Martin Brudermüller: Wir müssen technologieoffen bleiben

"Wir haben immer Überraschungen erlebt. Technologien, die sehr hoffnungsvoll waren, sind gescheitert aus verschiedenen Gründen. Und umgekehrt, welche, denen man gar nicht so viel zugetraut hat, haben dann das Rennen gemacht."

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Martin Brudermüller (Video)
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Die deutsche und die europäische Wirtschaft
werden durch den Versuch, die Abhängigkeit von russischen Energien zu reduzieren, wirtschaftlich noch stärker als ohnehin unter Druck geraten. Deshalb appelliert Martin Brudermüller, Vorsitzender des Vorstandes der BASF SE und Vizepräsident des Stifterverbandes, an die Politik, Vorhaben zu repriorisieren. Beim großen Umbau in Richtung Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit können nicht alle Pläne gleichzeitig umgesetzt werden. "Die Hälfte des Kohlenstoffs aus dem Gas ist für die Chemie-Industrie der Rohstoff, ist das Material für die zu produzierenden Produkte." Für die chemische Industrie ist Gas also unverzichtbar und kann hier auch nicht durch regenerative Energien ersetzt werden.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss allerdings beschleunigt werden. Dazu müssen auf der planerischen Seite die "furchtbar komplexen Planungsprozesse" verschlankt werden. Noch viel mehr gelte dies für die Überregulierung auf europäischer Ebene. Es sei gefährlich, wenn die Politik oder die Gesellschaft meine zu wissen, welche Technologien sich durchsetzen. Da habe es immer wieder Überraschungen gegeben. Deshalb sei es so wichtig, dass Deutschland technologieoffen bleibe. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auch "kleinen Pflänzchen" Entwicklungsmöglichkeiten garantieren.

Beim Thema Digitalisierung wäre es jetzt allerdings endlich mal angesagt, einen Fokus zu setzen und die Digitalisierung in Deutschland nachhaltig weiterzubringen. "Wir machen zu wenig aus dem Wissen, das die Grundlagenforschung zur Verfügung stellt", so Brudermüller. Es entstehe daraus zu wenig Wert in Form von Produkten. Es werde zu viel Wissen verschenkt, weil andere dann das Wissen abziehen und in Produkte transformieren. Um das in Zukunft zu vermeiden, seien neue Formen von Kooperationen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik nötig. Niemand könne mehr allein an Märkten agieren, Zusammenarbeit sei eine Frage des Überlebens.

Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2022.

 

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In so einer Krisenzeit ist ja auch immer ein bisschen ein anderer Spirit der Kooperation da. Im Moment ist das zwischen Politik und Industrie sehr fruchtvoll, und man hört sich zu und arbeitet eigentlich auch aufs gleiche Ziel hinaus, die Gesellschaft und das Land und auch Europa voranzubringen. Also, insofern, ich bin ja Optimist von Natur aus, deswegen sage ich mal: Da ist eine große Chance drin.

Ich bin fest davon überzeugt: Wir sehen ja viele Auswirkungen des Krieges noch gar nicht. Da kommt sehr viel auf uns zu. Ich glaube, dass es schwierige Zeiten sind für Europa, die da auf uns zukommen, und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, die ist ja schon seit sehr vielen Jahren rückläufig, die hat sich auch in den letzten Jahren nochmal beschleunigt. Und wir müssen aufpassen, dass wir da durch das, was auf uns zukommen, nicht nochmal stärker ins Hintertreffen geraten. Insofern kann es dann auch nicht sein, wenn wir jetzt eine neue Herausforderung bekommen, das sind sicherlich die Energiekosten, denn wir müssen die Abhängigkeit von russischem Gas, und das war eben die billigste Energie, die wir haben, deswegen hat sie ja auch so einen hohen Anteil. Wenn wir die jetzt ersetzen, dann wird es sicherlich dazu führen, dass wir eben auch strukturell, langfristig höhere Energiepreise haben. Und das wird sicherlich auch an die finanzielle Kraft der Unternehmen gehen, da werden Margen zurückgehen, da wird das Wachstum zurückgehen, da werden wir auch die eine oder andere Marktposition verlieren. Und das ist ja auf der anderen Seite genau das, was wir brauchen: Wir brauchen die finanzielle Stärke der Unternehmen heute, damit sie die Transformation schultern können. Das heißt, wir brauchen die Ertragskaft aus den Bestandsanlagen heute, um das eben hinzubekommen. Denn es ist ja jetzt eigentlich gefordert, wenn man beschleunigt und nochmal mehr Gas gibt, unter anderem in der Verbindung Klimaschutz und die Energietransformation im Sinne der Unabhängigkeit hinbekommen zu wollen, und das ist eigentlich meine Sorge und gleichzeitig auch der Appell an die Politik: Wir müssen dann auch den Mut haben zu sagen: Repriorisieren, wenn das die große Aufgabe ist, und ich bin fest davon überzeugt, sie ist es, dann müssen einige andere Dinge halt warten, die können dann nicht gleichzeitig stattfinden.

