Deutsche Technologien sind weltweit führend. Hiesige Tüftler verstehen es einfach, ohnehin schon ziemlich perfekte Maschinen und Technologien immer noch ein bisschen perfekter zu machen. Aber bei wirklich disruptiven Innovationen, die es erfordern, aufs Ganze zu gehen und auch mal weitgehend unbekanntes Terrain zu erforschen, sind deutsche Unternehmen plötzlich nicht mehr so mutig. Da gibt dann das "Team Vorsicht" den Takt vor, und man schaut erst einmal, was andere so machen. Diese Verzagtheit tut uns langfristig nicht gut, sagt die Forscherin Katharina Hölzle. Wer nicht auch mal mutig auf Züge aufspringt, deren Ziel noch unbekannt ist, kommt im Zweifel gar nicht mehr vom Fleck, weiß Hölzle.
Katharina Hölzle leitet seit dem 1. April 2022 das Institut für Arbeitswissenschaft IAT der Universität Stuttgart und das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Sie hatte von 2011 bis 2019 den Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam inne. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und ehemaliges Mitglied des Hightech-Forums der Bundesregierung.
Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2022.
Also, aus dem wenig haben entsteht Innovation. Und aus dem Druck, dass jetzt wirklich was passieren muss, entsteht auch Innovation. Und wir sehen, dass erfolgreiche Innovatoren immer diesen Druck spüren.
Um den Wandel wirklich durchzuführen, brauchen wir mehr als nur hier ein Innovation Lab und hier ein Inkubator, und hier gehen die Unternehmen mit Start-ups zusammen. Oder wir haben eben im Vorfeld schon über den GovTech Campus gesprochen, da kommen also jetzt die Mitarbeiter aus den Ministerien mit Start-ups zusammen. Das ist alles gut, und das ist auch richtig und kann Impulse geben. Was wir aber immer wieder feststellen, und ich beforsche gerade dieses Thema Innovationslabs, Zusammenarbeit und Unternehmen-Start-ups recht intensiv: Solange nicht das Commitment sowohl von der Leitung, und das muss als erstes sein, ganz oben steht immer die Führung, die Führungskräfte, das Management, wenn die sich nicht wirklich verändern wollen, wenn die nicht wirklich bereit sind zu sagen: Oh, das Start-up hat da gerade eine Idee, das wird unser komplettes Produkt-Portfolio überflüssig machen. Das ist cool, das machen wir! Solange das nicht passiert, werden diese Innovationen keinen Eingang finden, und es wird auch nicht tatsächlich dieser Ruck weder durch das Unternehmen oder durch andere Organisationen gehen. Das heißt, ich bezeichne das immer gerne als Innovationstheater. Wir investieren ein bisschen Geld, wir machen ein bisschen Design Thinking, wir machen ein bisschen Innovationslabs, wir laden uns ein paar Start-ups ein, wir fahren vielleicht alle noch ins Silicon Valley. Aber solange wir nicht tief drin als Unternehmen sagen: Uns wird es in fünf Jahren nicht mehr geben, und das gilt für uns alle, für mich als Führungskraft und für alle meine Mitarbeitenden und alles, was da dranhängt. Und genau deswegen müssen wir uns jetzt verändern, und deswegen ist es in Ordnung, dass du morgen da für zwei Wochen in diesem Innovationslab sitzt, und ich weiß gar nicht so richtig, was du machst, aber am Ende kommst du mit einer tollen Idee da raus. Das braucht es, es braucht wirklich eine Veränderung in der Unternehmenskultur, und wir können dann eben im nächsten Schritt dann von einer Gesellschaftskultur sprechen, und von den Strukturen, die wirklich bereit sind, sich selbst heute zu kannibalisieren, und das bedeutet in dem Moment, auf Wohlstand zu verzichten, auf Einkommen zu verzichten, auf Dinge zu verzichten, die mir vertraut sind, und das fällt uns als Menschen sehr, sehr schwer. Innovationen sind im Zweifel nicht willkommen. Klar, die sind anstrengend, die sind laut, die sind anders, die sind vielleicht am Anfang schmutzig, das ist jetzt bei den digitalen Technologien nicht so sehr der Fall, aber auch das. Der Klimawandel ist nicht einfach, und da werden genau diese Themen kommen. So, und das ist das, was wir brauchen.
