Deutsche Manager pilgern ins Silicon Valley, um zu lernen, warum dort Innovationen am laufenden Band entstehen. Doch zuhause bremst eine verkrustete Unternehmenskultur dann immer wieder Neuerungen aus. Muss das so sein? Thomas Sattelberger, Vorsitzender der BDA/BDI-Initiative "MINT Zukunft schaffen", nennt Beispiele, wie Unternehmen kreative Ökologien schaffen können.
Wie schaffe ich eine Kultur, in der Menschen aus der Kultur heraus, innovative Ideen haben?
Das Organisationsdesign der großen Internetkonzerne: feudale Spitze, Finanzen und Strategie in den Händen weniger und ein sehr, fast quasi basisdemokratischer Bauch, wo die Menschen viel Souveränität haben, eigentlich ein Hybridmodell, und zum Zweiten, was deutlich zu beobachten ist, insbesondere bei den Unternehmen, die aus der Start-up-Phase heraus schon sozusagen als frischer Mittelstand heute existieren, dass die sehr stark mit Themen der Demokratie, der Einkommensegalisierung, der Souveränität experimentieren. Und das ist für mich so eine Art, ja, eine sich demokratisierende Unternehmung.
Im Rahmen dieses Systemwettbewerbs gibt es, glaube ich, verschiedene Herausforderungen. Die allererste ist: Können die Großkonzerne ihre Lebensfähigkeit ein bisschen erhöhen? Und das hat sehr stark mit dem Thema Dezentralisierung zu tun. Je dezentraler, je föderativer auch ein großes Unternehmen aufgestellt wird, umso elastischer im Umgang mit Krisen, aber auch umso innovativer im Sinne von: Wie gestalte ich meine Umwelt? Zweites Thema, zweite Herausforderung: der klassische Mittelstand. Gerade in der Nachfolgeproblematik zeigt sich ja oft, dass der alte Patriarch den alten Stiefel weitergeführt haben möchte und der Sohn oder die Tochter, die eigene Wege gehen wollen, sozusagen wieder aus der Verantwortung herauszieht. Also: Gelingt es in mittelständischen, traditionellen Unternehmungen den Nachfolgeprozess organischer zu gestalten? Und das dritte Thema, bei dem Thema Start-ups hat eindeutig mit dem Thema Wagniskapitalfinanzierung zu tun, die in den USA, je zerstörerischer die Geschäftsidee, umso mehr Wagniskapital, also eigentlich schon eine ganz verrückte Form des Treibens von Finanzierung, auf der anderen Seite in Deutschland ja doch oft ganz magere capital funds oder venture funds für das Thema Innovation.
Auf der anderen Seite sehen Sie, dass ein ungeheuerer Reichtum in den Händen von ganz wenigen Silicon-Valley-Plutokraten sich ansammelt, und dass die zum Teil auf sehr aberwitzige Ideen kommen, wie beispielsweise einen eigenen Staat zu gründen oder exterrestrische Inseln zu bauen, auf denen sie das Sagen haben. Oder Kalifornien zu sechsteilen, damit der Staat Silicon Valley nach ihren Regeln geformt werden kann. Also, das finde ich schon sehr abstruse Themen, wo eigentlich Plutokraten sich anmaßen, über das Volk zu entscheiden.
Die Spannung kommt weniger wegen dem Thema Shareholder Value, sondern die Spannung kommt eigentlich von der mangelnden Innovationsdynamik von Branchen und Firmen, wo man im Grunde sieht, dass dieses "mehr, höher, schneller, weiter" im traditionellen Geschäftssystem sozusagen nur noch möglich ist, indem man den Input signifikant reduziert, also Effizienz steigert und eigentlich die Margen immer geringer werden. Dieser Druck, den man auch als Innovationsarmut bezeichnen kann, ist ein aus meiner Sicht Treiber für Veränderung und Treiber dafür, dass Vorstandsvorsitzende jetzt in Hülle und Fülle Silicon-Valley-Tourismus machen, um überhaupt ein Gefühl zu kriegen, was dort anders ist. Und leider kommen sie oft zurück, nur mit guten Ideen im Kopf und vergessen, dass die Transformationsaufgabe in der Kultur ihrer Unternehmen die Schlüsselaufgabe wäre. Sie geben das an Stäbe oder an Projektgruppen. Es wird im Grunde deutsch-ingenieurmäßig die Idee durchdekliniert. Und eigentlich muss man verstehen, dass das Silicon Valley ähnlich wie das Silicon Wadi zwischen Tel Aviv und Haifa oder die Region in Singapur, das sind kreative Ökologien. Das heißt, da ist ein kreativer Humus da, auf dem dann sozusagen Innovation, Produkte, Services entstehen. Und der deutsche Manager kommt zurück und denkt über Produkte und Service nach und nicht über die kreative Ökologie.
Schaffe ich eine Entscheidungskultur, und zwar nicht nur an der Spitze, sondern genauso bottom-up wie top-down, in der frühzeitig eine Sensorik sich entwickelt für das, was sich in Markt und Technologie tut, und wo kluge Menschen im Unternehmen oder außerhalb des Unternehmens über Open Innovation Lösungsideen, Lösungsprozesse generieren? Und das weit im Vorfeld einer Entscheidung! Die berühmte Frage von Royal Dutch Shell: What comes after oil? Die wurde lange vor der Erdölkrise gestellt. Die hat das Unternehmen Shell nicht vor Krisen bewahrt, aber wahrscheinlich vor einigen größeren Fehlentscheidungen.
Wenn man den i3 nimmt, wo der Reithofer von BMW sozusagen im alten Territorium einen abgegrenzten Bereich geschaffen hat mit eigenen Werksausweisen, wo der i3 entwickelt worden ist, das ist sicherlich eine Variante. Eine zweite Variante einer eigenen Ökologie ist, dass man sozusagen in der Gründerszene intensiver unterwegs ist und am langen Arm eine kreative Ökologie aufbaut, die sozusagen an der Peripherie der Organisation ist. Und der dritte Weg ist sicherlich zu sagen: Ich mache eine Zellteilung, wie das E.ON gerade probiert, leider sieben, acht Jahre zu spät. Oder: Zu spät weiß man nicht, aber sehr spät. Wo man sagt: Es gibt sozusagen einen Innovationsteil, den ich richtig separiere von meinen alten klassischen Energietechnologien.