Forschergestalten: Barbara Lenz

"Mobilität ist ein Ausdruck von Freiheit. Menschen möchten eigentlich mobil sein. Aber sie möchten nicht mobil sein um der Mobilität willen."

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Forschergestalten: Barbara Lenz (Video)
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Auto, Rad oder Bahn? Wie sich Menschen von A nach B fortbewegen, hängt von vielen Faktoren ab. Barbara Lenz, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), forscht genau zu diesem Thema. Bei der Wahl des Verkehrsmittels spielt die Frage der Lebensqualität eine große Rolle. Denn die Freiheit, die Mobilität Menschen bietet, stößt immer öfter an ihre Grenzen.
 

Der YouTube-Kanal des Stifterverbandes:
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik

Ein Film von Damian W. Gorczany und Stoyan Radoslavov
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes
Motion Grafik: Johannes LDC Guerreiro
Musik: Lubomir Brashnenkov

 

Transkript des Videos

Wenn ich mobil bin, dann gibt es immer so zwei Aspekte. Das eine ist: Wie schnell muss ich irgendwo sein? Und das zweite: Wie viel Spaß macht es mir, mit einem bestimmten Verkehrsmittel unterwegs zu sein? Dazu gehört auch die Frage: Scheint die Sonne? Stehe ich unter Druck? Muss ich viel transportieren? Ich habe kein Auto. Dementsprechend habe ich eigentlich hier in Berlin eine perfekte Situation. Ich habe den öffentlichen Verkehr. Ich kann mit dem Rad fahren. Ich kann auch mit Carsharing-Fahrzeugen fahren. Von daher kann ich es mir wirklich aussuchen, wie ich unterwegs sein will.

Mein Name ist Barbara Lenz. Ich leite das Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

Es ist ganz spannend, dass Visionen von Mobilität eigentlich immer auch damit verknüpft wurden: Was für eine Vorstellung haben wir denn von der Stadt von morgen? Es gab in den 60er- und 70er-Jahren Visionen zum Thema Mobilität in der Stadt, die sehr stark auf das einzelne Fahrzeug fixiert waren. Visionen, die sich auf das Auto fokussiert haben, hatten auch immer eine extrem dichte Stadt mit hohen Gebäuden, mit sehr modernen Gebäuden, zum Gegenstand.

Heute ist es eher eine Stadt, die sich verknüpft mit interessanten Lebensräumen, und diese Lebensqualität kommt eher zustande durch Fahrzeuge wie das Fahrrad, wie die Füße, wie öffentliche Verkehre. Der kritische Punkt ist: Wie bringen wir Verkehrsmittel in diese Stadt, die die Menschen dahin bringen, wo sie hin wollen, ohne dadurch beispielsweise die Luft zu verschmutzen oder sehr viel Lärm zu machen oder sogar jemanden zu verletzen?

Also, ich bin tatsächlich heute Morgen, das ist jetzt mein Weg von heute Morgen zur Arbeit, und bin also mit dem Fahrrad zur Bahn, habe dort auf die Bahn gewartet, bin hier mit der S-Bahn bis ...

Der löst sogar aus in dem Moment, in dem du dein Fahrrad schiebst.

Jaja, genau.

Wir sind im Moment dabei, eine Anlage aufzubauen. Wir nennen das Moving Lab. Mit dem Moving Lab wollen wir untersuchen: Wie sind Menschen eigentlich unterwegs? Mit welchen Verkehrsmitteln? Das tun wir zum einen, indem wir diese Menschen tracken über eine App oder über einen GPS-Logger. Und indem wir die Menschen direkt begleiten, sind wir viel besser in der Lage, genau zu beschreiben: Wo sind denn eigentlich die Verkehrsströme in Berlin und welche Art von Verkehrsströmen sind das denn? 

Man erkennt zum Beispiel schon die Einsatzmuster bestimmter Verkehrsmittel. Das Auto ist tatsächlich hier im Innenstadtbereich einfach nicht das adäquate Verkehrsmittel. Das ist tatsächlich mehr außen herum in der Peripherie ...

