Wieviel Geld nimmt Deutschland eigentlich für Open Data in die Hand? Für Pavel Richter, CEO des Open Knowledge Foundation Networks, steht fest: Solange es dafür kein Budget gibt, fehlt auch der politische Wille, Daten öffentlicher Institutionen allgemein zugänglich zu machen. Da wundert es nicht, dass die Bundesrepublik im Global Open Data Index stark zurückgefallen ist. Und es ist erstaunlich, wer Deutschland da alles überholt hat.
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Autor: Timur Diehn
Produktion: Markus Müller, Christian Slezak
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Wie hoch ist eigentlich das Budget für Open Access und Open Data in Deutschland? Das ist eine ganz zentrale Frage.
Politischer Wille muss sich einfach im Budget ausdrücken. Das ist ganz einfach. Und jeder, der den politischen Betrieb kennt, weiß, dass, solange es kein Budget gibt, wird der politische Wille an sich nicht zum Tragen kommen. Und da sehe ich für mich ein klares Indiz dafür, dass wir in Deutschland keinen, dass der politische Wille schlicht und ergreifend fehlt, offener und freier zu sein, denn ansonsten gäbe es dafür einfach einen Budgetposten. Solange ich den nicht sehe, höre ich interessiert allen Sonntagsreden zu, denke mir aber meinen Teil.
Was wir heute tun müssen und wo die Herausforderung insbesondere für die Verwaltungen liegt, ist: Wir müssen dafür sorgen, dass der Verwaltungsapparat seine Informationssysteme in einer Art und Weise gestaltet, dass sie von vornherein die Nutzung durch andere Akteure außerhalb der Behörde, außerhalb des Beamtenapparates mitdenkt. Und das klingt jetzt erstmal etwas trocken und langweilig, ist aber absolut zentral. Wenn man bedenkt, dass Daten heutzutage tatsächlich ein Treibstoff sind, der auch von sehr vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren genutzt wird. Und deswegen ist eine zentrale Forderung und ein Wunsch auch an die Politik, nicht mehr über die Offenheit von einzelnen Daten zu sprechen, sondern über ein generell neues Denken und ein neues Designkonzept für Informationssysteme, das die Nutzung durch potenziell unendlich viele Akteure ermöglicht. Was soll offen sein? Die Frage stellt sich für mich gar nicht. Die Frage ist richtig gestellt: Was soll nicht offen sein? Natürlich kann man nicht sagen: Alle Daten sollen offen sein. Es gibt selbstverständlich sicherheitsrelevante Gründe, die gegen offenen Zugang und freien Zugang zu bestimmten Informationen und Daten spricht. Der Schutz der Privatsphäre ist enorm wichtig, wenn es um das Thema offene Daten geht. All das steht überhaupt nicht zur Debatte. Aber es muss der Grundsatz gelten: Alles muss offen by default sein, und die Nichtoffenheit, die Geschlossenheit, die muss sich erklären, die muss begründet werden und nicht, warum etwas offen sein soll.
Der Satz ist zwar abgedroschen, aber er ist immer noch richtig: Wissen ist Macht. Und das bedeutet, dass es Menschen gibt, die diese Macht für sich haben wollen. Die nicht wollen, dass alle anderen diese Macht auch haben. Wir müssen ganz klar sehen, dass die Entwicklung in Richtung Offenheit und Open Data, aber auch in die Demokratisierung der Zugänglichmachung von Wissen, dass das Machtpositionen von Menschen und Institutionen, seien das Parlamente, seien das Parteien, seien das Kirchen, seien das Wirtschaftsverbände, seien das Wissenschaftsverbände, dass all diese tradierten Machtsysteme gewaltig ins Wanken geraten, wenn es plötzlich ganz einfach ist, zum Beispiel große Datenmengen auszuwerten, wenn es ganz einfach ist, Informationen, die nicht vorhanden sind, selber zu erstellen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Das haben die Kollegen von Transparency International zusammen mit einer lokalen Organisation in Uganda getan. Die haben eine App entwickelt, die es ihnen ermöglicht, die frei verfügbaren Budgetdaten des Staates Uganda so aufzubereiten, dass Sie mit Ihrem Handy vor einem Regierungsgebäude, vor einer Schule, vor einer Behörde, einer Universität stehen können und sehen können, wie hoch das Budget oder wie hoch der Anteil für genau diese Schule, diese Universität, diese Behörde im Staatshaushalt des Landes Uganda ist. Und das ermöglicht ... das ist erstmal die Information an sich, die wird die Welt nicht verändern. Aber es ermöglicht zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort, Fragen zu stellen. Die können zu dieser Schule hingehen und