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Das Corona-Momentum für Bildung auch nach der Pandemie nutzen

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(Foto: istock/Christopher Futcher)
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Die Institution Schule galt lange Zeit als seltsam träges und zugleich äußerst sensibles Gebilde. Träge, weil es immer hieß, dass Veränderungen im System Schule aus diversen Gründen – von überbordender Bürokratie über kakofonischen Föderalismus bis hin zu fehlenden Mitteln und Stellen – sich nur schwer bis gar nicht umsetzen ließen. Sensibel deshalb, weil auf zu große Experimentierfreude in Didaktik, Pädagogik und Schulpolitik immer noch sehr skeptisch bis äußerst ablehnend reagiert wird. „Keine Experimente mit unseren Kindern!“ war und ist lange Zeit ein Credo der Ablehnung von neuen Ansätzen und Ideen im Bildungsbereich. Dabei ist es die ureigene Aufgabe von Bildungseinrichtungen, auf die stetige Veränderung in der Gesellschaft zu reagieren, indem man die lernenden Menschen auf ein neues oder verändertes Leben in der gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaft qualifizierend vorbereiten möchte. Experimente sollten daher eigentlich ein wichtiger und kontinuierlicher Bestandteil von Bildung und damit auch von Schule sein – sofern sich Schule dem Wandel in der Gesellschaft entsprechend sinnhaft anpassen und nicht entgegenstemmen möchte. Ich halte viel davon, gesellschaftliche Veränderungen zunächst in Bildungseinrichtungen als Lernerfahrungen zu simulieren, sie spielerisch zu erschließen, um dann später – unter realen Bedingungen – mit ihnen adäquat und selbstsicherer umgehen zu können. Simulation schafft Stimulation. Dazu gehören eben auch das Trial-and-Error-Prinzip, zahlreiche Gedankenexperimente und virtuelle sowie physikalische Simulationen der Wirklichkeit. 

Spätestens mit der Corona-Pandemie musste die Angst vor Digitalisierung und Experimenten von heute auf morgen überwunden werden. Was viele Jahrzehnte angeblich nicht ging, musste plötzlich über Nacht möglich gemacht und tatkräftig umgesetzt werden. Doch nicht nur der virologische Handlungsdruck allein hat am Ende doch viele Veränderungen möglich gemacht. Ohne all die engagierten Lehrkräfte, die unterstützenden Eltern, erfinderischen Schulleitungen, digitalen Bildungsinitiativen und Hackathons – und natürlich die Lernenden selbst – wäre der Corona-Digital-Hauruck in Deutschlands Schulen nicht in dieser Form so schnell realisiert worden. Das alles wäre so übrigens auch nicht möglich gewesen, wenn sich nicht bereits zuvor zahlreiche engagierte Bildungskräfte schon seit Anbeginn des Internets und den einhergehenden Möglichkeiten intensiv experimentell (!) damit beschäftigt und sich mit anderen darüber in Netzwerken ausgetauscht hätten. Die Vorbereitung der Digitalisierung mit der Corona-Brechstange erfolgte eben auch durch jahrelanges pionierartig praktiziertes digitales Mindset, was man mittlerweile nicht nur als kollaboratives, kreatives, kritisches und kommunikatives Handeln zusammenfassen würde, sondern als solches auch in den Fokus von digitaler Bildung an sich stellen möchte. Motiviert werden diese Extrameilen durch den enormen Purpose, also die Sinnhaftigkeit, die man in der Bildungsarbeit vorfindet. Die politischen Rahmenbedingungen sollten mindestens dafür sorgen, dass dieses Engagement nicht noch erschwert oder bestraft wird. Eigentlich ein trauriger Satz, denn eine Belohnung und Unterstützung wäre wesentlich angebrachter.

Die Corona-Pandemie hat „nur“ noch dazu geführt, dass alle Systembeteiligten sich gleichzeitig auf den großen bildungsdigitalen Triathlon begeben mussten. Ein Dreiklang aus enormer Anstrengung im Bereich Didaktik, Technik und Logistik, damit der Distanzunterricht – trotz digitaler Versäumnisse der Politik – Wirklichkeit werden konnte. Ich möchte ebenfalls deutlich festhalten, dass all das Engagement rund um das Thema „digitale Bildung“ der letzten Jahrzehnte alles andere als umsonst war. Gerade das unnachgiebige Wirken und Zusammenwirken der digitalen Bildungsbewegung war eine weitere wichtige Voraussetzung, dass sich gerade ein solch träger Apparat am Ende nicht nur schneller, sondern vor allem auch zielgerichteter bewegen konnte. 