Und wir wollen aber auch wissen: Warum tun die Menschen das, was sie da tun? Das heißt, wir verknüpfen dieses Loggen mit einer Befragung. Wir können auch die Qualität dann beschreiben, die diese Wege haben, die die Menschen zurücklegen.

Fahrradverkehr ist je nach Stadtteil ein bisschen unterschiedlich. Mal haben sie das Gefühl, sie werden eher durch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Manchmal ist es aber auch die Streckenführung oder einfach der Zustand der Radwege.

All diese Details brauchen wir auch, wenn wir davon ausgehen, dass Mobilität neu gestaltet wird, zum Beispiel über Carsharing, über Ridesharing, über Fahrradschnellwege. Wenn wir alle diese gestalterischen Maßnahmen in der Stadt umsetzen wollen, müssen wir wissen: Wie sind die Leute denn unterwegs und was passt gut und was passt nicht so gut? Und was ist auch veränderbar?

Wir haben ganz viele Technologien zur Verfügung, auch im Verkehr. Aber letztendlich setzt sich nur das durch, was auch auf die Bedürfnisse von Menschen trifft. Die Lastenfahrräder zum Beispiel sind eine neue Art Technologie, eine neue Möglichkeit, Güter zu transportieren im städtischen Raum, auf kurzen Strecken und eben nicht im großen Container, sondern kleinere Päckchen. Die Frage ist: Wie viel geht denn da? Für wen ist es überhaupt geeignet? Kann der Schornsteinfeger zum Beispiel mit dem Lastenfahrrad unterwegs sein? In unserer Forschung ist es uns wichtig, auch tatsächlich vorhandene Probleme anzugehen und gemeinsam mit Anwendungspartnern nach Lösungen zu suchen.

Zum Lastenfahrrad arbeiten wir hier in Berlin mit dem Kurierdienst Messenger.

Wir kommen mit einer bestimmten Idee hierher. Wir haben eine Technologie und denken, die wäre sehr sinnvoll in der Anwendung, wohlwissend, dass es ganz viele Details gibt, die diese Technologie eben bewältigen können muss. Und das ist immer sehr spannend, mit diesen Praxispartnern zu sprechen, die einen auf diese Details hinweisen.

Hier gehen anderthalb Umzugskartons rein, aber die Kuriere sind auch sehr flexibel, was die Stapelhöhe angeht. Da fährt der eine oder andere Kurier auch mal mit drei Umzugskartons, wenn das Wetter gut mitspielt.

Das ist jemand, der testet es unter seinen realen Bedingungen, und wir lernen daraus.

Ich sehe meine Rolle als Forscherin vor allem darin, dass ich diese Möglichkeiten, die es zur Mobilität von morgen gibt, und auch die Bedürfnisse, die die Menschen damit verbinden, gewissermaßen nach außen zu transportieren und damit auch neue Denkprozesse anzustoßen.

Wenn ich an die Stadt von morgen denke, stelle ich mir einen Verkehr vor, der dem Menschen selber sehr viel Raum lässt, wo sie sich frei bewegen können, ohne von fließendem Verkehr beeinträchtigt zu werden. Gleichzeitig brauchen wir Achsen in der Stadt, auf denen der Verkehr fließen kann, denn wir wollen ja auch in der Stadt von A nach B kommen. Mobilität ist ein Ausdruck von Freiheit. Menschen möchten eigentlich mobil sein. Aber sie möchten nicht mobil sein, um der Mobilität willen, sondern um die verschiedenen Lebensbereiche, die um sie herum sind, sich erschließen zu können. Das muss auf eine vielfältige Art und Weise möglich sein, so dass wir unsere eigene Freiheit genießen können, ohne dabei irgendjemand anderen zu beeinträchtigen. Das ist für mich wirklich Mobilität.