innovative Biomaterialien ersetzen
fossile Kunststoffe
Nominiert für den Deutschen Zukunftspreis 2025
Kunststoffe sind wie ein ewiger Gast: willkommen und eine Bereicherung – aber schwierig, wenn er nie wieder geht. Ähnlich ambivalent ist unser Verhältnis zu den Kunststoffen: Wir umgeben uns ständig mit ihnen, nutzen ihre praktischen Eigenschaften, aber betrachten gleichzeitig mit Sorge, wie unser Planet in einer Flut von Plastik versinkt. Sich dieser Flut entgegenzustellen, das ist die Herausforderung, die Dr.-Ing. Anne Lamp, Sina Spingler, Niklas Rambow und das Team von traceless materials® angenommen haben. Das Scale-up aus Hamburg stellt innovative Biomaterialien her, die Kunststoffe und Biokunststoffe mit ihren praktischen Vorzügen ersetzen können, aber nicht auf Ewigkeiten die Umwelt verschmutzen, sondern auf natürlichem Wege wieder verschwinden – und zwar spurlos, also traceless®. der Lentikelextraktion und die dafür erforderliche hochpräzise Technologie entwickelt und damit die Augenlaserchirurgie revolutioniert.
Um zu verstehen, warum das gar nicht so trivial ist, müssen wir in die Zeit zurückschauen, als das Leben auf unserem Planeten begann. Denn seit es Leben auf der Erde gibt, hat die Natur ein perfektes Recyclingsystem erschaffen. Sie baut aus Kohlenstoffatomen komplexe Moleküle zusammen, hängt viele dieser Moleküle zu organischen Polymeren aneinander, und so entstehen Strukturen für lebendige Pflanzen und Tiere. Sterben sie, lösen Mikroorganismen diese organischen Strukturen wieder auf. Der in Pflanze und Tier verbaute Kohlenstoff gelangt in Form von Kohlendioxid in die Luft der Atmosphäre. Von dort nehmen Pflanzen ihn wieder auf, bauen ihn wieder zu organischen Molekülen und Polymeren zusammen und der Kreislauf beginnt von vorne.
Warum dieses System über Jahrmilliarden funktioniert, ist kein Geheimnis: Die Natur baut aus dem Kohlenstoff nur solche Moleküle zusammen, die sie mit Hilfe von Mikroorganismen auch wieder auseinandernehmen kann. Das ist perfektes Recycling.
- Dr.-Ing. Anne Lamp, traceless materials GmbH
(Sprecherin des Teams) - Sina Spingler, traceless materials GmbH
- Niklas Rambow, traceless materials GmbH
Der Mensch hat Wege gefunden, aus Kohlenstoffatomen völlig neuartige Moleküle zusammenzubauen und diese Moleküle zu langen Polymeren zu verketten. So entstehen Strukturen, die die Natur nie zuvor gesehen hat. Diese künstlichen Strukturen oder Polymere nennen wir Kunststoffe. Und diese haben viele Vorteile, aber auch ein Problem: Denn an Kunststoffen beißen sich die Mikroorganismen im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne aus. Die Natur findet keinen Weg, sie zu zerlegen.
So kann eine achtlos ins Meer geworfene Plastiktüte prinzipiell Äonen überdauern. Zwar zerfällt sie nach langer Zeit möglicherweise so, dass wir sie nicht mehr sehen können, doch auch dann ist sie noch als Mikroplastik vorhanden, das eine enorme Umwelt- und Gesundheitsbelastung darstellt.
Die Idee von traceless® ist daher so einfach wie logisch: einen Plastik-Ersatz herzustellen, der biologisch abbaubar ist. Denn er soll nur aus Molekülen bestehen, die auch die Natur verwendet. Die Natur kann Moleküle und Polymere bauen, mit denen stabile und widerstandsfähige Strukturen erzeugt werden können. Es sind Verbindungen wie Zellulose, Proteine, Stärke oder auch Zucker. All diese Verbindungen finden sich in unterschiedlicher Zusammensetzung in verschiedenen Pflanzen.