Natürlich ist nicht alles perfekt gelaufen und trotz der freigesetzten Kraft der erzwungenen Entfesselung bleiben viele Themen von (digitaler) Bildung in unseren Institutionen immer noch unbearbeitet und viele Fragen unbeantwortet. Daher finde ich es immens wichtig, das bereits entwickelte Momentum durch Corona nun nicht einfach aus einer Erschöpfung oder dem Gefühl heraus, ein Ziel erreicht zu haben, wieder gänzlich aufzugeben. Ein Zurück zum pädagogisch wertvollen Präsenzunterricht darf nicht gleichbedeutend sein mit dem nächsten Dornröschenschlaf der Bildungspolitik in diesem Land. Natürlich ist Durchschnaufen notwendig, wir haben schließlich einen lebenslangen Marathon vor uns, aber nun ist es wirklich wichtig, dass sich Bildungsinstitutionen eng, vorausschauend und kontinuierlich an ihrem Vorbild orientieren und Veränderungen entsprechend umsetzen. Dieses Vorbild nennt sich: Gesellschaft. 
 

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Patrick Breitenbach (Illustration: Irene Sackmann)
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Die Vernetzung der Dinge

Die Vernetzung der Dinge heißt Patrick Breitenbachs regelmäßige Kolumne über Innovation, Digitalisierung und Wandel. Breitenbach ist derzeit Senior Manager Corporate Learning bei Bayernwerk und entwickelt dort Konzepte, Strategien und Formate zum Thema Lernen und unterstützt das Unternehmen im digitalen und nachhaltigen Wandel. Als gelernter Mediendesigner und langjähriger Podcaster beschäftigt er sich seit vielen Jahren autodidaktisch mit der soziologischen, ökonomischen, politischen, philosophischen, pädagogischen und kulturellen Perspektive der Digitalisierung.

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„Ein Zurück zum pädagogisch wertvollen Präsenzunterricht darf nicht gleichbedeutend sein mit dem nächsten Dornröschenschlaf der Bildungspolitik in diesem Land. “

Patrick Breitenbach
Patrick Breitenbach (Foto: AMX Design - Alex Stiebritz)
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Patrick Breitenbach
Corporate Learning Manager, Bayernwerk

Wenn sich die Gesellschaft massiv wandelt, müssten es laut eigenem Selbstverständnis und Bildungsauftrag eigentlich auch deren Bildungsträger tun. Diese tragen nicht nur Bildungsprozesse, sie sind zugleich maßgebliche Träger einer funktionierenden, offenen, zivilisierten und freien Gesellschaft. Große Teile der Wirtschaft haben sich längst für das „New Normal“ ausgesprochen – eine neue Normalität nach der Pandemie, die bewusst mit dem Alten bricht. Wenn das „New Normal“ allein schon in der Wirtschaft nicht nur gewünscht, sondern sogar konkret umgesetzt wird, so sollten sich Bildungseinrichtungen diesem Weg unbedingt anschließen. Die Wirtschaft vollzieht das „neue Normale“ nicht nur, weil sie der Ansicht ist, dass wir in Zukunft mögliche weitere Pandemien bewältigen können müssen, sondern weil sie sich ernsthaft auch die Frage stellt: Wie wollen wir eigentlich gemeinsam in Zukunft und unter sich stetig wandelnden Bedingungen arbeiten? Da ist es doch nur mehr als folgerichtig, wenn sich Bildungsinstitutionen nicht nur einmalig, sondern in Zukunft ebenfalls kontinuierlich fragen: Wie wollen wir eigentlich gemeinsam (!) in Zukunft und unter sich stetig wandelnden Bedingungen lernen? 

Entscheidend ist nämlich nicht die Frage nach Fern- oder Präsenzunterricht, sondern nach dem Wie. Wie passen wir uns immer wieder den neuen Gegebenheiten der Gegenwart und Zukunft besser an? Die Bevölkerung dieses Landes ist sich mittlerweile weitgehend einig darüber, dass tiefgreifende Wandlungsprozesse nicht nur anstehen, sondern wir uns mitten in ihnen befinden. Sie ist sich hoffentlich auch darüber einig, dass das Lernen (ein Leben lang) das einzig wirklich gestalterische Element ist, um Wandel an sich nicht nur zu begegnen, sondern ihn im Idealfall auch mit Kontinuität nachhaltig zu gestalten. Fachkräfte für neue Aufgaben, Berufe und Anforderungen oder mündige, medienkompetente und demokratische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger fallen nämlich nicht einfach so vom Himmel, während der Bedarf an neuen Kompetenzen und Herausforderungen analog zur technologisch rasanten Entwicklung mitwächst. Wenn wir beispielsweise heute längst wissen, dass ein tiefgreifender ökologischer Umbau der bestehenden globalen Systeme notwendig ist, um dauerhaft unsere eigene Existenz und die der kommenden Generationen zu schützen, so gebietet es die Logik, möglichst schnell eine Vielzahl von unterschiedlichen Kompetenzen „nachzureichen“, um diese unfassbar komplexe Aufgabe auch nur annähernd meistern zu können. Wir benötigen allein zur technischen Umsetzung der Energiewende viele Hunderttausend neu qualifizierte Arbeitskräfte