Wir brauchen uns alle. Jeder von uns muss sich vorne hinstellen und sagen: So! Und ich sage das meinen Studenten jedesmal in der Vorlesung. Leute, es geht so nicht mehr! Und ich sehe das ja an denen, die tun sich unfassbar schwer damit. Ja, wie? Aber ich wollte doch eigentlich nur studieren und eine gute Note kriegen und einen guten Job haben. Ich sage: Leute, die guten Jobs gibt es nicht mehr, wenn ihr fertig seid.
Wir sind tatsächlich als Land, als Gesellschaft sind wir sehr satt, klar. Wir haben Jahre, Jahrzehnte des Wohlstandes hinter uns, und das führt natürlich dazu, dass wir, und dafür ist Deutschland bekannt, wir sind Innovationsweltmeister der inkrementalen Innovation, immer noch ein bisschen besser und das Spaltmaß noch ein bisschen optimiert. Und hier dann noch ein bisschen Geld für diese Gruppen, und hier noch ein bisschen Geld, das funktioniert wunderbar, wenn das Geld da ist. Und es ist tatsächlich so: Das Geld ist jetzt nicht mehr da. Das heißt, wir können nicht jedem noch ein bisschen mehr geben, sondern wir werden einzelne Themen aufgeben müssen. Wir haben dafür kein Geld mehr. Das wird zu einem Aufschrei führen. Aber nur so werden wir diese Veränderung schaffen. Und das ist etwas, was wir als Expertenkommission eben auch ... jetzt gerade haben wir ja die Diskussion um die DATI ... Wir können nicht immer neue Dinge schaffen. Wir müssen dann auch alte Dinge einfach mal abschaffen und sagen: Okay, wenn wir etwas Neues wollen, dann müssen wir mit etwas anderem aufhören. Das ist ganz klar: Geld für die eine Sache bedeutet weniger Geld auf der anderen Seite, wenn wir nicht permanent mehr Geld haben. Und das werden wir in Zukunft nicht haben. Das heißt: Ja, wir werden auf Dinge verzichten müssen. Wir werden Programme einstellen müssen. Wir werden auf lieb gewordenes verzichten müssen. Aber es wird dann etwas Neues kommen. Innovation passier immer dann, wenn etwas anderes nicht mehr funktioniert. Und erst dann kommt nämlich diese Zuversicht und auch dieses "Ja, jetzt müssen wir etwas anders machen". Deswegen sehen wir in der Historie der Innovation das ganz klar. Die Innovationszyklen, diese Innovationsschübe sind immer in Zeiten der großen Krise, von großen Krisen gekommen. Und das stimmt mich, trotz alledem, was wir gerade sehen, zuversichtlich, weil ich als Innovationsforscherin sagen kann: Vertraut darauf, aber ihr müsst etwas tun!
Das, was wir brauchen, ist, diese Lust auf Zukunft zu machen, diese Lust auf Innovation. Und ich spreche gerne von dem Innovationsmuskel. Der ist vielleicht ein bisschen schwach geworden in den letzten Jahren, und dieser Innovationsmuskel braucht aber genau dieses Training mit Lust auf Zukunft machen. Das Gefühl haben, ich kann diese Zukunftsvisionen auch selber entwickeln und ich bin Teil davon. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist für uns als Gesellschaft, dass alle das Gefühl haben, sie können es irgendwie mitgestalten. Denn sonst werden die Leute sich zurücklehnen, und das erleben wir jetzt schon sehr viel: Lass mal die da oben machen! Oder: Lass man die anderen machen! Oder: Was soll ich denn schon dazu sagen und tun? Das haben wir tatsächlich vernachlässigt. Da ist für mich Bildung ein ganz wichtiger Faktor, denn Bildung bedeutet für mich Befähigung, Mitnahme, Teilhabe. Und ich glaube, dass wir da auch als Gesellschaft und Politik und Wissenschaft noch viel stärker darauf hinwirken müssen, dass wir den Menschen in unserem Land das Gefühl geben: Ihr könnt etwas tun! Ihr seid wichtig für dieses Gesamtsystem und für diesen Gesamtprozess! Und auch wenn ihr diese Unsicherheit spürt, so gibt es doch Mittel und Wege, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Das ist letztendlich eine meiner großen Hoffnungen, dass wir das als Wissenschaftler, als Bildungspersonen an den Universitäten, dass wir diese Instrumente, aber auch diesen Geist der Zuversicht und dieses "Ich kann etwas tun", dass wir den vermitteln können.