Die Abhängigkeit vom Gas zu reduzieren, heißt, die Chemieindustrie ist immer ein bisschen zwiegespalten, man muss wissen, die Hälfte des Kohlenstoffs aus dem Gas ist für uns der Rohstoff. Das ist das Material, aus dem unsere Produkte nachher sind. Dann geht es um die andere Hälfte, das ist eben Energieerzeugung, im wesentlichen Strom und Dampf. Den kann man aber auch anders erzeugen, eben zum Beispiel entweder wir verstromen direkt, erneuerbaren Strom zu nehmen, oder aber mit Wärmepumpen und Abwärme dann auch Dampf zu erzeugen, letztendlich elektrisch. Also, ich glaube, das ist eine Aufgabe, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren jetzt beschleunigen. Das heißt aber eben auch nochmal mehr Investitionen. Das heißt auf der gesetzgeberischen Seite den Mut, die furchtbar komplexen Planungsprozesse jetzt auch wirklich mal zu überspringen, zu reformieren, auch vielleicht mal über andere Wege den Mit haben, das zu beschleunigen. Es heißt aber auf der anderen Seite auch, dass diese Überregulierung, die wir in Europa ja haben, die uns schon seit längerem behindert, dass wir da auch ein klein bisschen innehalten. Ein gutes Beispiel für meine Industrie, die chemische Industrie ist das neue Chemikaliengesetz, das als Teil des Grren Deals entsteht, wo die Ziele absolut in Ordnung sind, den Schutz von Natur und auch von Menschen nochmal zu verbessern, obwohl wir das höchste Niveau in Europa schon haben, das ist richtig. Aber im Moment entstehen da so viele Regulierungspakete, die auch noch nicht einmal aufeinander abgestimmt sind. Und es sind gerade im aktuellen Stand, haben wir recherchiert, ungefähr 7.100 Seiten Regulierung alleine für die chemische Industrie am Anfang der Wegstrecke. Da muss man sich dann überlegen: Kann man nicht vielleicht das Tempo ein bisschen herausnehmen? Kann man das etwas entzerren auf der Zeitskala? Kann man sich über das Wie nochmal unterhalten, um die gleichen sozusagen Schutzwirkungen zu erzielen? Das ist eigentlich das, wo ich erwarte, dass alle eine Bereitschaft haben, denn ich glaube, wir sind uns ja auch einig: Wir bekommen das nur hin, wenn die Industrie, die Politik und auch die Gesellschaft ihren Teil sozusagen trägt und man einen Konsens bekommt, was der Weg nach vorne ist.