sagen: Hey, wir wissen, dass Ihr 500.000 Dollar im letzten Budgetjahr erhalten habt. Wir sehen aber nicht, wo diese 500.000 Dollar hingegangen sind. Das Thema Accountability spielt hier eine enorme Rolle, und das natürlich nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch in westeuropäischen Ländern. Und da merkt man auch, dass viele Entwicklungsländer, viele Schwellenländer diese Chance schon viel eher begriffen haben als Deutschland. Um Ihnen ein konkretes Beispiel zu geben: Open Knowledge International veröffentlicht einmal im Jahr den Global Open Data Index, in dem wir bei 122 Ländern überprüfen, crowdgesourced mit Unterstützung von lokalen Communities, überprüfen, wie offen sind Daten in den 122 Ländern. Auf Platz 1 steht Taiwan interessanterweise. Deutschland steht auf Platz 27. Das ist an sich schon schlecht. Es ist eine Katastrophe, wenn man bedenkt, dass Deutschland im Jahr davor auf Platz 9 stand. Jetzt ist es nicht so, dass Deutschland plötzlich Datensätze nicht mehr freischalten würde oder die Offenheit zurückgegangen ist. Was man hier sieht, ist, dass die anderen sehr viel schneller sind. Deutschland ist stehen geblieben, und alle anderen haben Deutschland überholt. Und deswegen steht Deutschland jetzt auf Platz 27. Auch hier wieder ein gutes Beispiel dafür, dass in Deutschland der politische Wille fehlt. Beim Global Open Data Index, als er vor einigen Wochen herausgekommen ist und England von Platz 1 auf Platz 2 gefallen ist, war das am nächsten Tag Kabinettsthema. Und am nächsten Tag hat Cabinet Minister beschlossen: Wir starten eine Initiative, dass England im nächsten Jahr wieder auf Platz 1 ist. Die einzige Reaktion, die ich in Deutschland gehört habe, als Deutschland von Platz 9 auf Platz 26 gefallen ist: Ach, ihr habt eure Methode geändert, das ist doch eh alles fehleranfällig, weil es von irgendwelchen Communities kommt! Das ist ein sehr deutliches Zeichen der Kultur und auch des politischen Willens. Und hier können wir enorm viel von Schwellen- und Entwicklungsländern lernen, die einfach auch die wirtschaftliche Kraft und die wirtschaftlichen Chancen und die zivilgesellschaftliche Kraft und die zivilgesellschaftlichen Chancen von Open Data längst begriffen haben.
Ganz klar: Open Educational Resources, ein etwas sperriger englischer Begriff, den ich mit freien Lehr- und Lernmaterialien übersetzen würde. Das ist im Grunde genommen das gleiche wie die Wikipedia als Prinzip, nur eben auf Schulbücher, auf Lehrmaterialien an Universitäten übertragen. Und die Idee dahinter ist, dass das Konzept von in Klassensatzstärke angeschafften gedruckten Büchern, die sich über einen gewissen Zeitraum in einer Schule amortisieren müssen, weil die Schule sich nicht jedesmal, wenn sich etwas ändert, ein neues Buch kaufen kann, dass das eigentlich überhaupt nicht mehr passt zu einem modernen Bildungssystem. Und was die Initiativen für freie Lehr- und Lernmaterialien versuchen, ist das Prinzip von Wikipedia, nämlich viele Menschen zusammenzubringen, die gemeinschaftlich zum Beispiel an einem Biologie- oder einem Mathematik-Buch oder einem Geografie-Buch arbeiten und dieses dann frei lizensiert allen Menschen zur Verfügung stellen. Da gibt es enormen Widerstand. Schulbücher sind eine sehr große Industrie in diesem Land. Sehr, sehr viele Verlage verdienen sehr, sehr viel Geld. Die haben gemerkt, und die haben sich gemerkt, was mit dem Brockhaus-Verlag passiert ist. Das ist heute eine Marke, die dem Bertelsmann-Konzern gehört und zum Vertrieb von Kinderlexika genutzt wird. Ansonsten gibt es da ja nichts mehr. Und dieses Schicksal möchten die Schulbuchverlage nicht haben. Ich respektiere das. Ich kann sehr gut verstehen, warum Schulbuchverlage das nicht wollen. Es ändert aber nichts daran, dass aus meiner Sicht die Zukunft diesen freien Lehr- und Lernmaterialien gehört. Das ist in Deutschland toll und großartig, aber jetzt stellen Sie sich mal vor das gleiche Prinzip übertragen auf Entwicklungsländer, in denen es keinen Markt gibt für Schulmaterialien, weil niemand sie bezahlen kann. Dort gibt es diese Materialien eigentlich überhaupt nicht und dementsprechend auch keine oder sehr schlechte oder eben auch keine lokalisierten Schulmaterialien für ein Schulkind in einer Region in Kenia. Vielleicht benutzen sie alle in Kenia das gleiche Buch oder gar sie benutzen ein altes Buch aus einem anderen Land, weil es schlicht nichts anderes gibt.
