Michael Kaschke: Offenes Denken in der Krise

"Wir müssen lernen, Strategien in einer Phase der Unsicherheit zu entwickeln. Und das erfordert multidimensionales Denken, offenes Denken für verschiedene Richtungen, Denken in Optionen."

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Michael Kaschke (Video)
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Die Krise erfordert ein radikales Umdenken. Ziele müssen neu definiert werden. Bei den Wegen dorthin müssen verschiedene Optionen offengelassen werden, sagt Michael Kaschke, Präsident des Stifterverbandes. Denn die Krise zeige: Die Fokussierung auf einen einzigen Weg kann sich fatal auswirken. Erst in der Krise beginnt man, sich wieder zu öffnen. 

Um die Krise zu bewältigen und neue Lösungen zu finden, braucht es Bildung, Offenheit und "ein demokratisches Verständnis davon, dass wir die Dinge aushandeln müssen", so Kaschke. Und es sei zudem auch die Herausforderung, zu zeigen, dass diese Werte langfristig erfolgreicher sind als jene in autokratischen Systemen, wie zum Beispiel in China. Dort werden Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie mit enormem Druck vorangetrieben: Was haben westliche Gesellschaften dem entgegenzusetzen? Moralisch-ethische Überheblichkeit aufseiten demokratisch-westlicher Staaten reiche hier bei weitem nicht aus. 

Diversität werde in vielen gesellschaftlichen Bereichen zurecht sehr groß geschrieben. Andere Bereiche seien hingegen immer noch sehr stark monokulturell geprägt, auch und gerade im Technologiebereich. Auch hier wäre Offenheit und Vielfalt wünschenswert. 

Nachhaltigkeit und Technologie sind keine Gegensätze, sagt Michael Kaschke. Im Gegenteil: Das Ziel, die Gesellschaft nachhaltiger zukunftsfähig zu machen, könne gerade durch Technologie und Ingenieurskunst viel besser erreicht werden. 

Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2022.

 

Transkript des Videos

Wir müssen lernen, Strategien in einer Phase der Unsicherheit zu entwickeln. Und das erfordert multidimensionales Denken, offenes Denken für verschiedene Richtungen, Denken in Optionen. In der Tat, glaube ich, ist eine Krise immer eine Chance zur Veränderung, aber nicht zwangsläufig, sondern man muss die Veränderung aktiv herbeiführen. Die Gesellschaft muss auch verstehen, dass es nicht ohne die Wirtschaft geht.

Das beste Synonym, was ich finde für Zeitenwende, ist radikales, generelles Umdenken. Genau das ist gefordert, und das bedeutet für mich jetzt bei der Transformation, wirklich Zeitskalen zu definieren, in denen man was erreicht, und auch in den Wegen dahin verschiedene Optionen offen zu lassen. Wir haben ja gesehen, dass eine Fokussierung auf eine Richtung oder auf einen Weg sehr gefährlich ist. Das ist ja das Charakteristikum einer Krise. Man muss sich plötzlich öffnen, man muss andere Wege gehen können. Ich bin als Physiker Anhänger der Pendel-Theorie. Und das sagt immer: Die Entwicklung der Welt passiert sozusagen in einer Pendelbewegung. Das schwingt mal nach der Seite, und dann schwingt es wieder mal nach der, aber irgendwie kommt es immer weiter nach oben, also Dialektik im Prinzip. Und was wir ja gesehen haben, ist in der letzten Zeit ein sehr starkes Ausschlagen des Pendels gegen Technologie, für Gutmenschentum, für Nachhaltigkeit. Was richtig ist, was notwendig ist, damit überhaupt so ein Sense for Urgency entsteht und das Bewusstsein. Aber ich glaube, und jetzt bin ich bei Ihnen, jetzt in einer spannenden Zeit, jetzt kommt die Krise, und so einfach, wie sich das viele gedacht haben, ist es halt nicht. Und jetzt muss das Pendel wieder ein Stück zurück schlagen, um die nächste vernünftige Gleichgewichtslage zu finden, bis es wieder einen Anstoß gibt. Das kann man, glaube ich, ganz gut nachvollziehen. Ich bringe ja immer die Analogie: Die Ölkrise in den 70er-Jahren hat bewirkt, dass die Digitalisierung damals, die ganzen PCs, das war ein Erfolg der Ölkrise, weil man damals, das war der erste Dämpfer sozusagen zum Thema, Club of Rome usw., der erste Dämpfer hinsichtlich der Ressourcenunbegrenztheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Welt gedacht, Ressourcen sind unendlich. Ich habe in meiner Schulzeit Bücher bekommen, was alles möglich ist und wie ir auf den Mond fliegen werden und mit Taxis in der Luft abheben, kommen heute alle wieder, nur da war alles mit unendlichen Ressourcen gedacht.

Es ist gut, dass es solche Konflikte gibt, weil Konflikte oder Krisen sind die Katalysatoren für Fortschritt. Was aber wichtig ist, den Fortschritt gestalten die Menschen. Von alleine passiert das nicht, also, die Krise ist sowas wie der Nährboden für eine katalytische Funktion, und jetzt müssen die Menschen richtig ran. Und da braucht es Bildung dazu, mehr denn je, weil die Welt viel komplexer geworden ist als vor 50 Jahren. Da haben wir ein Thema. Es braucht eine Offenheit, weil ich kann die Konflikte nur lösen, wenn ich offen bin für ale Seiten. Und es braucht als Drittes aus meiner Sicht eben ein, nennen wir es ruhig, da bin ich überzeugt von, ein demokratisches Verständnis, dass wir die Dinge aushandeln müssen und zu einer Lösung zu führen. Dagegen sieht man ja aber, dass es noch nicht klar ist, dass nicht ein autokratisches System wie China zumindest kurzfristig besser Wissenschaftserfolge und auch Technologieerfolge erzielen kann. Also, wir müssen auch den Gegenbeweis antreten, dass diese drei Thesen, denen ich gerne nachhänge, die ich gerne unterstützen würde, dass die erfolgreich sind. Und das ist schon nochmal eine Aufgabe, vor der stehen wir ganz akut. Die ist da. Manche haben es noch nich wahrgenommen, aber es ist genau die Aufgabe. Es ist noch überhaupt nicht klar, dass dieses, ich rede jetzt nicht von Russland, aber China ist ein autokratisches System, das enorm dirigistisch die Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft voranbringt. Was haben wir dagegenzusetzen? Das schaffen wir nicht alleine, indem wir nur sagen: Wir sind besser, und wir sind die Guten, und das sind die Schlechten. Das reicht nicht.

Ich habe meine Vermutung, und die geht dahin, dass diese Diskursfähigkeit ein Stück weit dadurch verloren gegangen ist, dass eine Seite einen sogenannten moralischen Imperativ mit sich bringt, also dass meine Position, die ich vertrete, die ist gut, die ist auch faktisch gut, das will ich gar nicht negieren. Aber deswegen ist der andere nicht von vornherein schlecht, weil er eine andere Position vertritt, sondern muss gehört werden. Also, ich glaube, die Attributhinzufügung in der Diskussion von moralisch gut oder ethisch gut und nicht gut hat vielfach dazu geführt, dass wir nicht mehr sauber diskutieren und die Dinge aushandeln. Auf der einen Seite halten wir den Begriff Diversität in der Gesellschaft ganz hoch. Aber bei bestimmten Punkten werden wir monothematisch oder monokulturell. Das ist für mich ein Widerspruch. Und ich glaube, das ist auch nicht gut für die Gesellschaft. Deswegen, ich bin ein ganz großer Anhänger von Diversity in jeder Hinsicht, aber das bitte dann auch in allen Bereichen durch.

Ich habe sehr viele Mitarbeiter kennengelernt in meinem eigenen Unternehmen, die kamen als Quereinsteiger, haben sich dann aber in MINT eingearbeitet. Also, generell bin ich eben auch für diese Durchlässigkeit. Ich finde diese Schubladisierung halt eben auch teilweise bedenklich. Trotzdem, nach zehn Jahren, Sie haben es gerade gesagt, zeigt ja das aktuelle Barometer enttäuschend, und wir müssen uns die Frage stellen, wenn man zehn Jahre, 15 Jahre auf ein Ziel hinarbeitet, kommt aber nicht näher, da ist dieses Ziel dann nur die Messung für uns in Deutschland, dass andere Länder in der Zeit vielleicht sogar noch weiter nach vorne gegangen sind. Das stand im Report noch gar nicht drin. Wir messen ja nur den Fortschritt gegen uns selbst. Das ist schon bedenklich. Und da müssen wir als Stifterverband nicht nur sagen: Mehr, und wir müssen weiterarbeiten, sondern wir müssen auch die Frage stellen: Was müssen wir anders machen? Offensichtlich waren die Mittel nicht ausreichend. Da könnte ich jetzt auch spekulieren. Das hat was eben auch damit zu tun, wenn man Technologieoffenheit und Technologieverbote in der öffentlichen Wahrnehmung hat, wird man sich nicht unbedingt in Technik orientieren, weil man das ja nicht als etwas Offenes empfindet. Zweitens gibt es bei uns in Deutschland eine Disjunktion, ein Auseinanderklaffen von "Ich mache etwas für Purpose, für Umwelt und Gesellschaft" oder "Ich mache Technologie". Das finden Sie in anderen Ländern nicht, diese woher auch immer kommende Dissonanz zwischen diesen beiden Themen. Dabei ist doch völlig klar, das wird dann nur nie thematisiert, dass das Elektroauto durch ganz tolle Ingenieure, ich bin ja selber bei Bosch im Aufsichtsrat in der Treuhand, da sind super Ingenieure. Die Lösung einer Energieproblematik wird nicht nur durch irgendein Windrad kommen, sie wird vor allen Dingen auch durch digitale Lösungen, wie wir die Energie verteilen, gemacht werden. Alles Ingenieursdisziplinen. Und wir schaffen es nicht, schon in der Schule nicht und an der Hochschule nicht, diesen Link, diese Verbindung zwischen "Ich mache Purpose im wahrsten Sinne für Nachhaltigkeit und für die nächste Generation" und "Technologie" herzustellen.