Studienpioniere: So gelingt der Bildungsaufstieg!

"Wir brauchen Bildungsgerechtigkeit. Es sollte das Talent eines jungen Menschen darüber bestimmen, was er in der Zukunft machen kann."

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Studienpioniere: So gelingt der Bildungsaufstieg (Video)
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Arbeiterkinder haben es immer noch schwer, in den akademischen Bereich vorzudringen. Laut Hochschul-Bildungs-Report gehen nur 21 von 100 Nichtakademikerkindern an die Hochschule - haben die Eltern studiert, sind es 74. Das Programm Studienpioniere von Stifterverband und Stiftung Mercator hat Fachhochschulen gefördert, um neue Konzepte zu erproben, wie mehr junge Menschen ohne akademischen Hintergrund ein Studium aufnehmen und erfolgreich absolvieren können. Eine Bilanz.

Mit Statements von:

  • Bernd Kriegesmann, Präsident der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen
  • Friederike Menz, Projektleiterin Studienpioniere an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe
  • Amal Abdirahman, Talentscout, Technische Hochschule Köln
  • Suat Yilmaz, Westfälische Hochschule, erster Talentscout an einer deutschen Hochschule
  • Jens Huthmacher, Informatiker und Studienpionier an der Westfälischen Hochschule
  • Bettina Jorzik, Leiterin des Programmbereichs "Lehre und akademischer Nachwuchs", Stifterverband
  • Ulrich Heublein, stellvertretender Leiter der Abteilung "Bildungsverläufe und Beschäftigung", Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung

 

Jede Woche neu beim Stifterverband: 
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik

Autor: Timur Diehn
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes

 

Transkript des Videos

(Bernd Kriegesmann)
Wir wissen seit Jahrzehnten, dass wir eine soziale Selektivität im Bildungssystem haben. Seit Jahrzehnten gibt es neue Studien, die das immer wieder belegen. Was soll das? Anfangen! Machen!

(Friederike Menz)
Wir brauchen Bildungsgerechtigkeit. Es sollte das Talent eines jungen Menschen darüber bestimmen, was er in der Zukunft machen kann. Und solange das in Deutschland noch nicht gegeben ist, finde ich es unglaublich wichtig, dass es Projekte wie die Studienpioniere gibt.

(Amal Abdirahman)
Die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund haben es, glaube ich, noch schwieriger, weil sie aus einem Elternhaus stammen, wie ich zum Beispiel, die mit Eltern aufwachsen, die das deutsche Bildungssystem einfach nicht verstanden haben.

(Suat Yilmaz)
Talentförderung für junge Menschen aus nichtakademischen Familien ist ja eine Form von Habitustransformation. Die dauert lange. Also, der Prozess ist nicht mit einer Beratung, mit einer Konferenz oder mit einem Flyer oder einer Homepage getan, sondern durch die Begleitung der jungen Menschen ergeben sich eben Arenen, wo man in die Habitusstruktur dieses jungen Menschen auch interveniert. Und dazu gehört tatsächlich: Wie spreche ich? Wie trete ich auf? Und auch das Emotionale. Zu sagen: Ich habe das Selbstbewusstsein, vor so vielen Menschen zu sprechen. Oder ich habe das Selbstbewusstsein, einen Professor anzusprechen.

(Jens Huthmacher)
Wie kommst du mit dem ganzen Stoff erstmal klar? Weil man konnte die Professoren so am Anfang nicht fragen. Meine Eltern konnte ich fachlich jetzt auch nicht fragen. Dann ging es halt darüber, dass man halt irgendwie Bücher sich zusammensuchen musste. Und dann war das so die erste Schwierigkeit, sag ich mal, wie man überhaupt in das Lernen, mit dem Niveau, mit dem Stoff überhaupt einsteigen konnte.

(Bettina Jorzik)
Wir haben dann ein wettbewerbliches Programm ausgeschrieben. 61 Hochschulen haben sich beworben. Und in einem zweistufigen Auswahlverfahren haben wir dann eben zehn Preisträger ausgewählt.

