Indra Spiecker gen. Döhmann: Gesetze für die digitale Welt

"Bisher hat vor allem die Technik uns sehr schöne Geschichten darüber erzählt, was alles möglich ist. Und jetzt sind dann vielleicht eben auch Politik, Gesellschaft, Recht dran, bestimmte Pflöcke einzuschlagen."

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Indra Spiecker gen. Döhmann: Gesetze für die digitale Welt (Video)
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Ohne Datenschutz keine Freiheit? Bei der Digitalisierung dürfe man nicht alles den Unternehmen überlassen, warnt Indra Spiecker gen. Döhmann, Professorin für Informationsrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Denn die Konzerne können mit ihren neuen Technologien Standards setzen, die vielleicht gesellschaftlich gar nicht so gewollt sind. Das Recht ist gefragt, Pflöcke für die IT-Branche einzuschlagen. Ist Deutschland mit seiner Regulierung zu lax?
 

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Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
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Das Interview entstand am Rande des Forschungsgipfels 2016.

Transkript des Videos

Wäre es problematisch, wenn wir nichts dagegen tun, gegen die Entwicklungen der Übergriffigkeit auf Daten? Da kann ich nur sagen: Ja! 

Wir leben alle in dem Bewusstsein, dass wir Entwicklungspotenzial haben in der Persönlichkeit, und das hängt ganz wesentlich davon ab, dass wir das Gefühl haben, wie selbst sein zu können. Und nicht permanent gemessen, beurteilt, standardisiert und entsprechend eingeordnet zu werden. Wir leben, und das ist sicherlich eine der Tugenden der westlichen Gesellschaften, in einer individualisierten Welt, in dem wir dem Einzelnen in seiner Subjektsqualität ganz großes Gewicht beimessen und sagen: Du darfst sein, wie du möchtest. Was wir durch die Digitalisierung sehen, ist, wie schnell wir manipulierbar sind, wenn man über uns bestimmte Dinge weiß. Und deswegen ist ein gewisses Ausmaß an Nichtwissen auch über einen selbst ganz gut, damit man man selbst sein kann. Das klingt jetzt etwas apodiktisch und widersprüchlich, ist aber eine der ganz, aus meiner Sicht zentralen Grundlagen unserer Gesellschaft und auch unseres rechtstaatlichen Verständnisses. 

Wenn man sich die gesamtgesellschaftliche Tendenz anschaut, dann stellt man fest, dass die großen Freiheiten des gemeinschaftlichen sich Äußerns relativ wenig genutzt werden. Die großen Diskussionen, die wir hatten in den 80er-Jahren über NATO-Doppelbeschluss etc., die haben eigentlich nur noch bei Stuttgart21 ein Pendant gefunden. Und das ist eine ganz interessante Entwicklung. Warum sage ich das in Bezug auf IKT? Es liegt so nahe, sich in so eine leicht biedermeierliche Haltung zurückfallen zu lassen und zu sagen: Das macht die Politik schon! Das werden schon andere regeln, ich verstehe nichts davon. Und da wir tatsächlich ja als Individuum oftmals von der Technik so wenig verstehen, ist das so eine sehr schnelle und einfache und auch sehr nachvollziehbare Haltung, die man da einnimmt. Das Entscheidende ist aber wie bei ganz vielen Dingen auch: Wir leben in einer Marktwirtschaft. Und das heißt, es werden die Produkte hergestellt, die wir wollen. Und das ist eine der ganz entscheidenden Schnittstellen. Frage ich nach Datenschutz? Gehe ich zu einem Unternehmen hin und sage nicht nur: Ich möchte das und das haben. Ich möchte ein Auto kaufen. Sondern frage ich den Verkäufer auch: Wie sieht das eigentlich aus? Welche Daten gehen ans Werk, welche Daten gehen an Sie? Das heißt noch gar nicht, dass ich sage, ich kaufe sein Auto nicht, wenn bestimmte Regelungen eben so oder so ausgestaltet sind. Aber es bedeutet einfach: Auf einmal muss ich mich als Autohersteller damit befassen, dass Kunden nachfragen, dass Kunden wissen wollen. Und das verändert automatisch das Bewusstsein auch der Hersteller für die Gestaltung ihres Produkts. Und das sind Dinge, die wir alle tun können. Und deswegen wäre das Schlimmste, was wir tun können, die Diskussion einfach überlassen, denn die wird dann von denjenigen geführt, die ein Interesse haben, möglichst viel Daten, möglichst viel Zugriff, möglichst wenig Beschränkung zu haben. Und da ist der Einzelne ganz zwangsläufig immer schwächer, weil er weniger weiß und weil er ein Stückweit sich auch viel weniger wehren kann.

Das ist immer ein Wechselspiel, also Recht, Gesellschaft, Politik wirken auch immer auf Technologie ein. Das heißt, Technologie reagiert sehr schnell darauf, wenn eine Diskussion in der Gesellschaft oder in der Politik beginnt, und das kann man wunderbar sehen. Verschlüsselungstechnologien haben, seit die Diskussion darüber losgegangen ist, dass möglicherweise Verschlüsselung verboten werden soll, einen unglaublichen Hype erfahren. Und dass jetzt eben ein Unternehmen wie WhatsApp eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorschlägt und auch durchsetzt, wird mit Sicherheit diesem Gebiet auch nochmal eben eine enorme Wirksamkeit verleihen. Und insofern ist es ein Wechselspiel, und das können natürlich beide Seiten für sich nutzen. Und ich würde behaupten, bisher hat vor allem die Technik das benutzt und hat uns sehr schöne Geschichten darüber erzählt, was alles möglich ist. Und jetzt sind vielleicht dann eben auch Politik, Gesellschaft, Recht dran, ihre Seite eben zu beleuchten und auch bestimmte Pflöcke einzuschlagen. Was kann man da jetzt tun? Das heißt, man muss sich überhaupt dem Thema stellen und auch mit einem gewissen Nachdruck. Das ist in der Politik nicht immer der Fall. Digitalisierung ist manchmal immer noch ein unterbelichtetes Thema. Wir haben auch andere drängende Fragen, gar kein Thema, aber trotzdem ist es etwas, was unsere Gesellschaft vermutlich so verändern wird wie wenig anderes. Nicht umsonst spricht man davon, dass es die fünfte große Revolution nach der vierten, der industriellen Revolution ist und sein wird. Und dann kommt man nicht umhin, dass man regulieren muss ein Stückweit, dass man sich über die Nebenwirkungen Gedanken machen muss und dass man auf vielfältigsten Ebenen da einwirken muss.

Und damit meine ich nicht nur Datenschutz, sondern damit meine ich auch Betriebsgeheimnisschutz, Wirtschaftsgeheimnisschutz, der doch eine ganz, ganz zentrale Rolle spielt für Unternehmen, die ihr Geld nicht mehr damit verdienen, dass sie etwas herstellen, sondern dass sie etwas erdenken. Und dass diese denkerische Leistung geschützt wird, dass diese nicht auf einmal über die Effekte der Digitalisierung, womöglich über Vernetzung, über Zugangsmöglichkeiten, über Zugriffe Dritten dann zugänglich gemacht wird, das ist sicherlich eines der großen Anliegen.

IKT ist eine globale Erscheinung, also man kann IKT nicht mehr national denken im Kern. Was man tun kann, ist, das regional im größeren Sinne denken. Das heißt einfach, der europäische Markt ist ein großer Markt, auch ein wichtiger Markt, weil hier IKT-Leistungen in erheblicher Weise nachgefragt, aber auch produziert werden und auch produziert werden können. Und das bedeutet, dass der europäische Markt auch darüber nachdenken kann, inwieweit er Marktbedingungen auch für ausländische Anbieter setzt und damit auch internationale Standards setzt. Denn man wird nicht umherkönnen, sich an europäischem Recht zu orientieren, wenn das europäische Recht das auch entsprechend durchsetzt. Und das hat man wunderbarerweise jetzt sehen können, der EuGH hat vor einiger Zeit zwei große Entscheidungen getroffen. Das eine war die zum Safe-Harbor-Abkommen, nämlich zur Frage: Wann dürfen Daten unter welchen Bestimmungen in die USA transportiert und dort weiterverarbeitet werden? Die zweite war die sogenannte Google-Spain-Entscheidung. Da ging es darum, welche Inhalte in einer Suchmaschine angezeigt werden können und welche dort eben gelöscht werden müssen, wohlgemerkt nur in der Suchmaschineanzeige, nicht die Originalfundstelle. Und in beiden Situationen waren Adressaten in massiver Weise amerikanische Unternehmen, die Marktführer in ihren Bereichen sind, die davon erheblich eben betroffen sind. Und das hat eine unglaubliche Nachfrage nach europäischen Rechtskenntnissen ausgelöst, weil man natürlich weiß: Man kommt nicht daran vorbei, sich dann auch den europäischen Rechtsstandards in gewisser Weise eben auch anzudienen und die auch zu beachten. Und das ist dann gleichzeitig auch das, da muss die Politik dann auch aufpassen, dass sie nicht wegverhandelt, was das Recht schon so schön vorbereitet hat. 

Ist Deutschland zu lax, ist eine Frage, die Amerikaner sofort mit Hohngelächter wahrscheinlich beantworten würden. Wenn man etwas genauer hinschaut, stellt man fest: Deutschland ist vielleicht in manchen Bereichen strikt, in anderen Bereichen dafür aber auch nicht. Und eine der Gründe dafür ist sicherlich das föderale System, wo Aufsichtsbehörden verteilt agieren und damit auch unterschiedliche Maßstäbe teilweise ansetzen und damit der eine eben auch massiver wird als der andere. Zweites Problem ist, dass die Aufsichtsbehörden erheblich unterfinanziert werden, also in vielen Fällen gar nicht tätig werden können. Und das führt natürlich immer ein Stückweit zu rechtsfreien Räumen, die, wenn man rechtstreu sein will, auch Rechtsunsicherheit bedeuten, also sehr ungünstig sind. Wir haben in Deutschland eine große rechtsstaatliche Tradition, und wir haben auch eine große Rechtsbefolgungstradition. Auch das ist in anderen Staaten eben oftmals sehr anders. Insofern fiele es mir schwer zu sagen, Deutschland wäre besonders lax. Was man sagen kann, ist, dass Deutschland, und das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für die meisten europäischen Staaten und in gewisser Weise auch für die amerikanische Gesetzgebung, dass Deutschland sicherlich verschlafen hat, die Digitalisierung, die Entwicklung der IKT frühzeitig zu begreifen und auch zu begleiten. Und deswegen ist man jetzt faktisch dabei, Dinge nachzuholen, die man wunderbarerweise vor zehn Jahren hätte begleiten können. Und man wird jetzt natürlich überrollt von Entwicklungen, die an allen Fronten aufblühen. Also, wenn man daran denkt, dass wir über selbstfahrende Autos nachdenken, das ist eine Sache, die unsere Infrastruktur massiv verändern wird, die Mobilitätskonzepte auf den Prüfstand stellt, bis hin eben in die Industrie. Wir haben im Gesundheitswesen den Einsatz von Pflegerobotik und Prothetikrobotik, die auf einmal dazu führt, dass wir völlig neue Therapie- und Diagnoseformen haben. Die Fitness-App, die jeder ums Handgelenk schnürt, schafft eine Unmenge an Auskunftsmöglichkeiten über Gesundheitsverhalten. Wie gehen wir eigentlich damit um? Was sind unsere Standards dafür, welches Verhalten wir zum Maßstab für Entscheidungen von Versicherungen, von Politik, von Polizei machen wollen? Soll jedes abweichende Verhalten eigentlich auf einmal registriert werden und dann auch staatliche Maßnahmen ausüben können? Wie sieht das auf privater Seite aus? Also, dürfen Versicherungsunternehmen auf bestimmte Daten zugreifen? Dürfen die verlangen, dass jemand eben eine solche Fitness-App trägt und solche Sachen? Dem müssen wir uns stellen, und dazu müssen wir Antworten finden.