Europa hat gute Grundlagen für eine breite Start-up-Kultur, sagt Jan Goetz. Er ist CEO und Co-Founder von IQM Quantum Computers, einem deutsch-finnischen Start-up. Leider gelinge es noch nicht in ausreichendem Maße, wenigstens einige der vielen hoffnungsvollen Deep-Tech-Start-ups richtig groß zu machen. Es fehle in Europa an ausreichendem Risikokapital. IQM Quantum Computers siedelt sich an solchen europäischen Standorten an, wo hoffnungsvolle Talente und Fachkräfte verortet sind.
Für Hochqualifizierte biete Europa mit seinem Wertesystem und hoher Lebensqualität vor allem Rückkehrern aus Asien große Vorteile, so Goetz. Start-ups brauchen in der Regel viel Kapital, weshalb viele gezwungen sind, in die USA zu gehen. Abhelfen könnte auch ein stärkeres Engagement staatlicher Einrichtungen, die zum Beispiel Aufträge an junge Firmen vergeben. Was wiederum weiteres privates Kapital anziehe. So sei es etwa zu Beginn mit SpaceX gelaufen, das viele Aufträge der NASA erhalten habe.
Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2022.
Wir sehen natürlich, in anderen Ländern gibt es große Konzerne, die Technologie vorantreiben, und den Zug haben wir in Europa leider so ein bisschen verpasst. Es gibt wenig Technologiekonzerne noch in Europa, die wirklich treibend sind und viel Innovation machen.
Ich lebe gerne in Europa, basierend auf den europäischen Werten. Und ich glaube, wir leben hier in einer Wohlstandsgesellschaft, die zum großen Teil auf der Technologie basiert, die wir in Europa entwickelt haben. Und wenn ich in die Zukunft gucke und auch an die zukünftigen Generationen denke, glaube ich, ist es wichtig, dass wir sicherstellen, dass diese Technologie eben in Zukunft auch noch in Europa vorhanden ist. Und das ist was, was nicht trivial ist. Ich glaube, wo wir in Europa extrem stark sind, ist, dass wir wirklich Top-Leute, Top-Universitäten, Top-Wissenschaft haben. Und dadurch kreieren wir auch viele Start-ups, also, die Anzahl der Deep-Tech-Start-ups ist sehr, sehr hoch in Europa, und für die gibt es auch Geld. Wo es dann so ein bisschen hakt, ist, eben diese Start-ups groß zu machen, also wirklich Firmen wie SpaceX, Google oder so aus diesem Kaliber zu erzeugen. Und da, glaube ich, stehen wir uns ein bisschen selber noch im Weg, aufgrund der vielen Mitgliedsstaaten, weil es nicht genug Kapital gibt, das nicht bereit ist, auch in diese Technologien zu investieren. Da gibt es noch ein bisschen Nachholbedarf, aber da arbeiten wir dran, und ich bin zuversichtlich, dass wir das Problem auch lösen werden.
Wir als Firma sind auch sehr, sehr stark aus der Wissenschaft kommend. Also, sehr viele unserer Mitarbeiter haben einen Doktortitel in Physik, Mathematik oder Computerwissenschaften. Und in der Wissenschaft ist es eh schon so, dass man international sehr stark zusammenarbeitet. Da gibt es wenig Grenzen, und das finde ich eigentlich schön. Und das ist natürlich auch wichtig in der Zukunft meiner Meinung nach, wenn es darum geht, dass man global Lösungen findet, muss man irgendwie Grenzen brechen, auch Grenzen in den Köpfen brechen. Und das funktioniert eben über Kommunikation meiner Meinung nach und dass man irgendwie Wertesysteme teilt. Und ich glaube, das ist, was uns in Europa stark macht. Wir lernen gerade zusammenzuarbeiten. Natürlich ist es nicht leicht, mit allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, aber es ist ein Lernprozess, den wir machen. Und auch wenn es darum geht, Firmen, Start-ups oder andere Firmen groß zu machen in Europa, sind wir auf einem guten Weg.
Wir sehen uns sehr stark als europäische Firma. Wir haben in Finnland angefangen. Der Grund, in Finnland anzufangen, hat sehr, sehr stark darauf beruht, dass es in Finnland eine Top-Infrastruktur gibt, also wenn man Computer oder Prozessoren baut, dann muss man eben eine Fertigungslinie haben. Ansonsten braucht man erstmal 200 Millionen Euro, um die ganzen Geräte zu kaufen, um die Chips zu produzieren. Und das kriegt man in der Regel natürlich nicht von Investoren. Das heißt, wir waren in Finnland in der glücklichen Lage, dass es da eine Fertigungslinie gibt, die vom Staat geführt wird und wo der Staat uns Zugriff darauf gegeben hat. Und das hat es uns im Prinzip überhaupt ermöglicht, die Firma zu gründen. Aber Finnland ist natürlich auf globaler Ebene ein relativ kleines Land, und es war eigentlich von Anfang an klar, dass, wenn das Ganze fliegen soll, also wenn man groß skalieren möchte, dann muss man größer denken als Finnland. Und natürlich der erste Schritt ist dann, dass man Richtung Zentraleuropa geht. Und wir hatten immer schon sehr, sehr starke Verbindungen natürlich zu Deutschland, mein Hintergrund als einer der Gründer, aber unsere Kapitalgeber kommen zum großen Teil aus Deutschland. Darum war Deutschland der erste natürliche Schritt, und wir haben mittlerweile ein Büro in München mit über 50 Mitarbeitern, aber mittlerweile auch in Paris und in Spanien bauen wir Standorte auf. Wir gehen überalll da hin ein bisschen, wo die Talente sind. Das ist ganz, ganz wichtig, weil es eine Knappheit gibt an guten Leuten auf dem Gebiet. Wir schaffen es, viele Talente aus den USA oder auch aus Asien anzuziehen, nach Europa zurückzukehren. Das sind in der Regel Leute, die hier aufgewachsen sind. Die haben ihre wissenschaftliche Karriere anderswo gemacht und sind oft an einem Punkt ihres Lebens, wo sie eine Familie zum Beispiel gründen wollen. Und da sagen sie sich dann: Okay, ich will, dass meine Kinder in Europa aufwachsen und vielleicht nicht in irgendeinem 20-Quadratmeter-Apartment in irgendeiner Megacity in Asien oder so. Und das, glaube ich, können wir hier bieten, einen Lebensstandard und ein gewisses Wertesystem, wo die Leute gerne leben und wo die Leute gerne arbeiten.