(Friederike Menz)
Ich war ganz viel in der Region unterwegs, in Schulen, in Verbänden, auf Familienfesten, in Moscheen, um einfach erstmal zu erzählen: Was ist ein Studium? Was für Qualifikationen musst du mitbringen, damit du gut studieren kannst? Wie funktioniert das alles mit dem Bewerbungsprozess, mit den Finanzen? Weil häufig ist es ja so: Wenn die Eltern selbst nicht studiert haben und möchten ihre Kinder unterstützen, können aber vielleicht diese Informationen nicht liefern. Und gerade die Frage nach der Finanzierung ist da eine ganz existenzielle.

(Bettina Jorzik)
Wir wollten, dass diese Studienpioniere von Anfang an eine Sicherheit haben, dass wenn sie nicht scheitern im Studium oder sehr stark in ihren Leistungen nachlassen, dass sie während ihres ganzen Studiums gefördert werden und eine sichere Perspektive haben.

(Amal Abdirahman)
Es ist eine Mischung aus pushen, motivieren, coachen und auch vermitteln, das Netzwerk einfach bieten. Ich biete Informationen an, ein Netzwerk, sei es die IHK, die HWK oder das Projekt "Talentscouting" generell ist an 17 Hochschulen tätig, in ganz Nordrhein-Westfalen. Und dort habe ich auch meine ganzen Netzwerke und kann sie jederzeit vermitteln.

(Suat Yilmaz)
Wir haben die Schulen, unsere Zulieferer, versucht zu verstehen. Wir sind monatelang, wochenlang in die Schulen gegangen und haben erstmal ganz viele Gespräche mit den Lehrerinnen und Lehrern geführt. Und dann ist es natürlich wichtig, aus der Perspektive der Individuen, der jungen Menschen zu denken.

(Amal Abdirahman)
Was ist denn BaFöG? Habe ich noch nie gehört! Wie kann ich mich denn dafür bewerben oder anmelden? Und dann geht man gemeinsam die Formulare durch. Also, man nimmt den Schülerinnen und Schülern die Angst und die Hürden, ein Studium anzustreben oder anzufangen. Man gibt ihnen einfach ... man vermittelt ihnen einfach das Gefühl: Hey, du kannst es auch schaffen! Es ist ganz einfach. Ich bin dafür da, um es dir zu erleichtern und um es dir zu ermöglichen.

(Jens Huthmacher)
Es war nie so, dass ich von Kind auf, sag ich mal, den Wunsch hatte: Ich möchte Informatik studieren. Sondern ich hatte meine Realschule gemacht. Dann bin ich aufs Berufskolleg gegangen. Am Ende vom Berufskolleg hatte ich dann halt ein Gespräch mit Herrn Yilmaz. Und da kam so das erste Mal der Impuls Hochschule. Da wurde mir das so dargelegt, auch so ein bisschen getriggert in mir selbst, dass das eine Möglichkeit ist und dass das ein Ziel ist.

(Amal Abdirahman)
Dann geht es in den Beratungsgesprächen einfach so um die Reflexion. Was möchte ich? Was sind meine Ziele? Was sind meine Stärken? Und, ich glaube, die Zielgruppe setzt sich selber kaum mit sich selbst auseinander. Man fragt sich selber kaum die Frage zuhause: Okay, was bin ich eigentlich und wohin möchte ich?

(Ulrich Heublein)
Hier warten auf die Bildungsaufsteiger Stolpersteine. Das sind solche Stolpersteine wie die Wahl der falschen Schule, der falschen schulischen Zugangswege, betrifft aber auch einen zögerlichen Studienübergang, etwa dass man erst eine Berufsausbildung macht. Dies ist häufig kontraproduktiv, weil durch die Berufsausbildung und auch diese zwei, drei Jahre Ausbildung wichtige Grundlagen, Wissen und Fähigkeiten, die in der Schule vermittelt wurden, latent nicht mehr vorhanden sind. Gilt vor allem für die MINT-Studiengänge und die Wirtschaftswissenschaften.

