellschaftliche Wirkung zu transformieren und damit letztlich das Innovationssystem zu befruchten.
Der Stifterverband steht für eine freie und offene Gesellschaft, die darauf setzt, allen Bürgern den Zugang zu Bildung und Wohlstand zu ermöglichen. So möchten wir auch die in diesem Bericht versammelten Initiativen verstanden wissen: Sie sind Ausdruck unserer Überzeugung, dass eine robuste Wirtschaft und eine lebendige Zivilgesellschaft ein leistungsfähiges Bildungssystem brauchen.
Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
Baedekerstraße 1
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