Wenn man eine Firma aufbaut, gerade eine Hardware-Firma, braucht man viel Kapital, und das ist manchmal schon noch eine Schwierigkeit gerade in Europa. Und es gibt natürlich diverse Beispiele, wo Firmen das Kapital nicht mehr in Europa finden und dann zum Beispiel in die USA gehen, zum Großteil ins Silicon Valley, wo es in dem Sinne etwas einfacher ist. Wir waren bis jetzt in der glücklichen Lage, dass wir diesen Schritt nicht gehen mussten, sondern wir waren in der Lage, das Kapital hier vor Ort zu finden. Aber wie gesagt, das war auch ein Zusammenspiel aus Privatinvestoren natürlich, die einen großen Teil des Risikos getragen haben, aber dann auch aus öffentlichen Fördermitteln, und auch von der Bundesregierung haben wir extrem viel Unterstützung bekommen. Also, wir sind sehr aktiv in vielen Förderprogrammen der Bundesregierung. Und ich glaube, dieses Zusammenspiel, das braucht es, aus der öffentlichen Hand und von privaten Kapitalgebern. Ich gebe da ganz oft das Beispiel von SpaceX, eine relativ erfolgreiche Firma aus den USA. Im Prinzip fast alle der ersten Aufträge waren Aufträge von NASA, also einem öffentlich geförderten Institut. Und diese Aufträge, die ziehen dann aber weiteres Privatkapital natürlich mit sich und dann irgendwann auch private Aufträge aus der Wirtschaft. Und ich glaube, dieses Modell, das müssen wir stärker leben, dass die Politik sagt: Okay, wir gehen hier ins Risiko, wir tragen das frühe Risiko, wir geben Aufträge an die jungen Start-ups. Und diese Aufträge erlauben es dann eben, dass die Firmen wirklich wachsen können.
Ich sehe im Prinzip es so: Wenn man Deutschland und Finnland miteinander vergleicht, dass Deutschland sehr, sehr viel mehr Ressourcen hat. Es gibt einfach größere Budgets. Das mag erstmal positiv klingen, das kann aber eigentlich auch ein Nachteil sein, weil man kommt dann oft in so eine Situation, wo man ein Gießkannenprinzip anwendet und quasi allen so ein bisschen was gibt. Und was man damit natürlich erreicht, ist, dass man eine gewisse Gleichheit oder vielleicht auch Gerechtigkeit schafft zwischen den Standorten und den Regionen. Was man aber ein bisschen verpasst, ist, große Leuchtturmprojekte zu erzeugen, die internationale Strahlkraft haben, die vielleicht auch Top-Talente wieder zurückbringen. Und in Finnland ist es eben so: Dadurch, dass die eher eine Knappheit auch an Ressourcen haben, müssen die sich für gewisse Technologien entscheiden, haben sich vor einiger Zeit für Quantentechnologien als eine dieser Leuchtturmtechnologien entschieden und profitieren jetzt natürlich davon, dass Quantentechnologien auch wirklich im Moment ein sehr starkes Interesse wieder finden. Natürlich hätte diese Wette auch nach hinten losgehen können. Aber das ist so ein bisschen der Unterschied, und das ist das, was ich in Deutschland so ein bisschen vermisse, einfach den Mut zu sagen: Okay, hier bei dieser Technologie gehen wir jetzt mal All-in. Vielleicht scheitern wir, okay, dann war es so, aber wenigstens haben wir die Chance, dass, wenn es klappt, dass wir etwas ganz, ganz Großes bauen. Und da müssen halt alle an einem Strang ziehen. Und wie gesagt, das ist dieser Lernprozess auch, glaube ich, den wir gerade in Europa und auch in Deutschland erleben, dass wir in gewissen Dingen besser zusammenarbeiten müssen als immer gegeneinander. Das ist auch etwas, was ich so erlebe, wenn ich jetzt Finnland und Deutschland vergleiche. In Deutschland gibt es eben viele regionale Projekte, und die arbeiten dann eben oft gegeneinander, weil alle denken: Okay, es ist wichtig, dass mein lokales Projekt groß wird und vielleicht nicht die anderen. Und das ist, glaube ich, meiner Meinung nach die falsche Denke, weil alle diese Technologien, die sind so disruptiv, dass wenn die wirklich fliegen, dann ist der Kuchen groß genug für alle. Da muss man sich keine Sorgen machen, da bleibt für alle etwas übrig. Aber das ist, glaube ich, so ein bisschen die Blockade in unseren Köpfen, dass wir denken: Wenn der ein bisschen mehr kriegt, dann kriege ich ja ein bisschen weniger, und ich glaube, das ist falsch. Die Denke müsste sein: Wenn der mehr kriegt, dann wird der Kuchen so viel größer, dann kriege ich auch mehr. Und diese Denke, die, glaube ich, müssen wir stärker leben.