Das Team hat durch viele Tests und Verfahren die geeigneten Pflanzen und einen Weg gefunden, die nutzbaren Verbindungen und Polymere aus den Pflanzen zu isolieren. Reste aus der Getreideverarbeitung bieten sich dabei als Polymerspender an. Mit Hilfe spezieller und exakt abgestimmter natürlicher Lösungsmittel werden die für das Biomaterial wertvollen Polymere und Verbindungen aus den Pflanzenresten extrahiert. Nachdem das Lösungsmittel wieder entzogen wurde, folgt Schritt zwei: Die aus den Pflanzenresten herausgelösten Verbindungen und Polymere werden durch physikalische Prozesse so bearbeitet, dass ein thermoplastisches Polymer entsteht, das zu einem Granulat verarbeitet werden kann. Thermoplastisch ist das Granulat, weil man es unter Hitze beliebig formen kann – so wird es ein standardisiertes Ausgangsprodukt der Kunststoffindustrie. Wichtig dabei: Bei der Herstellung des Granulats gab es keine einzige chemische Reaktion. Kein Molekül, kein Polymer, keine Verbindung wurde chemisch verändert. Das Granulat besteht nur aus dem, was die Natur zusammengebaut hat.
Und genau das macht den bedeutenden Unterschied zu bekannten Biokunststoffen aus. Bei Biokunststoffen werden zwar oft auch Pflanzenbestandteile wie z.B. Zucker als Ausgangsbasis verwendet. Diese werden dann jedoch wie bei herkömmlichen Kunststoffen durch chemische Reaktionen zu künstlichen langen Ketten geformt, welche die Natur nicht kennt und sie somit auch nicht wieder beseitigen kann. Ein wichtiger Teil der traceless® Innovation ist daher, bewusst keine künstlichen Ketten und keine chemische Veränderung des Ausgangsmaterials zuzulassen, um hundertprozentige biologische Abbaubarkeit garantieren zu können. Genau wie herkömmliche Kunststoffgranulate kann nun auch das Granulat von traceless® eingesetzt werden und viele Dinge des täglichen Lebens produzieren. Kunststoffteile entstehen oft im Spritzgussverfahren. Dazu wird ein Kunststoffgranulat so erhitzt, dass es weich und formbar wird und sodann in eine beliebige Form gespritzt werden kann, die dann fest, glatt und widerstandsfähig ist.
Was für die Industrie ein riesiges Plus ist: Das von Anne Lamp und ihrem Team entwickelte thermoplastische Polymer-Granulat kann in den vorhandenen Fertigungsanlagen der Kunststoffindustrie einfach weiterverwendet werden. Es muss keine neue Maschine angeschafft werden, sondern die bestehenden Prozesse werden mit dem natürlichen Granulat fortgeführt: ein großer Vorteil für einen Umstieg vom herkömmlichen Kunststoff. Ein weiterer Vorteil: Das innovative Granulat muss nicht ganz so stark erhitzt werden. Die verarbeitende Industrie kommt also mit einem geringeren Energieeinsatz aus.
Einschränkungen gibt es zwar, denn ein Produkt, das unter bestimmten Bedingungen verrottet, ist nicht für jeden Einsatz brauchbar. Kommt das traceless® Biomaterial längere Zeit mit Wasser und Wärme in Berührung, fängt es an sich zu zersetzen. Getränkeflaschen und Funktionskleidung sind daher keine idealen Anwendungsgebiete, aber für Produkte mit nur kurzer Einsatz- und Lebenszeit – wie der Eislöffel und die Pommesgabel – ist es prädestiniert und öffnet viele weitere Möglichkeiten.
Der immer größer werdende Onlinehandel ist schon heute ein wichtiger Abnehmer des traceless® Materials. Beschichtetes Papier als Verpackungsmaterial im Onlineversand, welches über kurze Einsatzzeit Schutz vor Feuchtigkeit bieten kann, wird in riesigen Mengen benötigt. Hier bedeutet eine biologisch abbaubare Beschichtung, dass das Verpackungsmaterial problemlos als Altpapier recycelt werden kann, ohne dass dabei Mikroplastik entsteht. Das Gleiche gilt für die vielen Millionen beschichteter Pappbecher und Einwegbestecke, die täglich nach einmaligem Gebrauch in den Mülleimer wandern. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, vergrößert traceless® die Kapazität mit zusätzlichen großen Produktionsanlagen.
Auch in Zukunft werden die meisten auf den Gebrauch von Kunststoffen mit kurzer Nutzdauer im Alltag nicht verzichten. Sei es aus hygienischen oder wirtschaftlichen Gründen oder weil es praktisch ist. Dank der drei Nominierten gibt es dafür aber nun eine Lösung, ganz ohne weiteren Müll für unseren Planeten. Ob Spritzguss, Folien oder Beschichtung: Schon heute gibt es vielfältige Anwendungen für das plastikfreie, klimafreundliche und heimkompostierbare Biomaterial – und stetig kommen neue dazu. So hat traceless® aus Hamburg das Potenzial, künftig einen Teil des globalen Abfalls einfach spurlos verschwinden zu lassen.
Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgeschlagen.