In Krisenzeiten übernimmt der Staat wichtige Funktionen bei der Steuerung wirtschaftlicher Entwicklungen und internationaler Zusammenarbeit. Auf lange Sicht ist das aber keine gute Konstellation, findet Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation. Die Balance von Markt und Staat müsse wieder ins Lot kommen.
Industriepolitik sei überall dort zu begrüßen, wo das Land seine technologische Souveränität zu verlieren drohe. Hier könne der Staat dazu beitragen, Prozesse und Systeme lediglich anzustoßen, müsse sich dann aber auch wieder daraus zurückziehen, so Cantner. Dies gelte auch angesichts der Tatsache, dass viele Länder wie China und sogar die USA starke industriepolitische Züge tragen.
Internationale Kooperationen könnten, so befürchtet Cantner, durch Renationalisierungstendenzen und durch Souveränitäts-Diskussionen in Verruf geraten. Man dürfe aber nun nicht der Illusion aufsitzen, dass jedes Land jetzt wieder alles für sich alleine machen könne. Kooperationen seien auch in Zukunft notwendig, allerdings müsse man Partnerschaften genau daraufhin abklopfen, wie "offen" sie sein können und dürfen. Das allgegenwärtige und teilweise gehypte "Open Science" oder "Open Innovation" habe durch die jüngsten Krisen an Glanz verloren.
Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsgipfel 2022.
In den Krisen, in denen wir uns jetzt befinden, ist der Staat der Macher. Herr Habeck führt durch die Lande und sorgt für die Energieversorgung, unabhängig von Russland. Der Staat macht es.
Wir müssen aber aufpassen, dass das nicht zum Leitbild wird, sondern in der Transformation ist der Staat schon wichtig, aber eher als Initiator, als Türöffner, als Beschreiber von Korridoren, wo es hin gehen sollte. Aber danach müssen die Wirtschaft und die Gesellschaft kommen, und die müssen das machen, angereizt, wettbewerblich. Sie müssen aber das selber machen. Also, wir können uns nicht darauf verlassen, dass der Staat das regeln kann. Es gibt ganz prominente Bücher, "The Entrepreneurial State", wo das ganz anders gesehen wird, dass der Staat das fast komplett in die Hand nehmen muss. Das überzeichne ich gerade ein bisschen, aber das ist nicht ganz falsch. Und wir müssen diese Balance zwischen Markt und Staat auch in den Griff bekommen. in Krisen ist es schon der Staat, da geht es manchmal nicht anders. Aber die langfristige Geschichte, da muss der Staat wieder raus, und die Gesellschaft und die Wirtschaft müssen es machen.
Also, die Halbleiter sind eigentlich ein Paradebeispiel erstens für eine Schlüsseltechnologie und zweitens wo wir in Abhängigkeit jetzt Schritt für Schritt reinlaufen. Wir merken es schon, Lieferengpässe und, und, und. Unsere Unternehmen bekommen nicht die Halbleiter, die sie brauchen, um ihre Produkte weiterzuentwickeln und dann auch zu verkaufen. Und was machen wir jetzt da? Wie geht man da vor? Ich meine, wir haben in dem Gutachten dann der Politik schon auch einen gewissen Freibrief gegeben für Industriepolitik. Industriepolitik ist in Deutschland ein Unwort gewesen in den letzten Dekaden. Der Staat sollte nicht aktiv ins Wirtschaftsgeschehen eingreifen, Rahmenbedingungen schaffen und, und, und, das kann man machen, aber nicht aktiv eingreifen. Aber in dieser Situation, die technologische Souveränität komplett zu verlieren, muss man etwas tun. Da haben wir gesagt: Na gut, Industriepolitik ist mit angezogener Handbremse schon möglich, wir nennen das katalytisch. Katalytisch heißt: Sie dürfen die Industrie fördern, direkt, aber nicht eine ewige Subventionierung, sondern nach einer bestimmten Zeit müssen Sie wieder rausgehen, da müssen die das wieder selber machen. Zum Beispiel das Halbleiterwerk von Bosch in Dresden, das da errichtet wurde zusammen mit der Finanzierung durch das Bundeswirtschaftsministerium, ist so eine Industriepolitik. Da würde ich sagen: Das ist gut. Das ist ein Spezialhalbleiter, das ist spezial für autonome Systeme. Das können wir jetzt aufbauen, da müssen die aber demnächst rausgehen, da müssen das Bosch und andere Kooperationspartner selber machen. Und damit kann man wettbewerbsfähig sein. Das passt gut zu unserer Automobilindustrie, autonome Systeme, autonomes Fahren, das ist eine gute Komplementarität, das würden wir goutieren. Aber wir würden sicherlich nicht begrüßen, wenn man irgendwelche normalen Halbleiter jetzt im großen Stile hier subventioniert, dass die Produktionsstätten hier in Deutschland aufgebaut werden können. Wir sagen auch, dass es eigentlich nicht eine deutsche Politik sein kann, sondern es muss eine europäische Politik sein, denn in diesem geopolitischen Machtwettbewerb, hier USA, China auf der einen Seite, kann Deutschland alleine nicht bestehen. Das muss Europa heißen. Deswegen müssen wir es auch europäisch denken, was durchaus, denke ich mal, auch gemacht wird. Die andere Schiene ist natürlich, wenn da von außen auf einmal aus Amerika Investoren wie Intel kommen und sagen: Wir bauen euch hier eine Produktionsstätte hin für Halbleiter, wie jetzt in Magdeburg mit 17 Milliarden. Was ist das eigentlich? Was ist das für eine Initiative? Wie soll man die begleiten? Soll man das einfach hinnehmen und dann passiert das, und man hofft, es passiert alles gut, und alles wird gut ausgehen? Oder muss man so eine Investition auch begleiten, in dem Sinne, dass ich eine Infrastruktur da herum schaffe, dass selbst wenn Intel das irgendwann mal abziehen würde aus welchen Gründen, dass etwas bleibt und diese Produktion von diesem Produktionswissen und von diesem Wissen um Halbleiter etwas in Deutschland verbleibt, von der Forschung dann hoch bis auch in die Innovation und in die Anwendung. Das ist auch so eine industriepolitische Strategie, denke ich mal, die komplemetäre Investitionen dann befördern kann, um die Souveränität in diesem Sinne auch zu erhalten.
Es hat auch schon damit zu tun: Was machen die internationalen Wettbewerber? Wie gehen die eigentlich in ihren Volkswirtschaften vor? Da haben Sie ein China, das Industriepolitik pur macht. Das ist staatliche Wirtschaftsförderung hundert Prozent. Da wird alles geplant, und da wird auch unheimlich viel Geld reingegeben, um die Technologien zu entwickeln, um aufzuholen, und es sieht so aus, um auch zu überholen. In anderen Ländern ist das nicht ganz so massiv. Wenn Sie in die USA schauen, da läuft das immer nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien. Vorsicht! Auch dort wird ganz ordentlich Industriepolitik gemacht. Man hängt es nur nicht ans große Schild und an die Fahne dran und sagt: Wir machen das. Aber die machen unheimlich viel Industriepolitik. In Europa, was natürlich eine Zusammenarbeit von vielen Volkswirtschaften darstellt, die sehr unterschiedlich aufgestellt sind, wo Deutschland und Frankreich sicherlich die führenden Positionen haben, Frankreich ist ein industriepolitisches Land. Das ist bekannt. Deswegen, Europa ist auch schon industriepolitischer, und in Deutschland hat sich das eigentlich jetzt erst so langsam geöffnet. Und vor dem Hintergrund, dass andere Industriepolitik machen und dadurch Wettbewerbsvorteile erlangen, Wohlstandsvorteile erlangen, die Wohlstandsentwicklung dort dann gut laufen kann, muss man sich schon überlegen: Kann man bei dem Spiel da einfach mitmachen oder sagen: Wir machen es aus ideologischen oder aus konzeptionellen Gründen machen wir das nicht. Und da muss man, glaube ich, über den eigenen Schatten springen. Und deswegen hatten wir eben diesen industriepolitischen Vorschlag gemacht, katalytisch, mit Umsicht, mit Vorsicht, keine Dauersubventionierung usw., um überhaupt ein bisschen mithalten zu können.
Es ist vor allem die Corona-Krise und vor allem die Ukraine-Krise, die ja möglicherweise pars pro toto stehen für weitere Krisen, die kommen können. Das kann niemand ausschließen, und zwar Krisen, so exogene Schocks wie die Ukraine-Krise vielleicht. Aber es können natürlich auch Krisen sein, die im Transformationsprozess selber auftreten. Und man muss eben jetzt eine Diskussion finden zu der Frage: Wie gehe ich mit diesen kurzfristig anfallenden Krisensymptomen um? Wie kann ich sie bekämpfen, ohne langfristig die Ziele, Nachhaltigkeit, Transformationsziele, aus dem Blick zu verlieren? Wie kann ich die quasi auch miteinander zusammenbringen? Die Transformationsprobleme lassen sich ja nur global lösen. Ich meine, Deutschland kann ja das Problem Klimawandel nicht lösen, also müssen wir es global lösen. Jetzt haben wir aber eine Renationalisierungstendenz. Also, alle wollen es wieder alleine machen, um souverän zu bleiben. Es gibt ja auch welche, die denken, man muss Autarkie machen. Nein, nein, es muss auch hier dafür geworben werden, trotz der Souveränitätsdiskussion, trotz der Resilienzdiskussion, das Ganze muss ein internationales Feld bleiben. Ich meine, wahrscheinlich muss nicht jeder mit jedem kooperieren. Das klappt manchmal auch nicht. Da gibt es gute Gründe, warum das nicht klappt. Aber man muss es eben geschickt machen. Es muss geschickte Kooperationen, geschickte Netzwerke adressieren. Wenn ich jetzt aber Open Science mache oder Open Innovation, es gibt ja ganz viele Open-Begriffe, dann gibt es eben Spieler auf der Welt, die das Spiel nicht mitspielen. Die schauen bei Ihnen rein, aber lassen sich selber nicht reinschauen. Und deswegen müssen die Kooperationsbeziehungen, die Netzwerke, müssen anders geschmiedet werden. Ich sage: Es gibt Partner, da mache ich Open Innovation und Open Science, das mache ich alles dort, gar kein Problem. Aber es gibt Partner, wo ich das eben nicht mache. Und auch dieses Spannungsverhältnis müssen wir irgendwo auflösen. Aber ich gebe Ihnen Recht, diese leuchtenden Begriffe Open Innovation, Open Science, Open Data, was weiß ich, die sind gerade ein bisschen angegriffen. Es kann auch sein, dass deren Hochzeit, sage ich mal, vielleicht auch schon über ist und wir etwas relativierter darüber nachdenken müssen. Es wurde ja sehr gepusht, und auch die Europäische Union immer "Open, Open, Open", das war ja das Stichwort schlechthin. Aber ich glaube, dass wir da etwas zurücktreten und das nochmal genau überdenken, was wir eigentlich open machen und was wir vielleicht lieber nicht open machen.