Ein weiteres spannendes Projekt, das in die gleiche Richtung geht, ist Openstreetmap. Bei Openstreetmap haben sich eine ganze Menge Enthusiasten zusammengefunden, die eine freie Landkarte in der Welt erstellen. Natürlich kennen wir alle aus unseren Navi-Systemen im Auto oder im Handy kennen wir Google Maps oder andere Lösungen von anderen großen Anbietern, die alle sehr viel Geld kosten. Das Kartenmaterial, das dort genutzt wird, ist wahnsinnig teuer. Außerdem wird es immer nur dann aktualisiert, wenn es sich für das Unternehmen lohnt, sie zu aktualisieren. Zwei Probleme, die Openstreetmap dadurch angeht, dass sie jedermann mitmachen lassen. Sie können, wenn Sie ein Handy haben, können sie mitarbeiten an der Erstellung dieses Kartenmaterials. Und das ist mittlerweile ein extrem erfolgreiches Projekt, in Deutschland fast flächendeckend, soweit ich weiß. Viele Navigationssysteme nutzen diese freien Daten mittlerweile, aber auch hier wieder überlegen Sie sich, welche Chance das bedeutet für Orte und Regionen in dieser Welt, in denen es sich einfach nicht lohnt, kommerziell Kartenmaterial zu erstellen. Als wir vor gar nicht so langer Zeit das große Erdbeben in Nepal hatten, haben sich innerhalb von 48 Stunden einige hundert Enthusiasten auf der ganzen Welt gefunden, die die noch existierenden Straßen und die Zerstörungen in Openstreetmap in Nepal dokumentiert haben. Enorm wichtig für die Rettungskräfte, die vor Ort wissen mussten: Welche Straßen sind noch befahrbar? Welche Regionen sind zerstört? Und das ist gemacht worden durch Hunderte von Aktivisten vor Ort, aber auch auf der ganzen Welt, die die Bereinigung der Daten übernommen haben. Was wir hier sehen, ist, dass die Erstellung von Wissen, das Sammeln, durch eine große Community möglich ist. Und Wikipedia und Openstreetmap sind die zwei großen Beispiele. Ich kenne aber noch ganz viele andere Beispiele aus Slums in Regionen der Dritten Welt, in denen Menschen mit einem Smartphone durch das Wohngebiet gehen und dokumentieren, in welchem Haus eine Glühbirne brennt. Das sagt nämlich, wo Strom vorhanden ist. Das ist enorm wichtig, wenn es darum geht, Kühlschränke aufzustellen, in denen in einer Region Impfmaterial, Impfstoffe gelagert werden sollen. Diese Information hat in vielen Orten dieser Welt niemand. Und Communities, Menschen, die sich dafür begeistern können, können diese Daten sammeln.
Pharmazeutische Medizintests, das spielt eine enorme Rolle bei der Entwicklung neuer Medikamente. Und was wir hier festgestellt haben, ist, dass ein Großteil der anfallenden Daten tatsächlich veröffentlicht wird und veröffentlicht werden muss, das ist meist Vorschrift bei den Regulierungsbehörden, dass diese Daten aber kaum zugänglich sind. Sie sind entweder in einem technisch nicht nutzbaren PDF-Format vorhanden oder sie landen auf irgendwelchen Servern, auf denen sie niemand findet. Das ist von zentraler Bedeutung. Beim großen Ebola-Ausbruch vor einigen Jahren haben wir das gemerkt und das erste Mal auch nutzen können, dass wir zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort Adhoc-Informationen zur Verfügung stellen konnten, die wir gesammelt haben, auch wieder unterstützt von Aktivistinnen und Aktivisten in der ganzen Welt, dass wir Daten über aktuell laufende pharmazeutische Tests zu Ebola-Medikamenten zur Verfügung stellen konnten und damit eine Form von Transparenz hergestellt haben. Denn manchmal, sie können ja auch Informationen begraben unter zu viel Information, und das ist das, was unserer Meinung nach im Bereich der pharmazeutischen Tests passiert, was dazu führt, dass eine kleine, vor Ort agierende Organisation gar nicht die Ressourcen hat, Zugriff auf diese Informationen zu finden. Und da bietet Open Knowledge International zusammen mit einem führenden Pharmazie-Kritiker aus England, Ben Goldacre, eine Lösung an, eine Plattform, in der diese Daten gefunden werden können und die auch wiederum einen Rückkanal hat. Wenn also Fehler gefunden werden, ist es ganz einfach, diese Fehler zu melden. Und man kann selber, jeder kann dazu beitragen, dort Daten sichtbar und verfügbar zu machen.