Innovationsgeist wecken

Studierende beim Hackathon (Foto: David Ausserhofer)
Studierende beim Hackathon (Foto: David Ausserhofer)
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Wenn wir zudem davon überzeugt sind, dass es ohne technologische Erfindungen nicht gehen wird, so müssen wir natürlich auch den entsprechenden Innovationsgeist mit neuen Lernangeboten in Schulen, Hochschulen und der Erwachsenenbildung mit voller Kraft wecken. Wenn wir feststellen, dass Klimapolitik nur global wirklich vernünftig gelingt, so gilt es natürlich, die interkulturelle Kompetenz von Menschen und ihre Art, miteinander zu arbeiten, zu fördern. Es gilt, kollaboratives Denken und Handeln über jedwede Landesgrenzen hinaus zu trainieren, was wirklich erst durch die Nutzung von digitalen Tools und Technologien realisierbar ist. Doch dazu muss man die Tools kennen und zu bedienen wissen. Es gilt, mit kritischem Denken genau zu prüfen, welche Erkenntnisse uns in unseren Vorhaben des Wandels deutlich weiterbringen oder uns eher behindern. Es gilt zu lernen, wie wir vorausschauend, strategisch und vernetzt Denken lernen, damit wir die Grundlage von kollaborativem Handel nicht nur verstehen, sondern auch gewinnbringend zu Etappenzielen führen. Dazu müssen wir unterscheiden können, welche der zahlreichen Informationen wirklich wissenschaftlich glaubwürdig sind und welche uns in die eine oder andere Richtung einfach nur emotional manipulieren wollen. Neben Lesen, Schreiben und Rechnen sind die Techniken der Medienrezeption und -publikation gefragt. Es gilt zudem, kreatives Denken und Handeln viel stärker in Einklang zu bringen und dies nicht nur den Post-its und Notizbüchern zu überlassen. 

„Lernen ist nicht nur die Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts, Lernen ist die Essenz unser aller (Über-) Lebens.“

Patrick Breitenbach
Patrick Breitenbach (Foto: AMX Design - Alex Stiebritz)
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Patrick Breitenbach
Autor, Podcaster, Mediendesigner

Eine „Maker-Bewegung“ in allen Schulen wäre ideal, um formulierte Ideen unmittelbar in greifbare Prototypen und Anwendungen zu überführen und dadurch erlebbar zu machen. Wie man an einem einzigen Beispiel sieht: Allein die Mammutaufgabe der Energiewende ist angewiesen auf ein großes Spektrum an Kompetenzen, sie muss geplant, moderiert und technologisch bewältigt werden. Digitalisierung ist dabei ebenfalls ein wichtiger Schlüssel, deren gelungene Handhabung wiederum neue Kompetenzen benötigt. Die neuen Herausforderungen sind so vielfältig anspruchsvoll, dass wir eine ganze Bandbreite von kognitiven, aber auch physikalischen Fertigkeiten benötigen, die aber bisher wenig oder zu langsam in die Bildungsbetrieben integriert werden. Zudem muss das System auch verlernen können. Warum legen wir immer noch so viel Wert auf die gefühlte akademische Aussortierung in einem Dreiklassenschulsystem, wenn der eigentliche gesellschaftliche Auftrag stets ein gemeinsamer sein muss? Das Verständnis von Individuum und Kollektiv sollte zusammengeführt werden. Wir haben mittlerweile längst erkannt, dass Diversität komplexe Innovationen in der Gruppe eher befördert. In Unternehmen entwickelt die Kundschaft längst an den Produkten mit. Warum gibt es noch immer kaum Teilhabe der Lernenden an der Gestaltung ihrer eigenen Lernerfahrungen? Die individuelle Persönlichkeitsentwicklung darf nicht im Sinne der Gemeinschaft und des Gemeinwohls gegeneinander ausgespielt werden. Bildung sollte dazu beitragen, dass persönliches Wohl und Gemeinwohl stets zusammen gedacht werden. Es gilt, auf der einen Seite in individuellen Lebenssituationen durch Resilienz und Ambiguitätstoleranz gestärkt durch das Leben zu gehen. Es gilt aber auch, Toleranz, Akzeptanz, Integration und Kooperation in Bildungseinrichtungen zu trainieren, um in demokratischen Systemen überhaupt adäquat teilhaben zu können. Wenn wir in Zukunft demokratisch mündige Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft wollen, dann müssen auch ihre unmittelbaren Lebensumstände und damit auch ihre Lernstätten möglichst demokratisch gestaltet sein. So werden Lerninhalte und Lernorte zu einer konsequent und stringent erfahrbaren Einheit. Learning by Doing. Teilhabe lernen durch Teilhaben.  

All diese Dinge stehen nun an und ich freue mich darauf, in meinen folgenden Kolumnen im MERTON Magazin diese Themenfelder weiter gemeinsam mit Ihnen zu vertiefen und im Kleinen dabei zu wirken, dieses Momentum jetzt nicht wieder leichtfertig zu verlieren. Lernen ist nicht nur die Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts, Lernen ist die Essenz unser aller (Über-)Lebens. Vielleicht schaffen wir es aber auch mit vorausschauendem Willen statt mit katastrophaler Notwendigkeit, den Bildungswandel kontinuierlich zu gestalten. 

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