(Jens Huthmacher)
Es war nicht so, dass ich aus dem Gespräch rauskam und: Ja, du gehst studieren! Also, es würde halt so ein bisschen die Tür geöffnet. Hochschule ist da, du kannst studieren. Daraus entwickelte sich ein Ziel, und damit wurde ich auch immer motivierter. Also, meine Noten waren damals nicht sonderlich, sag ich mal, dass ich damit studieren gehen hätte können. Also musste ich da was ändern. Aber dadurch, dass ich das Ziel, sag ich mal, Hochschule/Informatikstudium entwickelt hatte, hatte ich dann einen Weg, wo ich hinlaufen kann.

(Ulrich Heublein)
Wir brauchen eine bessere Passung zwischen Schule und Hochschulsystem. Das, was sich dort im Moment ergibt, dass wir eine ungenügende Übereinstimmung in der fachlichen Vorbereitung haben, dass Hochschulen etwas anderes verlangen als Schulen vermitteln, das ist ein Zustand, da sind Schüler bzw. Studienbewerber nicht schuld daran. Es wird aber auf ihren Rücken ausgetragen.

(Bernd Kriegesmann)
Wir müssen auch nochmal unsere Curricula zum Beispiel anschauen. Sind die so gängig? Wir müssen uns permanent überprüfen, ob unsere Didaktik noch passt zu den jungen Menschen, die heute zu uns kommen. Aber es gibt natürlich auch Themen, die wir nicht beeinflussen können an der Stelle, und da gehören beispielsweise Themen dazu, dass wir immer mehr abgefordert bekommen, auch bestimmte Aufgaben zu übernehmen, junge Menschen überhaupt erst zu einer Studierfähigkeit in der Hochschule zu entwickeln. Und da muss man akzeptieren, dass mehr Aufwand, letzten Endes immer leicht zu sagen, letzten Endes auch eine andere Finanzierung braucht.

(Bettina Jorzik)
Diese 130.000 Euro haben eben dafür gereicht, an jeder Hochschule 18 Stipendiaten über einen Zeitraum von vier Jahren zu fördern. Und die anderen 170.000 Euro sollten halt für strukturelle Maßnahmen der Hochschule verwendet werden, also beispielsweise für Mentoren- oder Tutorenprogramme, für zusätzliche Angebote in akademischen Schlüsselqualifikationen.

(Suat Yilmaz)
Ob man mit mehr Geld das System tatsächlich verändern kann? Ja, ich glaube, ja, ein Stückweit ja. Aber es sind auch die Köpfe. Also, wen sehe ich denn, wenn ich an die Hochschule gehe? Das heißt: Ist das System auch für mich so sichtbar, dass ich mich identifizieren kann? Wer macht denn die Studienberatung? Wer macht denn die Beratung im International Office? Und für viele junge Menschen ist das System schon ein bisschen weiter entfernt, wenn ich das mal so sagen darf, weil man auch sich selber auch nicht wiederfindet. Wir haben junge Menschen, die bei uns mit Auszeichnung ihr Studium absolvieren, aber länger brauchen, um in den Job zu kommen oder ein Pflichtpraktikum zu ergattern, weil sie Yilmaz oder Öztürk heißen. Das wissen wir. Das erleben wir tagtäglich. Dazu gibt es auch Studien. Und das ist ein Thema, was nicht nur ein rein hochschulpolitisches Thema ist. Nochmals: Habitustransformationen brauchen Jahre. Jahre! Nicht zwei Jahre, nicht drei Jahre, also, weiß ich nicht, fünf, sechs, sieben, acht Jahre. Und so müssen wir auch unsere Programme und Projekte denken.

(Ulrich Heublein)
Es kann jetzt so sein, dass der eine oder andere sagt: 200 Geförderte, das ist doch nichts! Dies wäre ein falsches Signal und auch ein falsches Verständnis, weil jeder, der gefördert wurde, ist ein Beispiel für andere. Er kann erlebt werden in dem sozialen Raum, an der Hochschule. Er nimmt Leute mit. Solche Vorbilder sind notwendiger denn je. Zu sehen, erlebbar zu machen: Wie kann es gehen? Wie kann man es schaffen?