Manchmal hat man ja so ein bisschen das Gefühl, Wasserstoff ist das Allheilmittel von allem, und jeder redet über Wasserstoff und deswegen nochmal mehr bei Wasserstoff. Das ist sicherlich eine wichtige Zukunftstechnologie. Mir ist aber ganz wichtig, dass wir techologieoffen bleiben. Wir waren immer schlecht beraten, schon in der Vergangenheit, wenn irgendjemand in der Gesellschaft und ganz besonders in deer Politik meint zu wissen, was sich eigentlich wo durchsetzt. Wir haben immer Überraschungen erlebt. Technologien, die sehr hoffnungsvoll waren, sind in der Endphase dann eben gescheitert aus verschiedenen Gründen. Und umgekehrt, welche, denen man gar nicht so viel zugetraut hat, haben dann das Rennen gemacht. Deswegen, glaube ich, müssen wir sicherstellen, dass wir Rahmenbedingungen haben, die so attraktiv sind, dass eigentlich tolle Menschen, die tolle Ideen haben, und da gibt es Gottseidank immer noch genug davon, dass die auch, sagen wir mal, einen Boden finden, auf dem diese Pflänzchen dann auch wirklich wachsen können. Und das kann man ja dann verstärken. Man kann ja dann eine Mission oder Missionen machen oder, sagen wir mal, Initiativen. Da kann Wasserstoff eine sein, da kann Klimatechnologie eine sein. Aber eine Technologie möchte ich doch noch mal nennen, die auch in aller Munde ist, die aber für mich so eine Befähigungstechnologie ist, die Digitalisierung. Wenn wir überlegen, wie viel wir da schon darüber reden und wie viele tolle Essays und Reden darüber gehalten worden sind, wenn ich mich richtig erinnere, die digitale Patientenakte ist vor 25 Jahren erfunden worden. Ich habe meinen Arztbrief letzte Woche immer noch per Post gekriegt. Und das zeigt eigentlich doch, wie weit wir da noch zurück sind. Und ich glaube, das wäre was, Fokus und Konzentrationen spielen da auch eine Rolle, da mal alles draufzusetzen und sagen: Da haben wir jetzt die Grundlagen von der Quantentechnologie über Datenmanagement, über die Ausbildung und diese ganzen Dinge, ich glaube, das wäre ein Nährboden, der eigentlich allen verschiedenen Technologien dann zugutekommt. Und ich hoffe wirklich, dass sich keine anmaßt, zu wissen, was das Rennen macht in der Zukunft und was nicht.

Eine neue Erkenntnis haben wir auch in unserem Unternehmen, und sicherlich die anderen auch, das, was in der Vergangenheit so ein bisschen die Doktrin war, wir können immer alles alleine - keine kann irgendwas noch alleine. Sie brauchen die Allianzen, sie brauchen die Komplementarität von Fähigkeiten, und ich glaube, da spielt gerade das Thema Grundlagenforschung und dann sozusagen Anwendungsforschung eine große Rolle. Wir können uns nicht mehr leisten, zu sagen, wir machen jetzt 10, 15 Jahre, um das mal zu verstehen. Das muss an der Hochschule irgendwo passieren, und dann setzen wir auf den Erkenntnissen eigentlich auf. Und die gute Nachricht eigentlich bei alle Kritik, die wir an Europa haben: Wir sind ja immer noch spitze bei der Grundlagenforschung. Wenn Sie angucken, wie viel Patente und wie viel auch wissenschaftliche, eigentlich muss man sagen: Patente, wissenschaftliche Artikel generiert werden, dann ist es nirgendwo so viel auf der Welt wie in Europa. Das, was dann eigentlich danach kommt, ist die traurige Geschichte. Wir machen nämlich keine Produkte und keine Wertschöpfung im Sinne von der Volkswirtschaft aus dieser Erkenntnis. Viele in der Welt lesen dann eben die Grundlagenforschung aus Europa und machen daraus tolle Produkte. Und ich glaube, dieser Transmissionsriemen, aus Wissen dann auch Wert zu generieren, das ist schon immer eine Schwäche gewesen in Europa. Die ist zwar adressiert worden, an der einen oder anderen Stelle ist auch was passiert im Sinne von Start-up-Kultur usw., aber da haben wir noch viel Nachholbedarf, und das ist, glaube ich, ein Reservior und Potenzial, was Europa wirklich noch nutzen kann. Das ist dann auch so ein gutes Beispiel, was ich gerade im Panel auch angedeutet habe: Wir brauchen eine neue Art von Kollaboration zwischen Gesellschaft und Politik, aber eben auch Industrie, und da muss jeder sich ein kleines bisschen verändern.